Vor einem Jahr plante ich eine her­aus­fordernde Berg­tour.
Das Kraft­train­ing war absolviert.
Das Bett auf der Hütte war reserviert.
Die Bergführerin war gebucht.

Dann erwis­chte mich eine Gürtel­rose. Mein Mann kränkelte. Meine Mut­ter kränkelte. Unter diesen Bedin­gun­gen bekam mein Vorhaben neg­a­tive Vorze­ichen. Würde ich in die Berge reisen kön­nen? Was, wenn kurz vorher eine Sit­u­a­tion ein­treten würde, die meine Anwe­sen­heit zu Hause erfordern würde bzw. ich langfristig krank bleiben würde? Will ich kräftezehrende Unternehmungen starten, nach ein­er kör­per­lich schwächen­den Virusinfektion?

Wenn über­haupt, dann mit schlechtem Gewis­sen: mein­er Fam­i­lie und mir und mein­er Gesund­heit gegenüber.

Schlecht­es Gewis­sen! Mit diesem neg­a­tivem Hin­ter­grun­drauschen, dieser belas­ten­den Grund­stim­mung, diesem schlecht­en Gefühl schla­gen sich auch viele mein­er Kun­den in den Bergen herum.

Ich will die Gruppe nicht aufhal­ten.” Ich will meinem Part­ner bzw. mein­er Part­ner­in nicht die Tour ver­mas­seln, einen Gefall­en tun etc.”

Trotz Angst, Zweifel und oft am Rand ihrer aktuellen Kräfte und Fähigkeit­en, fol­gen sie dem schlecht­en Gewis­sen; lassen sich überre­den, machen eine her­aus- bzw. über­fordern­den Tour bzw. hal­ten bei ein­er für sie gren­zw­er­ti­gen Berg­tour durch. Mit zweifel­haften Fol­gen: die Äng­ste sind noch größer als vorher oder neue Äng­ste machen sich bre­it, Selb­stzweifel wach­sen oder sie gehen gar nicht mehr in Berge. Das schlechte Gewis­sen sind sie allerd­ings nicht los. Im Gegenteil!

Was auch immer in den Bergen ein schlecht­es Gewis­sen macht: Es stellt uns vor die Entschei­dungs­frage: Auf das schlechte Gewis­sen hören oder es ignori­eren?
Diese Frage ist gar nicht soooo doof, wie uns Rat­ge­ber oft weis­machen wollen, die meinen: Ein schlecht­es Gewis­sen habe grund­sät­zlich keine Daseins­berech­ti­gung und sei zu ignorieren.

Im dem Buch Das schlechte Gewis­sen — Quäl­geist oder Ressource?” betra­cht­en Maja Storch und Ger­hard Roth das schlechte Gewis­sen dif­feren­ziert­er.
Sie unter­schei­den zwis­chen schlechtem Gewis­sen, welch­es in die Tonne gehört, das Du auflösen kannst und eines, auf das Du hören solltest!

Die boden­ständi­ge, prak­tisch denk­ende Maja Storch liefert fre­undlicher­weise einen Quick-Check mit, um schnell her­auszufind­en, mit welch­er Art schlechtem Gewis­sen Du es denn ger­ade zu tun hast:

Stell’ Dir vor, Du würdest bald ster­ben, würdest Du es bedauern, dem Hin­weis des schlecht­en Gewis­sens gefol­gt zu sein?

Allerd­ings ohne diese Frage zu ken­nen, habe ich let­ztes Jahr auf mein schlecht­es Gewis­sen gehört und die geplante Berg­tour abge­sagt.
Über meine gesund­heitlichen Gren­zen wollte ich nicht gehen. Dass das für mich nie gut endet, hat mich das Leben gelehrt.
Für die Meinen wollte ich jed­erzeit zur Ver­fü­gung ste­hen.
Zudem: Das Risiko hoher Stornokosten für die Bergführung war mir die Sache nicht wert.

Entschei­dend ist näm­lich gar nicht das schlechte Gewis­sen.
Das ist nur ein Sig­nal Deines emo­tionalen Gehirns:
Dem kannst Du fol­gen oder eben nicht. Bei­des kann berechtigt sein.
Entschei­dend ist, was Du, grot­tenehrlich zu Dir selb­st, in Deinem tief­sten Inneren wirk­lich willst: Einen lang gehegten Plan sofort ver­wirk­lichen, gute Stim­mung im Touren-Team oder …

Es gibt ja auch noch einen drit­ten Weg und damit zurück zu mein­er Geschichte:
Nach der Absage entspan­nte sich die Lage im Kranken­lager etwas.
Die Gürtel­rose nahm einen glimpflichen Verlauf.

Zum Glück hat­te ich nur diese eine Berg­tour storniert. Mit der Option in der Hin­ter­hand, jed­erzeit heim­fahren zu kön­nen (ohne riesen Stornokosten) reiste ich ins All­gäu. Machte ein­fachere Wan­derun­gen und schaut mir den ursprünglich geplanten Gipfel erst­mal entspan­nt und mit Ruhe aus der Nähe an.