Plöt­zlich ist die Bude voll. Die Umsteiger Rich­tung Pfalz sind in Bad Mün­ster am Stein ges­tran­det. Die kleine Bäck­erei ist ihre Anlauf­stelle, um die Stunde Warten auf den näch­sten Zug mit heißem Kaf­fee und Rosi­nen­brötchen zu über­brück­en. Fast genau vor einem Jahr ist mir das schon ein­mal passiert. Ziem­lich kalt war es damals. Das Läd­chen mit Sitzecke hat­te ich damals noch nicht ent­deckt und jäm­mer­lich gefroren deshalb. Die Prov­inzbäck­erei brummt, wenn die Bahn den sportlichen Takt zwis­chen Nahe- und Alsen­zlin­ie nicht schafft. Vielle­icht ist das über­haupt der Grund, warum sie noch existiert?! So betra­chtet machen Anschlus­slück­en Sinn.

Nach der spon­ta­nen Kaf­feep­ause steige ich 3 Sta­tio­nen später aus, wo ich in den ver­gan­genen Monat­en immer mal wieder eingestiegen bin: in Alsenz. Von hier aus ver­läuft die 10. Etappe mein­er Jahreswan­derung durch die Nordp­falz nach Hochstät­ten durch das Hin­ter­tal raus aus dem Alsen­z­tal, um den Glicker­berg (228 m) herum, am Höch­sten Kreuz (319 m) vor­bei über die Hochebene nach Feil­bingert, Trom­bach­er Hof, Drei Buchen, Birk­er­hof und runter ins Nahetal nach Norheim (15 km). Ich wan­dere von Tal zu Tal.

Eine Won­neprop­pen­tour ist das. Die ersten 5 Kilo­me­ter gehe ich unten in der Tal­sohle. Auf Wiesen­we­gen, weichem Laub, durch Wald. Es duftet nach Herb­st. Der let­zte Nebel hängt in den schon bunt gefärbten Wipfeln. Die Sonne wärmt bis nach unten zu mir. Hin­ter Hochstät­ten ent­decke ich einen Wal­nuss­baum. Zwei Hände voll Nüsse packe ich in die Hosen­taschen. Das Hin­ter­tal ist eine Augen­wei­de. Wei­den, Wiesen, Wald. Dort tiefe Spuren der Wild­schweine. Oben kündi­gen die ersten Wein­berge das Nahe­land an. Ich drehe mich um 180 Grad. Wech­se­le die Blick­rich­tung. Im Osten lugen die Win­dräder der Rhein­hes­sis­chen Schweiz über den Kamm.

Die Wein­lese ist in vollem Gang. Stim­men der Winz­er und Ern­te­helfer klin­gen durch die Stille rüber. Oben im Wingert tre­ffe ich sie bei der Mit­tagspause an. Inzwis­chen fällt es mir leicht, Leute zu fra­gen, ob ich sie fotografieren darf. Ich darf. Später denke ich, dass dieses Bild so schon vor 50 Jahren hätte ent­standen sein kön­nen. Colaflasche aus PET, Getränkekun­st­stof­fk­iste und Plas­tik­stüh­le weggedacht. Ich mache einige Kur­ven später auf ein­er war­men Naturstein­mauer Rast. Logen­platz mir weit­em Blick in die Nordp­falz. Die Eidech­sen lieben diese Trock­en­mauern auch. Wie gerufen, huschen zu meinen Füßen zwei durchs Gestein. Was eine grandiose Aus­sicht von hier oben! Der Charak­ter­buck­el des Don­ners­berg ist im Dun­st zu erkennen.

