Vor sieben Jahren lernte ich in einem zweitägige DAV-Seminar „Orientierung im Gelände“ Wanderkarten zu lesen und den Kompass zu bedienen.
Danach wendete ich diese traditionellen Orientierungsmittel sofort praktisch an: Mehrere Jahre war ich jede Woche zu Fuß unterwegs und erwanderte im Umkreis von rund 100 Kilometern meine Heimat.
So bin ich nicht nur im Umgang mit Karte und Kompass total sicher geworden — inzwischen gebe ich sogar Orientierungskurse — und habe meiner natürlichen Orientierungsfähigkeit auf die Sprünge geholfen, sondern ich bin mir selbst stärker auf die Spur gekommen: Wie ich Ziele am liebsten angehe, wo ich dabei in der Vergangenheit falschen Fährten folgte und in welchen Situationen ich von meinen Vorlieben abweiche.
Wenn ich mein Ziel vor Augen habe, kann ich mit den Wegen dorthin spielen.
In meinem ersten Zeugnis der Grundschule stand: „Heike spielt und schwätzt gerne.“ Meine Erfahrungen mit Karte und Kompass zeigen: Der Lehrer lag gar nicht so daneben, was das Spielerische angeht.
Denn obwohl die Karte das wichtigste Orientierungsmittel ist, ohne Karte geht in der Regel nichts – noch nicht mal das Kompasswandern — wandere ich am allerliebsten nach Kompass.
Der Kompass zeigt Dir nicht den konkreten Weg, sondern die bloß die Richtung. Du drehst die Kompassrose auf die gewünschte Marschzahl, nordest die Magnetnadel ein, hängst den Kompass um den Hals und los geht’s! Dabei folgst Du keinem fixen Plan. Es gibt keine Stimme, die sagt: „Links abbiegen, rechts abbiegen oder Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Du bleibst bei der Wahl der Route frei. Du nimmst den Weg, den Pfad, den Steig, der sich anbietet. Wege führen nicht immer direkt dorthin, wo der Kompass hinzeigt. Deshalb ist Kreativität gefragt. Du musst Dir immer wieder was einfallen lassen, wie Du weiterkommst. Zur Not über Acker, Brache oder Wiese.
Einen gangbaren Weg auszuklabüstern macht mir Spaß! Ich habe beim Kompasswandern mein Talent zum Probleme lösen, Improvisieren, zum Nehmen was kommt, aus der Not eine Tugend machen, meine kreative Ader entdeckt.
Ach ja: Das Wort „schwätzen“ im Zeugnis damals interpretiere ich heute dahingehend, dass der Unterricht und vor allem das Stillsitzen mich sehr gelangweilt haben müssen.
Ziele finden oder erreichen?
Zugvögel haben einen Richtungssinn. Sie reisen Tausende von Kilometern zu ihren Futterplätzen in Afrika und kehren im Frühling treffsicher in die heimatlichen Gefilde zurück. Menschen haben keinen Richtungssinn. Dafür aber ein Bauchgefühl. Das wird in Ratgebern öfter als probate Entscheidungshilfe an „Wegegabelungen“ empfohlen. Gehen nach Gefühl? Der Kompass hat mich runtergeholt von Wolke Sieben.
Ich erinnere mich an zwei Situationen, wo ich vom Gefühl her fest der Meinung war, in die richtige Richtung zu wandern. In beiden Fällen war ich in Rheinhessen unterwegs. Eine hügelige Landschaft, die zum Rhein hin steil abfällt und die durchzogen ist mit vielen Tälern. Nicht sehr tief, aber tief genug, um zum Beispiel beim Queren aus dem Konzept zu kommen; vor allem wenn Du durchs Dorf musst.
Ich war mir in beiden Fällen so sicher auf der richtigen Route zu sein. Allen Ernstes zweifelte ich spontan am Kompass, als ich die Peilung überprüfte und der Richtungspfeil in eine deutlich andere Richtung wies! Muss man sich mal vorstellen. Zum Glück habe ich Humor. Nachdem ich meinen Irrtum erkannt hatte, bekam ich das Grinsen über mich selbst lange nicht aus dem Gesicht. Selbst jetzt beim Schreiben muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, wie ich damals meinem Bauchgefühl auf den Leim ging.
