Du hast alles im Griff – dachtest du. Strecke gecheckt, Apps geladen, Ausrüstung durchdacht. Und trotzdem ist es anders gekommen. Warum? In der Nachbereitung steckt oft mehr Potenzial als in der Planung. Hier findest du ein Beispiel aus meinem Erfahrungsschatz und drei Fragen, mit denen du nicht nur Touren abschließt, sondern auch darüber hinauswächst und deinen Bergmut stärkst.
Vom Kaninchen und der Schlange
Zwei Wochen vor dem Start kündigte der Wetterbericht ein Gewitter für den ersten Wandertag auf dem 4‑Quellen-Weg im Gotthardmassiv an. Ich dachte noch: Bis dahin ändert sich das sicher. Trotzdem lud ich zwei Schweizer Wetter-Apps herunter. Gewitter machen mich nervös. Mein inneres Alarmsystem springt an. In den folgenden Tagen checkte ich morgens und abends die Vorhersage. Ich starre auf die rotorangenen Farben für Gewitterzellen über unserem Wandergebiet wie das Kaninchen auf die Schlange.
Abwägen: Sicherheit oder Risiko – wie flexibel soll ich planen?
Auch eine Woche vor Tourstart gibt es keine Veränderung. Das Gewitter bleibt für den ersten Tag am Nachmittag gemeldet. Aber wir müssen an diesem Tag von Andermatt zur Vermigelhütte, denn dort haben wir reserviert. Am nächsten Tag soll es auf der zweiten Etappe über den Sellapass zum Gotthardpass gehen. Die Chance, auf 2 700 Metern über diesen Pass zu wandern, will ich nicht verpassen. Also: Was tun?
Ich erinnere mich an eine Passage in der Tourenbeschreibung: Die Vermigelhütte ist auch auf einem breiten, ausgebauten Weg (Unteralpstraße) erreichbar, was deutlich kürzer ist als die Originaletappe. Nur 8 Kilometer. Einfacher Untergrund. Moderate Steigung. Und im Fall der Fälle wären wir dort nicht allein, falls das Gewitter früher kommt.
Nach einem weiteren Blick auf die Wetter-Apps, die sich später als sehr zuverlässig herausstellen sollten, steht die Entscheidung fest. Wir planen um. Wir nehmen die sichere Variante.
Am Tag der Tour stellt sich die Frage: Was sagt mein Körper?
Es ist schwül, heiß und leicht regnerisch. Die Apps kündigen ein Gewitter für 15 Uhr an, weshalb wir früh starten. Regenjacke, Regenhose. Ich denke noch: Sobald der Regen nachlässt, ziehe ich sie aus. Überhitzung vermeiden. Du kennst dich doch!
Beschwingt geht es los. Ein schöner Pfad oberhalb von Andermatt. Der Blick ins Unteralptal ist wunderschön. Die Sonne kommt heraus und es wird schnell warm. Ich ziehe die Regensachen aus – zu spät.
Wenige Minuten später, nach dem Wechsel auf den ausgebauten Weg, erleide ich einen kompletten Leistungseinbruch. Plötzlich geht nichts mehr. Ich muss alle paar Meter stehen bleiben. Ich habe keine Kraft mehr. Horizontal wäre kein Problem, aber sobald es leicht ansteigt, geht nichts mehr. Da helfen weder Trinken noch Zucker.
„Ich spüre, wie meine Gedanken sich verengen: Jetzt habe ich doch versucht an alles zu denken! Ich bin doch gut vorbereitet – warum passiert mir das jetzt trotzdem? Verflixt!“
Meine Tochter nimmt meinen Rucksack – mein Schutzengel an diesem Tag. Ich bleibe dran, auch weil wir noch genügend zeitlichen Puffer bis zum Gewitter haben. Und ich weiß aus Erfahrung, dass ich mich auf meine Beharrlichkeit verlassen kann. Trotzdem ärgere ich mich: “Warum hast du die Regensachen nicht früher ausgezogen? Du weißt doch, wie du funktionierst!”
Die Erkenntnis: Selbstwahrnehmung ist der Schlüssel.
Das Gewitter? Kein Thema mehr. Ich war das Thema.
Heute weiß ich, dass ich nach der langen Anfahrt am Vortag einen Tag zum Ankommen gebraucht hätte – auch, um meinen Wasserhaushalt wieder auszugleichen. Den abrupten Wechsel von 90 auf 1 500 Höhenmeter hatte ich unterschätzt.
Ich hatte mich selbst nicht genug eingeplant.
Zum Glück waren wir flexibel. Die kürzere Route hat uns nicht nur vor dem Gewitter bewahrt, das pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk losbrach, als wir sicher in der Hütte saßen. Sie hat mich – erschöpft, aber angekommen – durch den Tag gebracht. Am nächsten Morgen war ich wie verwandelt – sei es dank Schlaf oder der großartigen Hüttenküche – und bereit für Etappe zwei.
Die Tourenplanung endet nicht mit Karte und Wetter-App – sie beginnt bei dir.
Menschen, die viel vorausdenken, übersehen manchmal genau das: ihren eigenen Zustand, ihre eigenen Grenzen, das, was innerlich kippen kann.
Es geht nicht darum, alles im Griff zu haben.
Es geht darum, dich selbst und deine ganz persönlichen Knackpunkte ernst zu nehmen. Auch wenn sie in keiner Risikoliste stehen, die du im Internet herunterladen kannst.
Welche Fragen solltest du dir nach jeder Wandertour stellen?
Hier sind drei Fragen für deine Bergmutig-Reflexionsroutine:
1. Was war wirklich entscheidend?
Was hat die Tour beeinflusst: das Wetter, der Weg, das Material oder dein Zustand?
Gab es innere Signale, die du übersehen hast?
Impuls: Nicht alles, was außen laut ist, ist innen wichtig – und umgekehrt.
2. Was war eine gute Entscheidung?
Wann hast du umgedacht statt stur durchzuziehen?
Welche kleine Korrektur hat viel bewirkt?
Wo warst du flexibel statt starr?
Impuls: Mentale Stärke zeigt sich in stiller Verantwortung ohne Drama.
3. Was will ich konkret anders machen?
Keine leeren Vorsätze, sondern klare Schritte:
In meinem Fall:
- Einen Tag zum Ankommen einplanen – vor allem bei 1400 Höhenmetern Unterschied.
- Mit einem ausgeglichenen Wasserhaushalt starten.
- Statt in luftdichter Regenausrüstung bei schwüler Witterung lieber luftig gehen, mit leichtem Schirm – auch wenn es nur nieselt.
Impuls: Veränderung beginnt mit besserer Selbstführung und nicht mit mehr Kontrolle.
Fazit: Reflexion ist ein Kompass für Kopfmenschen – und führt zu den Themen, die für dich persönlich zählen.
Jeder Schritt, auch der schwere, ist eine Chance: Dich besser kennenzulernen, statt dich noch mehr kontrollieren zu wollen. Genau da beginnt echte Freiheit in den Bergen.
Welche Erfahrungen hast du mit Tourenplanung gemacht? Sind dir auch schon unvorhergesehene Dinge passiert, die du trotz gewissenhafter Vorbereitung nicht auf dem Schirm hattest? Ich freue mich über deinen Beitrag in den Kommentaren!
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