Im Allgäu gibt es zwei Breitenberge. Einen bei Pfronten (1838 m ü. NN). Und den anderen. Zwischen dem Ostrachtal und dem Rettenschwanger Tal (1893 m ü. NN).
Dieser Breitenberg ist ein Gipfel, der relativ einfach zu besteigen ist. Er lässt sich in eine etwa 16 Kilometer lange Rundtour einbauen: ab Hinterstein im Ostrachtal über den Gipfel ins Rettenschwanger Tal und zurück nach Hinterstein. Kenner gehen allerdings andersherum. Warum, erfährst Du in dieser Geschichte.
Zufallsfund
Auf den Breitenberg bin ich eher zufällig gestoßen. Bei einer Erkundungstour im Hitze-Sommer 2022. Von meiner Lieblingsunterkunft in Hinterstein bin ich damals einfach losgelaufen. Überquerte die Ostrach an der Südbrücke. Wollte mir eigentlich die Höllentour durchs Eckbachtobel ansehen. Aber dann sah ich den schmalen Waldweg. Er macht mich neugierig. Und ich stieg und stieg. Bis ich endlich vor der Älpe-Alpe stand.
Studierte die Karte. Wurde noch neugieriger. Folgte dem Pfad, der hinter der Alpe zu einem Waldstück aufsteigt. Erreichte die Wankhütte. Mit der Hand über den Augen als Sonnenschutz inspizierte ich den weiteren, gut sichtbaren Wegverlauf und blieb am Gipfelkreuz hängen.
Ich hatte den Hintersteiner Breitenberg entdeckt!
“Steil abfallende Wände, faszinierende Stille und wunderbare Aussicht”
In Filmen sieht man manchmal Kletterer, die sich einem Berg nähern. Mit der Hand unter dem Kinn, den Arm auf den Unterarm gestützt, den Kopf leicht schräg nach oben geneigt, schauen sie die Wand an.
So ungefähr stand ich da in der Mittagshitze im Grieß. Gut 500 Meter vor mir links die Wände der Heubatspitze (2008 m) und der Hohen Gänge. Rechts der Gipfel. Von meinem Standort aus konnte ich erkennen, dass der Steig unter den Wänden der Hohen Gänge nach rechts schwenkte und dann quer zum Hang leicht ansteigend nach Norden verlief. Unterhalb des Lachekopfes muss er eine Kurve nach Westen machen.
Soweit so gut. Mehr ließ sich an diesem Tag und von diesem Standpunkt aus über die Verhältnisse beim Aufstieg nicht sagen. Die Beschaffenheit des Abstiegs ins Rettenschwanger Tal wäre auch noch zu klären. Vor dem inneren Auge lockte das das kühle Moorbad bei Oberjoch. Der Gipfel musste warten!
Tourenbericht & Kartenstudium
Der Breitenstein hat sich in meinem Kopf festgesetzt.
Bei Björn von Bergparadiese — der die Tour vom Rettenschwanger Tal gegangen ist — lese ich: „Kurz nach dem Gipfelbereich ist Trittsicherheit und eine gewisse Schwindelfreiheit aufgrund der steil abfallenden Wände erforderlich.“
Den Abschnitt, der mir an der Wank-Hütte verborgen geblieben ist — also für mich “nach dem Gipfelbereich”, beschreibt er mit “Latschenfeldern, faszinierender Stille und herrlicher Aussicht”.
Klingt so verlockend, dass ich das Ganze auf der Karte genauer unter die Lupe nehme. Meine Touren-Plan wird konkreter.
Mit dem Finger auf der Landkarte …
Mit dem Finger auf der Karte folge ich der gestrichelten Linie, die nach dem Gipfel ins Rettenschwanger Tal führt. Sie verläuft ein gutes Stück auf der Höhenlinie und quert dann schräg ein steileres Stück gut 200 Höhenmeter abwärts. Wieder ein Stück parallel zur Höhenlinie auf 1900 Höhenmeter, dann 100 Meter im Zickzack hinunter auf 1800 Höhenmeter, wieder parallel zur Höhenlinie, wieder im Zickzack hinunter auf 1700 Höhenmeter. Dann noch ein paar kurze Zick-Zacks und der Häbelsgund auf 1600 m ist erreicht.
Und ja: alles durch bewaldetes Gelände. Das muss das Latschenfeld sein, von dem Björn schreibt.
Von der Häbeles Gund Hütte geht mein Zeigefinger einer durchgezogenen Linie nach; in Serpentinen hinunter ins Retterschwanger Tal.
Oberhalb der Bsonderach zweigt der Weg nach rechts auf den Jägersteig in Richtung Ostrachtal ab. Bei Bruck mündet der Weg in den Himmelsstürmer-Wanderweg. Von dort geht es entlang der Ostrach zurück nach Hinterstein.
Das Kartenportal berechnet: 6.15 Stunden Gehzeit.
Geplant, getan!
Ein Jahr später. August 2023. Wieder ein heißer Sommertag. Ich stehe auf dem Gipfel des Breitenbergs! Juchhu!
Wie erhofft: ein tolles Allgäu-Panorama: Ponten, Bschießer, Iseler Grat, Hirschberg, Grünten, Nagelfluhkette, Nebelhorn. Nur eine kleine Auswahl der Gipfel um mich herum. Hinterstein, Bad Hindelang, Sonthofen ganz klein zu meinen Füßen.
Zwei unklare Stellen konnte ich entschlüsseln.