Gehen nach Gefühl, das ist so wie mit dem Mit-geschlossenen-Augen-geradeaus-gehen. Du denkst, Du hältst die eingeschlagene Richtung und fühlst Dich auf der sicheren Seite. Dann öffnest Du die Augen: Überraschung! Du liegst komplett daneben.
Notiz an mich: Gefühle geben keinerlei Auskunft über die Realität. Bauchgefühl gerne, wenn ich rumstromere, mich treiben lassen will und irgendein Ziel mich finden soll. Habe ich jedoch ein bestimmtes Ziel im Auge, dann ist die Kompassnadel das Mittel der Wahl.
In der Not frisst der Teufel Fliegen …
Mit Karte und Köpfchen zu wandern erfordert Köpfchen: Aufmerksamkeit, Fokus, Mitdenken zum Beispiel. Als Mentaltrainerin, die sich mit dem Gehirn und seiner Funktionsweise beschäftigt, sind mir die Vorteile von Karte und Kompass für die natürliche Orientierungsfähigkeit und die mentale Fitness nicht lange verborgen geblieben. Unter anderem deshalb behandele ich in meinen Kursen ausschließlich Karte und Kompass.
Auf den Punkt gebracht: Ich bin eine erklärte Verfechterin von Karte und Kompass. Aber ich mache keine Religion daraus.
Mal abgesehen davon, dass ich beim Autofahren das Navigationsgerät sehr zu schätzen weiß, beobachte ich mich auch beim Wandern immer wieder dabei, wie ich in bestimmten Situationen auf andere Hilfsmittel zurückgreife, wie beispielsweise moderne, satellitengestützte Navigation.
Einmal hatte ich mich im Nord-Pfälzer Bergland nach fünf Stunden Marsch dermaßen in eine ausweglose Situation manövriert und den Überblick verloren. Meinen Standort konnte ich schließlich nur mit Hilfe des GPS-Gerätes [das ich eigentlich nur zur Aufzeichnung meiner Wanderung dabei hatte] auf der Papierkarte orten. Neulich suchte ich auf den letzten Drücker auf der Karte das Dorf wo unserer Wanderung starten sollte. Einen kleinen Ort in einer mir völlig unbekannten Gegend. Ich hatte keinen Anhaltspunkt wo ich auf der großen Karte suchen muss. Der Abgleich des Suchergebnisses in Google Maps auf dem Smartphone [man muss sich nur zu helfen wissen] gab mir den entscheidenden Hinweis und ruckzuck hatte ich den Finger auf der Wanderkarte an der richtigen Stelle.
Genauso, wie ich zur Not den Nagel mit einem Stein einschlage, greife ich, wenn es darauf ankommt zum GPS-Sender, um beim Wandern zum Ziel zu kommen. Vorausgesetzt Du hast Strom und Signal, gibt es meines Wissens nichts Exakteres, um den Standort zu bestimmen.
Übrigens: Wenn gar, gar, gar nix mehr geht, bin ich mir nicht zu schaden und frage Leute nach dem Weg.
Ich bin so der Schwimmflügelchen-Typ!
Der Orientierungskurs beim DAV und die darauf folgenden wöchentlichen Wanderungen hatten einen Grund. Nach über 20 Jahren lernen und arbeiten mit dem Kopf — Abitur auf dem 2. Bildungsweg, Studium und Büroarbeit vor dem PC steckte ich damals fest: Wer bin ich? Was will ich wirklich? Wo will ich hin? Auf der Suche nach Antworten merkte ich: Am Schreibtisch komme ich nicht weiter. Ich beschloss auf die Walz zu gehen. Wie die Dachdecker-Gesellen: In die “Welt hinaus ziehen”, Erfahrungen sammeln, mich auszuprobieren und auf diese Art und Weise mir selbst auf die Spur zu kommen. Karte und Kompass waren damals für mich genau die richtigen Hilfsmittel für dieses Abenteuer: Sie gaben mir genau die Portion Sicherheit, die ich brauchte, um den ersten Schritt zu machen und mich in unbekanntes Terrain zu wagen. Gleichzeitig ließen sie mir genug Freiheit, mich auszuprobieren, mich kennenzulernen und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.
Mutig sein, was Neues probieren muss nicht heißen, ins kalte Wasser zu springen. Manchmal braucht Mut Schwimmflügelchen, damit Du bei Abenteuern statt abzusaufen, Erfolge verbuchst, weiter mutig bist, dranbleibst und Deine Ziele erreichst.
Ich bin eher so der Schwimmflügelchen-Typ.
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