Kann mer Ihne helfe?“, fragt die Frau auf der anderen Straßen­seite. Ich ste­he in Feil­bingert vor dem ehe­ma­li­gen Läd­chen der Christ­mann-Schwest­ern. Über der Tür hängt noch das Schild. A & O. Seit Jahrzehn­ten ist es geschlossen. Früher haben wir hier eingekauft. Vor allem in den Som­mer­fe­rien. Ohne Auto waren wir froh, dass es ihn gab. Kleinere Besorgun­gen habe ich mit dem schwarzen Rad mein­er Mut­ter erledigt. Das mit dem geschwun­genen Lenker, dem bre­it­en, beque­men Led­er­sat­tel. Ohne Gangschal­tung. Hinzus hochschieben. Zurück laufen lassen. Bis meine Beine lang genug waren, bin ich im Ste­hen gefahren. Diese Einkauf­saus­flüge habe ich geliebt! Über 40 Jahre ist das her. Auch die Feil­binger­t­erin, die mich ange­sprochen hat, hat schöne Erin­nerun­gen an die Zeit, als die Leute aus dem Dorf und aus dem Lüßert­tal hier Wasch­pul­ver, Milch, Strümpfe, Mag­gi und Eis am Stiel und was weiß ich noch kauften. Sie ist vis à vis dieses Gemis­cht­waren­ladens aufgewach­sen. Den Bäck­er um die Ecke gibt es auch nicht mehr. Die besten Brötchen und die leck­er­sten Bon­bons gab es dort. Für 5 Pfen­nige eine ganze Tüte. Tja, hier gibt es halt keinen Bahnhof.

Auf dem Feil­er Fried­hof laufe ich die Grabrei­hen ab. Ich suche das Grab der Großel­tern. Die Eltern meines Vaters. Finde es nicht und spreche einen älteren Her­rn an. Ja, den Albert Tharun, den Hüt­ten­wirt vom Lem­berg, den ken­nt er noch. Aber das Grab? Auch die ältere Dame, die auf einem Dreirad für Erwach­sene anger­adelt kommt, kann nicht weit­er­helfen. Den Sohn der Schwest­er, den kön­nte man fra­gen. Aber der wohnt in der ent­ge­genge­set­zten Rich­tung am anderen Ende des Dor­fes. Ich werde meine Mut­ter fra­gen. Meine Ver­gan­gen­heit zer­bröselt wie Sandstein.

Die Weg­markierung am Trom­bach­er Hof gibt mir Rät­sel auf. In dieser Ecke war ich in meinem Leben noch nicht gewe­sen. Ohne Karte wäre ich jet­zt ver­loren. Alles gut. Durch den Wald höre ich den Motor eines Rasen­mähers, Stim­men und das Klack­en abgeschla­gen­er Bälle. Der Golf­platz. Auch hier war ich noch nicht. Neu für mich ist auch diese totale Per­spek­tive auf die beein­druck­ende Por­phyr­wand des Roten­fels. Über einen sehr steilen Weg, der sich mit Bergp­faden in den Alpen messen kann, steige ich durch den Norheimer Wald ins Nahetal ab. Muss mich sputen. Nur noch 10 Minuten bis der Zug kommt. Den Abfahrt­s­plan habe ich inzwis­chen im Kopf! Ohne Umsteigen geht s zurück in die Stadt. ;-)

+ + Etappe 10 – Nord-Pfälz­er Berg­land 2014  – Mittwoch, 1.10. – von Alsenz nach Norheim, 15 km, 518 hm Auf­stieg, 395 hm Abstieg, höch­ster Punkt: 314 m, niedrig­ster Punkt: 130 m ++ ++ ++ Karten:
++++Westp­falz Nord – Blatt 1. Pfälz­er Berg­land mit Nahe –  Topographis­che Karte 1:25.000 – ISBN 978–3‑89637–412‑7
Natur­park Soon­wald-Nahe — Blatt 4, Bad Kreuz­nach, Lan­gen­lon­sheim, Bad Mün­ster am Stein, Ebern­burg, Bad Sobern­heim, Rüdesheim — Topographis­che Karte 1:25.000 — ISBN 978–3‑89637–375‑5 ++ ++