Am vermuteten Wendepunkt unter dem Lachekopf führt der Weg durch eine mit Latschen links und rechts bewachsene, seilversicherte Felsrinne.
Die von Björn beschriebene Stelle mit den “Steilwänden” sieht so aus: Man kraxelt zwei, drei Meter hoch. Stehst auf einem schmalen Grat. Einen halben Meter breit, vielleicht etwas mehr. Auf der einen Seite flankiert von Latschen. Auf der anderen Seite fällt der Blick ins Bodenlose. Upps!
Respekteinflößender Zick-Zack zur Rotspitze und ein SPA-Ressort für Kühe
Vom Gipfel geht es gemütlich weiter durch das Latschenfeld. Der Weg ist vom Anspruch her genauso, wie es Tourenbericht und Kartenstudium erwarten ließen. Und schon stehe ich im Häbeles Gund. Ein abgelegener, stiller Talkessel. Von schroffen Felsen umgeben.
In einem der gegenüberliegenden Steilhänge erkenne ich eine Zickzackspur. Das markante Muster finde ich leicht auf der Karte. Der Zustieg zur Rotspitze und zum Klettersteig „Hohe Gänge“! Gedankenspiel: Wie weit würde ich mich wohl trauen?
Vor mir: Liebliche Wiesen. Dösende Kühe. Die “faszinierende Stille”. Ein SPA für das Vieh. Die Sonne brennt uns auf die Haut.
Apropos: Ganz schön warm hier! Nehme einen Schluck Wasser. Nicht mehr viel zu trinken, merke ich. 2 Liter sind an einem heißen Tag in den Bergen einfach zu wenig!
Ein Herz für Wanderer im Häbelesgund
In der Mittagshitze bin ich der einzige Mensch weit und breit. Auf dem Weg zum Gipfel kam mir heute Morgen ein Wanderer nach dem anderen entgegen. Seltsam!
Die Erklärung wird mir schlagartig klar, als ich mich erinnere, irgendwo gelesen zu haben, dass es hier unten keine Einkehrmöglichkeit gibt.
Jetzt weiß ich, warum ich ganz allein in diese Richtung unterwegs bin! Die Gasthäuser sind auf der anderen Seite des Breitenbergs. Dort, wo ich herkomme. Deshalb die Karawane ins Ostrachtal am Vormittag. Toll!
Die Zunge klebt am Gaumen. Die Beine sind müde. Ohne etwas zu trinken werden die restlichen Kilometer wohl beschwerlich. Ich kalkuliere, wie ich mir die letzten Tropfen auf dem Rückweg aufteilen kann. Ich erwäge einen nicht unbeträchtlichen Abstecher zum bewirtschafteten Mitterhaus.
Kurz bevor der Weg von der sonnendurchglühten Almwiese in den schattigen Wald übergeht, treffe ich auf einen Wegweiser. Obwohl ich seine Hilfe nicht brauche, hebe ich den Kopf.
Kühle Getränke” lese ich auf einem Pfeil nach rechts. Träume ich? Verdreht mir der Durst schon den Kopf? Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Da steht immer noch „Kühle Getränke“. „Kühle Getränke?“ Hier? Hä?
Ungläubig, aber neugierig folge ich dem Pfeil. Da stehen mehrere Getränkekisten vor mir. Aufgereiht auf der Bank einer Schutzhütte. Von Wasser über Limonade bis hin zu Bier. Alles da, was das Wanderinnenherz begehrt. Kann mein Glück kaum fassen! Schicke erleichtert Dankesgrüße ins Universum. Lege den Obolus in die Kasse. Gönne mir eine kühle Apfelschorle und fülle meine Trinkflaschen mit Wasser. Was bin ich doch für ein Glückspilz!
Wiedersehen mit den Sonnenköpfen
Gut gestärkt und gut gelaunt biege ich auf den breiten Forstweg ein, der die letzten 400 Höhenmeter über das Reckenberger Bergle hinunter zum Bsonderach führt. Etwa auf der Hälfte des Weges erhasche ich einen Blick auf die Sonnenköpfe. Alte Bekannte! Die Nachmittagssonne taucht die Berglandschaft in ein warmes, sattes Licht. Was für ein Genuss!
Am rauschenden Bach entlang wandere ich auf dem Jägersteig, bis dieser in den Premium-Wanderweg „Wandertriologie Himmelsstürmer“ an der rauschenden Ostrach mündet. Diese führt nach den Niederschlägen der letzten Tage reichlich Wasser.
Diesen Breitenberg besser andersherum!
Bei Hinterstein packe ich meine Wasserschuhe aus. Gönne meinen Füßen ein erfrischendes Bergwasserbad. Von einer Bank im Schatten schaue ich entspannt den betriebsamen Heuerntlern bei der Arbeit zu. Mir geht es gut!
Und du, liebe Leserin, lieber Leser, weißt jetzt Bescheid: Besteige den Breitenberg am besten vom Rettenschwanger Horn aus. So, wie es die Kenner machen!
Parke auf dem Parkplatz „Säge“ oder steige an der dortigen Bushaltestelle aus. Der Beschilderung „Rettenschwanger Tal“ folgen. Dort, wo der Jägersteig in eine Straße übergeht, links in den Aufstieg einbiegen. Vielleicht findest du in Häbelesgund Getränkekisten, vielleicht auch nicht. Am Zielort Hinterstein aber gibt es mehrere Gasthäuser, in denen man garantiert die Tour gemütlich ausklingen lassen kann!
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