Wandern ist Reisen im Kleinen. Dan Kieran reist langsam. Dabei entdeckt er Erstaunliches: Wochenenden, Urlaube dauern länger, Landschaften, schöne Küsten wachsen, Menschen entpuppen sich als hilfsbereit. Um Abenteuer zu erleben, braucht man nicht um die halbe Welt zu fliegen. Es reicht völlig aus, vor die eigene Haustür zu treten und eine Strecke, die man mit dem Auto schon hunderte Mal gefahren ist und aus dem FF zu kennen glaubt, zu Fuss zu gehen. Herkömmliche Reiseführer sind Schlaftabletten. Spannendere, intensivere und erkenntnisreichere Lektüre für Unterwegs sind Biografien von Menschen, die in dem Land, der Landschaft leben, lebten, in der man unterwegs ist, Thriller, (gute) Krimis oder Romane, die im Reiseland spielen. Kopfkino in Livekulisse!
Auf das Buch „Slow Travel – Die Kunst des Reisens“ bin ich über ein Interview mit dem Autor in der ZEIT aufmerksam geworden. Darin sagt er Sätze wie: Richtige Erlebnisse passieren immer nur zufällig. Die Dinge, an die wir uns unser Leben lang erinnern, sind die diejenigen, die wir nicht vorhersahen. Reisen ist gut, wenn es ungemütlich ist. Ängstlichkeit macht echte Erfahrung unmöglich. Aha, dachte ich, Langeweile ist nicht die Sache dieses Mannes, das Buch schaue ich mir näher an. Neugierig klickte ich ins Vorwort. Dort erzählt er von den Spaziergängen mit seiner 18 Monate alten Tochter, bei denen er ihr die Regie überlässt: „Mit einem Kleinkind spazieren zu gehen hat etwas an sich, das mich zugleich verblüfft und inspiriert. Ausnahmsweise hat man keine Ahnung, wohin man geht. Das kann ziemlich lästig sein,…, doch man lernt schnell, sich zu entspannen und dieser Erfahrung etwas Sinnvolles abzugewinnen…Der müßige Reisende ähnelt einem solchen Kleinkind – er schlendert hinaus in die Welt und lässt sich dabei von seiner Neugier treiben, er sucht nach Erkenntnis und folgt unterwegs jenen Impulsen, die seine Abenteuerlust wecken.“
Diese Geschichte erinnerte mich an die Gänge in gedrosselter Geschwindigkeit mit meiner eigenen Tochter als sie ungefähr zwei Jahre alt war. Schrittchen für Schrittchen ging es damals. Damals habe ich Einkaufen einfach zu einer “Expedition” umdefiniert. Außerdem erkannte ich mich selbst mit meiner Art des Wanderns und Unterwegsseins und meiner Neugierde wieder. Ich besorgte das Buch für die Urlaubslektüre und verschlang es lange bevor die Koffer gepackt waren.
Habe Sie sich schon mal gefragt, warum es so langweilig ist, sich die Urlaubsfotos von anderen Leuten anzuschauen? Das liegt daran, dass Ihnen das eigentlich Interessante versperrt bleibt. Reisen spielt sich nämlich im Kopf ab, behauptet Dan Kieran und liefert in seinem Buch überzeugende Beweise.
Zum Schmunzeln die Geschichte von einem ungarischen Militärtrupp, der mit einer Karte der Pyrenäen sicher den Heimweg durch die Alpen findet. Unterhaltsam der Bericht von einer Fahrt mit einem elektrischen Milchwagen durch England. Spannend die Goldadler-Expedition auf eine Insel, die die Protagonisten antreten; trotz Unwetterwarnung, Stromausfall, weiteren Unwägbarkeiten und zahlreichen Unkenrufen.
Das Buch empfehle ich Wanderern, die aus Spaß am Entdecken, aus Neugierde, Freiheitsdrang und Abenteuerlust unterwegs sind. Die ihre Aufmerksamkeit und Intuition schulen wollen und dankbar für jedwede nützliche Hinweise diesbezüglich sind.
Als Menschen, die gerne zu Fuss gehen, erfüllen Wanderer schon mal eine wesentliche Bedingung für das „langsame Reisen“. Alle weiteren Zutaten für spannende Reiseexperimente finden sie bei Dan Kieran: Reise nicht nur, um anzukommen. Bleib zu Hause. Sei dein eigener Reiseführer. Heiße Katastrophen willkommen. Folge deinem Instinkt. Verliere den Kopf. Sei abenteuerlustig.
Hilfreich fand ich auch diese Tipps in besagtem ZEIT-Interview: Telefon und Portemonnaie im Hotel lassen. Nur ein bisschen Bargeld mitnehmen. Uhr im Hotel lassen.
Der Engländer ist einer mit Tiefgang. Gelegentlich taucht er sachte ins Philosophische ab – immer den Bezug zur Realität haltend. Eine Art denkerisches Schnorcheln. ;-) Er berichtet von exzentrisch anmutenden Unternehmungen anderer Autoren, bleibt sich darüber bewusst und erläutert seine Beweggründe für dieses oder jenes Beispiel.
Am Ende des Buches kennen wir den Unterschied zwischen Reisen und Urlaub. Wir sind in der Lage uns, je nachdem wie wir drauf sind, für das eine oder andere, oder für eine gute Kombination aus beidem zu entscheiden. Wir haben gelernt, dass „müßig“ kein Synonym für „einfach“ oder „bequem“ ist, sondern „frei sein“ bedeutet. Und wir wissen aus erster Hand, dass man fürs Wandern in diesem Sinne nicht unbedingt aufs Land fahren muss.
Unbedingt lesen, wenn es am Abend, am Wochenende, im Urlaub oder im Leben überhaupt zu langweilig wird! ;-)
Dan Kieran, Slow Travel — Die Kunst des Reisens. 223 Seiten. Rogner & Bernhard. 2013
Auf der Verlagsseite über das Buch lesen.
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