Wenn man darauf eingestellt ist, sich Zeit zu lassen beim Unterwegsein, wird man meist mit unverhofften Freuden belohnt, schreibt Dan Kieran in seinem Buch „Slow Travel“. Diese Erfahrung teile ich. Meine Stadtwanderung von Frankfurt-Niederrad nach Mainhatten sollte so eine langsame Reise zu Fuß werden, beschloss ich. Die einzigen Konstanten sollten die Abfahrtszeit mit dem Bus vor der Haustür in Mainz, der Start in Niederrad und die Route am Main entlang, die ich vermutete, aber noch nie gegangen war, sein. Gesagt getan. Der Rest des Tages verlief der Nase nach.
Der Main lag an diesem Sommermittwoch unter der heißen Morgensonne kühl im Flussbett. Überschaubar, beschaulich. Die Strömung — kaum wahrnehmbar. Fast wie ein ruhiger See. Was ein Getöse, wenn hin und wieder ein Frachter das Wasser mit seinem Bug vor sich her schiebend flussaufwärts schiffte.
Das Schild „Luft- und Lichtbad“ lockte mich vom Weg ab. Und dann lag sie schon da: die unverhoffte Freude dieser Reise. Die MS Heimliche Liebe. Diesem Moment lief das bunte Treiben der Großstadt später am Tag nicht den Rang ab. So faszinierend es war, die Menschen dort zu beobachten.
Frankfurt ist schon eine Nummer. Nur im Vorübergehen zu ertragen: Das „Hallohalloleuteeineuroerdbeeren“, mit dem der Obsthändler an der Konstablerwache die letzten Früchte der Saison unters Passantenvolk bringt. Windkraftanlagen werden morgens in T‑Shirt und kurzer Hose in der S‑Bahn via Skype verkauft. Der Dandy in weißem Hemd, rosa Shorts und weinroten Lederslippers setzt beim Warten an der Fußgängerampel modische Akzente. Asiatinnen radeln mit wehendem Tüllrock, feiner Bluse, zarten Handschuhen bis zu den Ellbogen und geblümtem Stoffhut mit Nackenschutz und großem Sonnenschild über den Opernplatz. Vorbei am Babybauch im knallengen Ringel-T-Shirt-Kleid mit schmalem Ledergürtel tailliert. In der Goethstraße shoppen elegante Muslima; von Kopf bis Fuß in wallendes Schwarz gehüllt. Die Servicekräfte der Edelimbisse in der Fressgass können ziemlich überheblich sein. High Noon. Zwölf Uhr mittags ist auch dem Bankenviertel heilig. Auf die Minute strömen aus den Wolkenkratzern wahre Fluten von top gedressten Frauen und Männern heraus. Auf der Suche nach etwas Essbarem schnurstracks umliegende Cafés und Lokalitäten ansteuernd. Blaue Bluse und dunkel Hose ist Mindeststandard. Dem Arbeiter in orange-gelber Signalweste, der auf der Rückfahrt am Flughafen einsteigt, fallen am frühen Nachmittag sofort die Augen zu als die S‑Bahn anfährt. Ein Jet im Landeanflug streift fast ihre Oberleitung. Die ersten Mähdrescher sind im Einsatz.
Meine unverhoffte Freude wirkt dagegen mehr im Verborgenen. Die MS Heimlich Liebe heißt eigentlich Möwe. Sie wurde 1928 für die Personenschifffahrt auf dem Rhein gebaut. Heute ist der Naturschutz ihre Mission. Es gilt das Biotop im alten Frankfurter Schleusenbecken zu erhalten. „Das Historische Schiff und seine Besatzung, bemühen sich, diskret und unauffällig, mit dem umliegenden Biotop, zu verwachsen.“, heißt es auf der Website www.naturship.de. Im 2. Weltkrieg rettete die Möve Menschenleben. Mit Fluchtfahrten über den Rhein. Heute rettet sie als MS Heimliche Liebe bedrohte Arten und verletzte Tiere.
Eine schöne Geschichte, die heute überraschend an meinem spontanen Weg ankerte. Die Welt wird reicher je langsamer und zielloser man wandert.
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