Den ersten Kontakt hatten wir vor vier Jahren. Ein Kommentar in meinem Blog. Dann machte Beate Thome Anfang dieses Jahres Nägel mit Köpfen und lud mich zu eines ihrer Angebote im Naturcamp Hunsrück ein. Beim Durchschauen der Termine sprang mir einer sofort ins Auge: der Nixmachtag im Juli!
Im Juli mache ich Sommerpause. Zeit für eigene Wanderprojekte, Touren zum Austausch mit Freunden und Menschen aus meinem Netzwerk und eben auch um mental den Horizont zu erweitern, was Neues kennenzulernen und auszuprobieren. Der Nixmachtag kommt mir wie gerufen! Denn Nixmachen ist nichts, was mir sozusagen von der Hand geht! Genau richtig für eine andere Erfahrung draußen in der Natur!
Im Januar dachte ich noch: Spannend! Dann wurde es Sommer und zack waren die Tage bis zum Sonntag im Hunsrück bei Monzingen gezählt. Und wie es so ist, wenn Du ein persönliches Abenteuer angehst (auch wenn es nur ein Klitzekleines ist und für andere nicht der Rede wert) und nicht genau weißt, was auf Dich zukommt, fangen die Gedanken ungefragt an zu sprießen, wie Pickel im Gesicht: „Was wir da wohl machen? Nix machen, was soll das sein? Der Begriff an sich ist ja schon ein Widerspruch. Ich könnte ja noch absagen. Da wäre noch so viel zu erledigen auf meinem Schreibtisch. Auf der anderen Seite: Neugierig bin ich ja schon. Worst case: Sich den ganzen Tag langweilen. Das kriege ich irgendwie hin. Mir wird schon was einfallen. Zur Not erkunde ich die Gegend! Steht ja in der Kursinfo: „… nimmst Du Dir Zeit und die Freiheit… na bitte!“
Dann scheint es ernst zu werden: „Nun habt ihr 45 Minuten Zeit um Euch in die Hängematte zu legen, das Camp zu erkunden, sonst was zu machen, wonach euch der Sinn steht oder euch einfach ein bisschen zu langweilen.“ Seit gut 3 Stunden mache ich mit zehn weiteren Frauen und Männern nix. Nach Kräuter sammeln, Kirschen pflücken für den Nachtisch, am Feuer sitzen, den eigenen Brotfladen auf offener Flamme backen, Kräuterquark und Schafgarbe-Butter mit Kartoffeln speisen, und den mit heißem Wasser aus der Eisenkanne im Feuer bereiteten Kaffee schlürfen, bin ich auf einmal hundemüde. Statt Langeweile kommt das Bedürfnis nach einem Nickerchen auf.
Dazu lege ich mich auf die Bretter eines Holzverschlags etwas abseits im Camp. Fleecejacke und Sitzkissen als Unterlage. Was ich halt zur Hand habe. Geht. Nachdem die erste Müdigkeit verflogen ist, poste ich ein Bild auf Instagram. Ist das erlaubt? Gab keine gegenteilige Ansage. Meine Gedanken stromern in die Vergangenheit: Das Foto entstand am Morgen während der ersten Zeit zum Langweilen bei einer kleinen Exkursion hoch auf den Berg hinter dem Camp. Da stand ich und schaute über die Felder. Die heiße Luft flirrte über dem Land. Hochsommerhitze. Flashback: Suche Schatten. Denke: Bäume halten alles aus. Stelle mir vor, ich wäre hier oben ein Baum. Lasse die Jahreszeiten vor dem inneren Auge passieren. Bei den kalten Stürmen im Herbst merke ich, wie ich Beine kriege und es mich ins schützende Tal zieht. War das jetzt “nix machen”? Auf dem Rückweg entdeckte ich am Wegrand die Kirschbäume, zu denen ich später mit Peter und Stefanie zurückkehrte, um unser Dessert zu pflücken; Peter hielt die Äste unten, wir Frauen füllten die Schüssel, die Beate mir vorher im Camp nebenbei in die Hand gedrückt hatte, während sie mit Feuer machen zu Gange gewesen war.
