Wieder ein Buch, das berührt. Wieder ein Autor, bei dem ich eigene Erfahrun­gen, eigenes Denken und Schwächen wiederfinde. Ein Titel mit Tiefe; bestens geeignet für Aben­teur­er mit Höhenangst und Trit­tun­sicher­heit sowie Ori­en­tierungslose! Also auch für dich?!

Erling Kagge ist Aben­teur­er, Ver­leger, Autor, Jurist, Kun­st­samm­ler, Berg­steiger, Vater von drei Töchtern und Nor­weger. Let­zteres ist für ihn Begrün­dung genug, ein Buch über das Gehen zu schreiben. 155 Seit­en. Ein schmales Büch­lein. In Nor­wegisch in seinem eige­nen Ver­lag erschienen. Ulrich Son­nen­berg hat es ins Deutsche über­set­zt und der Insel Ver­lag hat die Über­set­zung her­aus­ge­bracht. Für das Foto im Klap­pen­text hat der Ver­lag ein Porträt gewählt, das den Autor hart­ge­sot­ten und feingeistig rüber­bringt. Die Such­maschi­nen brin­gen ihn auch mit ver­schmitztem Zwinkern um die Augen, offen­em Lachen und kurzen Haaren. 

Ein­er mein­er ersten Buchtipps im Blog han­delt von der Macht der Bewe­gung“. Was Bewe­gung mit dem Men­schen macht. Wie sie ihn in der Not verän­dert. Zum Pos­i­tiv­en. Erling Kagge betra­chtet speziell das Gehen. Nicht aus der Vogelper­spek­tive. Son­dern auf Augen­höhe. Dabei geht er sozusagen ein­mal 360 Grad um das Gehen herum. 

Mit ein­fach­er, konkreter, real­is­tis­ch­er Sprache nähert er sich dieser Fort­be­we­gung in unter­schiedlichen wis­senschaftlichen Diszi­plinen: physisch, psy­chisch, neu­ro­bi­ol­o­gisch, philosophisch, anthro­pol­o­gisch, sozial, lit­er­arisch und sprach­wis­senschaftlich; er ent­deckt sog­ar eine math­e­ma­tis­che Formel für den Zusam­men­hang zwis­chen Gehen und Wohlbefinden.

Vor allen Din­gen scheint er ein Men­sch der Tat zu sein. Ange­fan­gen von Wan­derun­gen mit den Eltern als Kind, über Touren mit Fre­un­den und der eige­nen Fam­i­lie in der Heimat und den Alpen bis hin zu seinen Aben­teuern zu Fuß zu Nord­pol und Süd­pol, durch Los Ange­las und durch die Kanal­i­sa­tion New Yorks. Der Mann liebt die Abwech­slung. Neue Orte erkun­det er grund­sät­zlich mit einem Spazier­gang in einem bes­timmten Radius. Bei seinen Gän­gen geht es ums Ent­deck­en, Erleben und dann immer auch um Erken­nt­nis. Ein Entdeckergeist.

Und ein Son­der­ling? Wenn ja, dann aber doch irgend­wie nor­mal. Ein Aben­teur­er mit Hang zur Bequem­lichkeit, mit Chaos im Kopf am frühen Mor­gen, Beziehung­sprob­le­men und für das Wesen dieses Buch­es ganz entschei­dend: ein Tram­pelp­fad-Geher von Haus aus!

Wenn ich die Wahl zwis­chen ver­schiede­nen Vari­anten habe, wäh­le ich immer die ein­fach­ste: diejenige, die am wenig­sten Zeit kostet. Die angenehm­ste. Die her­zlich­ste. Ich weiß, dass ich eine klügere Wahl hätte tre­f­fen kön­nen. An manchen Tagen wäh­le ich von mor­gens bis abends den Weg des ger­ing­sten Wider­stands. Ja manch­mal tue ich das gle­ich mehrere Tage hin­tere­inan­der. Ich ärg­ere mich über diese Schwäche.“ 

Der rote Faden von Gehen. Weit­er gehen. Eine Anleitung“ ist die Antwort auf die Frage: Wie geht der Hang zum Behaglichen mit frei­willig auf sich genom­men Mühen und Stra­pazen, auf Skiern durch die Ark­tis oder auf allen Vieren durch Abwäss­er ein­er Metro­pole zum Beispiel, zusammen?

Erling Kagge zeigt einen Weg auf, diesen Wider­spruch aufzulösen! 

Mir das Leben frei­willig etwas unan­genehmer zu gestal­ten, hat mir sehr viel gegeben.“

Gehen. Weit­er gehen. Eine Anleitung“ empfehle ich lit­er­arisch inter­essierten Wan­der­ern, die auch gedankliche Tiefen lieben, Couch-Pota­toes, die für Argu­ment fürs Gehen offen sind, Men­schen, die nach Wohlbefind­en und Zufrieden­heit suchen  oder endlich eine überzeu­gende Erk­lärung aus der Jack­en­tasche ziehen kön­nen wollen, um jed­erzeit anderen nachvol­lziehbar zu erk­lären, warum sie sich immer wieder gerne Mühe machen“. 

Kagge, Erling: Gehen. Weit­er gehen. Eine Anleitung“, 155 Seit­en, mehrere Farb­fo­tos, Insel Verlag