Vier Tage habe ich meinem Kalen­der abgerun­gen. Vier span­nende Berg­wan­derun­gen im meinen geliebten All­gäuer Hochalpen auf dem Plan. Bewusst gewählt: neues Ter­rain, bekan­ntes Ter­rain unter anderen Wet­terbe­din­gun­gen bzw. statt alleine mit anderen zusam­men. Jew­eils 1000 Meter rauf und 1000 Meter runter. Große Vorfreude!

Erst läuft alles nach Plan. Aus­gerech­net die Tour für den let­zten Tag ste­ht dann uner­wartet in Frage. In diesem Artikel erzäh­le ich Dir, was passiert ist und wie ich meinen diesjähriger Traum von Aben­teuer im All­gäu trotz­dem bis zum let­zten Tag verwirklichte. 

Glück im Unglück

Der Dämpfer kommt bere­its nach der 1. Tour: Nach steilem Abstieg vom Pon­ten nach Schattwald: lädierte Fußnägel. Falsche Schuhe gewählt. Die mit der harten Sohle, die auf dem Heil­bron­ner Weg zwar gute Dien­ste geleis­tet haben, aber nun auf dem weniger anspruchsvollen jedoch steilen und lan­gen Abstieg vom …   beim bergab meine Fußze­hen mal­trätieren. Autsch, Autsch, Autsch!

Glück im Unglück. Wohlweißlich hat­te ich zusät­zlich zu den mit robusten, bret­tharten Kappe nach vorne ver­stärk­ten B/C‑Trettern das beque­mere Wan­der­schuh-Paar in den Kof­fer­raum gestellt. Der Urlaub ist gerettet. Vor­erst jeden­falls. Mit den leichteren Schuhen komme ich dann wie geplant auch gut durch Tag zwei und drei. Aber die Fußnägel tun nach der Belas­tung tagsüber trotz­dem am Abend ganz schön weh.

Aufgeben? No way!

Wenn ich mir was in den Kopf geset­zt habe, lasse ich mich nicht so schnell davon abbrin­gen. Zumal ich mir mit dem All­gäu jedes Mal einen Traum ver­wirk­liche. Ein kaput­ter Zeh? Kein diesen Grund aufzugeben.

Erst recht, weil ich für den vierten und let­zten Tag ein echt­es Schmankerl im Hin­ter­stein­er Tal raus­ge­sucht hat­te: eine Route der Wan­der­tri­olo­gie Him­melsstürmer“. Aufgeben? No way!

Am Vortag ergibt sich die Gele­gen­heit die geplante Route zum Enger­ats­gund­see in Augen­schein zu nehmen. Mit Björn Arndth von Bergparadiese.de bin ich auf dem Erzstieg im Hin­ter­stein­er Tal unter­wegs. Er zeigt mir den schön­sten Blick auf den König der All­gäuer Alpen: den Hochvo­gel! Nach­mit­tags steigen wir fußfre­undlich über einen Notab­stieg des Gren­zgänger-Wegs ab. Der Sän­ften­weg ist ein mod­er­at abfal­l­en­der Ser­pen­ti­nen­weg. Von dort haben wir einen guten Blick in die steilen Hänge unter­halb der Seewände auf der anderen Tal­seite. Björn ken­nt die All­gäuer Berge wie seine Wes­t­en­tasche. Wir disku­tieren leichtere Vari­anten. Dann die Erken­nt­nis: Wer rauf steigt, muss auch run­ter­steigen. Da führt kein Weg drum herum. Die Vorstel­lung am näch­sten Tag noch ein­mal lange und vor allem steil abzusteigen und dem kranken Zehen­nagel weit­er zuzuset­zen machen mich schließlich nach­sichtig mit mir selbst!

Tal kommt nicht in Frage!

Noch auf der Rück­fahrt aus dem Tal raus nach Bad Hin­de­lang taucht in meinem Kopf der Gedanke auf: Nun beherzigst Du ein­fach selb­st, was Du Deinen Kun­den immer predigst: Nicht jed­er Tag ist ein guter Tag. Du bist nicht jeden Tag Super-Women. Sei fre­undlich zu Dir und mach’s Dir passend! Drei Tage 1000 Meter rauf und 1000 Meter runter sind genug. Am let­zten Tag wird hoch UND runter mit der Bahn gefahren! Klitzek­leines Prob­lem dieser Super-Idee: Bei der avisierten Tour gibt es weit und bre­it keine Auf­stiegs- und Abstiegshilfen.

