Im knallroten DB-Bus bin ich am frühen Morgen der einzige Fahrgast. Das Radio läuft. Ich bin auf dem Land. Am Ortsausgang steigt ein Schüler mit Biobuch unterm Arm ein. Er schmeißt sich in den Sitz schräg hinter mir, stemmt die Knie in die Rücklehne vor ihm, stöpselt Musik auf die Ohren. Linie 260 auf der Fahrt von Bad Sobernheim an der Nahe nach Meisenheim am Glan.
Die Straßen der Nordpfalz sind nicht nur kurvenreich, sonder auch schmal. Ein Auto breit; schätze ich. Kommt uns eines entgegen halte ich die Luft an; der kann doch gar nicht an uns vorbei! Doch, kann er. Erst als ein Laster mit Gasflaschen beladen auf der Gegenspur passieren will, geht’s rechts ran.
Immer wieder steuert der Bus kleine Weiler am Rand der Route an. Klappert die Haltestellen ab, an denen jetzt gegen halb 9 Uhr niemand mehr wartet. Bis zum Dorfausgang. Dann wendet er das sperrige Gefährt mit viel Geschick auf engstem Raum und fährt retour zur Hauptstrecke. Dann stehen doch Fahrgäste am Straßenrand. Mit leisem Zischen öffnet sich vorne die Hydrauliktür. “Moie!”, ruft der junge Fahrer fröhlich den Frauen zu, die nicht einsteigen, sondern nur die Kinder in den Bus setzen. “Habt er ach euer Fahrkat?” “Meine Fahrkarte ist im Portemonnaie vorne im Rucksack.”, antwortet die Dreijährige selbstbewusst. “Do gehärt se ach hin!”, erwidert der Fahrer zufrieden. Bremst. Legt den Rückwärtsgang ein. Stößt langsam in die Seitenstraße zurück. Gemächlich nimmt der Diesel nach dem 180 Grad Dreh wieder Fahrt auf.
Auf der Rückfahrt durchs Dorf stehen Mutter und Oma schon an ihren Hoftoren. Winken dem Nachwuchs hinterher, den sie dem Fahrer anvertraut haben. Sie können sich auf ihn verlassen: In Meisenheim hält der Mann direkt am Eingang der Kita, ruft das kleine Mädchen zu sich nach vorne, nimmt es an die Hand und bringt es sicher bis ins Haus hinein. Danach setzt er die Großen an der Schule ab. Alle Leute auf der Straße grüßen ihn. Vermutlich ist er selbst vor 10 ‑15 Jahren als Schüler diese Strecke gefahren. Man kennt sich hier im Kreis offensichtlich über die Ortsgrenzen hinweg. Schließlich kümmert er sich auch noch darum, dass die fremde Wanderin ans gewünschte Ziel gelangt. “Wo wollen Sie denn raus?” “In der Ortsmitte.” “Wir sind hier mitten im Ort!” “Ach so!” Mit Notizen beschäftigt, wäre ich beinahe nach Bad Sobernheim zum Bahnhof zurück gefahren. ;-)
Meisenheim am Glan ist ein hübsches Städtchen mit historischem Ortskern. Ich kannte es bisher nur vom Erzählen. Heute ist die Verbandgemeinde Ausgangspunkt einer weiteren Etappe meiner Wanderung durch die Nordpfalz. Ziel ist ein letztes Mal die Bahnstation Alsenz an der Alsenz, die ich heute aus östlicher Richtung anpeile (105 Grad). Über weite Passagen geht es der Markierung des Pfälzer Höhenwegs nach. Über Callbach und Keddarter Hof (auf Sicht). Weiter nach Schiersfeld. Die Schleife des Fernwegs über Obermoschel schneide ich ab; da war ich schon. Ab Schiersfeld ist der Kompass auf 45 Grad justiert, Richtung Nordost. Linker Hand auf der Höhe passiere ich den Kahlforster Hof, sehe noch einmal die Moschellandsburg und stoße dann wieder auf den Pfälzer Höhenweg.
Diese Route (16 km) verläuft rauf und runter (100 m / 378 m) über Wiesen- und Hohlwege, auf schmalen Pfad durch Eichenhaine (Schorr- und Hollerwald), auch mal über Asphalt durchs Dorf und auf den breiten Feldwegen der Hochflächen. Immer wieder schweifen die Augen über das Bergland. Auf den noch gelbgrünen Getreidefeldern spielen die Wolken Schattentheater oder tauchen die Landschaft mit breitem Pinselstrich urplötzlich in ein sattes Tennisplatzdunkelgrün. Windräder gedrängt auf einigen Höhen. Nicht einfach, einen unverbauten Blick zu ergattern.
Seit der Tour Mitte März ist der Frühling auch optisch ins Land gezogen. Viele Bäume tragen grüne Spitzen. Der Weißdorn duftet. Löwenzahn, Buschwindröschen, ja selbst die Schlüsselblumen blühen. Blauer Himmel. Dazu das Zwitschern der Vögel. Die Natur wird lebendig. Und ich habe wieder dieses merkwürdige Nordpfalztier gehört. Einem hellen spitzen Schrei folgt ein heiseres, krächzendes Husten. Ominös!
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