Zurück ins Hier und Jetzt: Während ich bei meiner Mittagsruhe auf den harten Planken liege, vor mich hindöse, mit einem Ohr den Gesprächen lausche, die an der Feuerstelle geführt werden, unter dem riesigen Fallschirm, der als Dach dient, dämmert mir allmählich, das Nix-machen nicht (unbedingt) bedeutet nichts zu tun. Irgendwo habe ich diesen schlauen Satz gelesen: „Das, was Du weglässt, lässt das stärker wirken, was übrigbleibt.” Beim Nix-machen lässt du Tätigkeiten weg, die Du als Muss empfindest, sinniere ich. Was bleibt sind Sachen, die getan werden, um Grundbedürfnisse zu stillen – wie Nahrung besorgen, zubereiten, ausruhen – und ganz viel Raum bekommen Dinge, die einem wohltun: wie zum Beispiel Tagträumen, rumstromern, süße Früchte schnabulieren … Eigentlich genau die Dinge, die ich gemacht habe, wenn mich jemand fragt: „Und was hast Du gemacht?“ und ich antworte: „Nix.“
Der Nixmachtag fand das erste Mal statt. Auch für die Campleiterin ein Versuch. Sie hat sich das fein ausgedacht. Das Camp als Experimentierfeld.
Das überschaubare Terrain durchzogen von zahlreichen Trampelpfädchen, die bei Naturerlebnisse für Herz und Seele, Survivaltrainings und Wildlife-Abenteuer durch Abkürzung suchende Menschenfüße in den letzten 10 Jahren ergangen worden sind.
Wo die Pfade zusammenlaufen, sich kreuzen sind die Lebenspunkte des Camps: die Küchenhütte gleich neben der Feuerstelle, strategisch daneben gesetzt ein Sägebock, wo das Feuerholz in kleine Stücke geteilt wird und ein zusammengezimmerter Hochtisch fürs Büffet, für das alle Teilnehmer eine kleine Aufgabe übernommen haben – wie zum Beispiel Teig kneten, Spitzwegerich und Pimpinelle in den Quark mischen. Über das Terrain verteilt, in den Bäumen versteckt Liegeflächen aus Brettern, wo die Teilnehmer mehrtägiger Projekte ihre Schlafstellen bauen; am Rand des Camps die Materialhütte und fußläufig erreichbar das Waldbad und das Klohäuschen mit Herz in der Tür. Ich stelle fest: alles durchdacht.
Wie diese Anlaufstellen und Treffpunkte im Naturcamp Orientierung schaffen, führt die erfahrene Naturcoach, Wald- und Erlebnispädagogin und Naturliebhaberin Beate Thome uns in Sachen Nichtstun noch Ungeübten mit freiwilligen Angeboten durch das neue Terrain: sei es eine Mediation, eine Naturerklärung, ein zugeteilter Handgriff beim Kochen, die Bitte einen später eingetroffenen Teilnehmer das Camp zu zeigen oder einem Wander-Spaziergang im Umfeld des Camps.
Was hat es nun mit dem Nix-machen auf sich? Beate Thome beschreibt es so: „Einen Tag raus aus der Routine … kein Alltagstrott, keine Termine, kein Kinder-Taxi sein … nicht getaktet sein, nicht funktionieren müssen; stattdessen: machen, was einem Spaß macht, ein zufriedenes, erfülltes Leben beschert, mit sich und der Natur verbinden, die innere Stimme wahrnehmen, auf die Intuition hören auf das, was dein Herz dir sagen will …“
Eine abschließende Erklärung was Nix-machen genau ist, habe ich für mich an diesem Sonntag draußen in der Natur mit angenehmen Menschen nicht gefunden. Aber vielleicht entspricht es dem Wesen des Nichtstuns, dass es sich nicht so richtig fassen lässt. Vielleicht ist seine Wahrheit eher wie ein sehr weit entfernter Stern im Universum, der sich nur in ruhigen, klaren Nächten ahnen, bestenfalls als kurzes Blinken erkennen lässt …
Könnte sein. Denn am nächsten Morgen wache ich auf und fühle und denke (genau in dieser Reihenfolge): Nix machen gestern hat mir richtig gut getan!
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