Seufz­er: das Him­mel­stür­men zum Bergsee muss ein Jahr warten! Aber die Entschei­dung fühlt sich gut und richtig an. Nur welche akzept­ablen Alter­na­tiv­en gibt es? Es muss schon was oben mit Aus­blick sein. Und span­nende! Tal kommt nicht in die Frage!

Da war doch noch was!

Später sitze ich entspan­nt in der war­men Abend­sonne auf der Ter­rasse vor meinem Hotelz­im­mer in Ober­joch. Die beansprucht­en Füße bequem hochgelegt. Lasse den wun­der­schö­nen Tag auf dem Jubiläum­sweg mit Blick auf den Hochvo­gel vor dem inneren Auge Revue passieren. Plöt­zlich ertappe ich mich dabei, wie ich in Gedanken im gesamten All­gäu herum­streife, um am näch­sten Tag doch noch in den Genuss ein­er pass­able Ersatz-Tour zu kom­men. Aber nichts von dem was mir in den Sinn kommt, reißt mich vom Hock­er. Wenn ich schon mal in Ober­joch wohne, kön­nte ich mich ja auch hier oben mal umse­hen. Ich stutze, stell’ die Augen scharf: Direkt vor mein­er Nase: Der Küh­gund zwis­chen Isel­er Gipfel und Küh­gund­kopf! Geeenau. Da war doch was!

Blick von Oberjoch zum Kühgund
Blick von Ober­joch zum Kühgund.

Da oben wartet doch noch ein unerkun­de­ter Gratweg auf Dich! Die Lin­ie des Pfads, in den Latschen seitlich der Wand, lockt mich seit ich sie bei ein­er Spazier­wan­derung im Hochmoor vor eini­gen Jahren wahrgenom­men habe. Und: Ein Großteil des Auf- und Abstiegs kann mit der Iseler­bahn bewältigt wer­den. Die ist vom Hotel sog­ar fußläu­fig erre­ich­bar! Und: Mit der Gästekarte kann ich die sog­ar kosten­los benutzen. Und: Nach kurz­er Rück­sprache mit den ort­skundi­gen Björn lässt sich die Pas­sage in eine von der Dis­tanz her über­schaubare Rund­wan­derung ein­bauen! Bingo!

Mit Aus­sicht auf eine wider Erwarten doch noch span­nen­den Berg­wan­derung am näch­sten Tag gehe ich schlafen, klappe zufrieden die Äuglein zu und träume vom bevorste­hen­den Bergaben­teuer. Quatsch. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob und von was ich träume; aber die Vor­freude füh­le ich schon in mir köcheln als ich so in die Nacht rein döse.

Volltreffer!

Am näch­sten Tag blauer Him­mel und Son­nen­schein. Der Wet­ter­bericht kündigt einen heißen Tag an. Gle­ich in der Früh schwebe ich mit der ersten Fahrt im Ses­sel­lift hin­auf auf 1600 Meter. Packe die Stöcke aus und hebele mich zick zack hoch zum Isel­er Gipfel (1867 m). Kaum oben ist klar: Diese Touren­wahl ist ein Volltreffer. 

Grandios­es 360-Grad-Panorama!!!

Nach West­en Hörn­er­kette, Nagelfluhkette, Burg­berg­er Hörn­le und Hirschberg. Nach Süden in der ersten Rei­he: Bschießer und Pon­ten; die Gipfel des 1. Tourentags. 

Blick vom Iseler Gipfel zu Bschiesser und Ponten
Blick vom Isel­er Gipfel zu Bschiess­er und Pon­ten. Rechts unten die Zipfelsalpe.

Stück nach rechts: Der Höhen­zug des Hin­de­langer Klet­ter­steigs. Augen wieder nach Süden, weit­er hin­ten: Hochvo­gel, schräg rechts nach unten direkt am Abbruch des Hochtals das Prinz-Luit­pold-Haus. Noch eins weit­er Rich­tung Hor­i­zont: Die Spitzen und Zack­en des All­gäuer Alpen-Haup­tkamms; Kopf schräg rechts hinab: Per­spek­tive ins Hin­ter­stein­er Tal. Nach Osten das Tannheimer Tal. Der Isel­er Gipfel dürfte ein beliebtes Son­nenun­ter­gangsplätzchen sein, denke ich. Aber bis dahin kann ich heute nicht warten. 

Blick vom Iseler Gipfel zum Westgrat des Westlichen Wengenkopfs, Großer Daumen und Breitenberg. Route des Hindelanger Klettersteigs. verläuft.
Blick vom Isel­er Gipfel zu West­grat des West­lichen Wen­genkopfs, Großer Dau­men und Bre­it­en­berg. Route des Hin­de­langer Klettersteigs. 
Blick vom Iseler Gipfel zum Hochvogel mit Prinz-Luitpold-Haus
Blick vom Isel­er Gipfel zum Hochvo­gel mit Prinz-Luitpold-Haus.

Unter­halb des Gipfelkreuzes, etwas ver­steckt an der Seite, ent­decke ich den Weg­weis­er Rich­tung Wan­nen­jochbahn: Blaue Marke. Der Ein­stieg zum Gratweg!

Wegweiser am Iseler Gipfel
Weg­weis­er zum Gratweg zwis­chen Isel­er Gipfel und Küh­gund­spitze. Markierung des bayrischen Allgäus!

Abstieg vom Isel­er Rich­tung Küh­gund etwas fel­sig.“, schrieb mir Björn am Vor­abend. Während ich die rund 50 Meter absteige, den Unter­grund nach Fläche für sicheren Tritt scan­nend, höre ich unver­mit­telt von unten eine Män­ner­stimme: Was ich auf gar keinen Fall machen würde, ist den Fuß schräg auf­set­zen.“ Im Bruch­steil ein­er Sekunde von oben die weib­liche Retourkutsche: Wieder was gel­ernt heute!“ Ach, wäre ich doch auch so schlagfer­tig! So stelle ich die Ohren auf Durchzug. Lasse den Schlaumeier links liegen und denke mir meinen Teil: Was ICH auf gar keinen Fall machen würde, ist unge­fragt am Berg anderen schlaue Ratschläge geben.“

Iseler Gipfel
Kurz­er, aber fel­siger Abstieg vom Isel­er Gipfel auf den Grat.

Über Küh­gund­kopf ( 1907 m) geht es gute 1,5 Kilo­me­ter an der Kante ent­lang zur Küh­gund­spitze (1881 m). Zur Süd­seite Latschenkiefer und her­rliche Aus­sicht­en ins Gren­zgänger-Land; sog­ar die markante Krin­nen­spitze zeich­net sich deut­lich am Hor­i­zont ab!

Blick vom Iseler Gipfel zur Kühgundspitze.
Blick vom Isel­er Gipfel zur Kühgundspitze.

Am Küh­gund­kopf sitze ich über eine Stunde im son­nen­war­men Gras und sehe mich satt. 

Blick von der Kühgundspitze ins Tannheimer Tal
Blick von der Küh­gund­spitze ins Tannheimer Tal

Mit Rück­sicht auf den wehen Fuß­nagel schenke ich mir den steilen, rutschi­gen Abstieg über den Küh­gun­drück­en runter zum Wied­hag (1558 m) und mache einen Schlenker über die aus­geschilderte Wan­nen­jochbahn. Von dort führt der für Kinder geeignete Schmug­gler­steig von Tirol nach Bay­ern zurück; jet­zt anders als heute Mor­gen unter­halb der Küh­gund­wand bis zur Vorderen Wied­hag Alpe. Dort gibt es Apfel­saftschor­le, Käsekuchen und eine weit­ere Entschei­dung für Leichtigkeit: statt an diesem schwülen Nach­mit­tag in der prallen Sonne noch ein­mal 100 Meter aufzusteigen, um die Bergsta­tion der Iseler­bahn zu erre­ichen, wäh­le ich die leichte Option und gehe anders als geplant über ein­fachen Weg zu Fuß runter und erre­iche nach ein­er knap­pen hal­ben Stunde gut gelaunt Oberjoch.

Wieder in der Heimat auf 90 Meter N.N. färbt sich der Nagel am großen Zeh zwar blau, aber ich bin schmerzfrei. Gut, dass ich am Ende des Urlaubs einen Gang zurück­geschal­tet habe, son­st hätte ich sich­er ein­schnei­den­der mit diesem Mit­bringsel“ zu kämpfen gehabt. Mit ein­er fre­undlichen Geste an mich selb­st kon­nte ich Schlim­meres ver­hin­dern und vor allem die nötige Gelassen­heit gewin­nen, die mir schließlich den Blick für Möglichkeit­en öffnete! Auf diese Weise bin ich trotz Hand­i­cap doch zu vier span­nende Touren in meinem geliebten All­gäuer Bergen gekommen!