In diesem Wanderbericht lernen Sie diesen Mainzer Wanderweg kennen und erfahren außerdem etwas über diese Themen:
- Wie Ungeübte und Unerschrockene Weitwanderwege meistern.
- Was sich auf einem Höhenweg entdecken lässt, wenn die Sicht für den Fernblick fehlt.
- Wie man am schnellsten mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Mainz-Ebersheim kommt.
- Was man in offenem Gelände tun kann, wenn die Wegmarkierung plötzlich verschwindet.
- Was eine mentale Karte ist und wozu sie nützt.
- Was die Freuden beim Wandern im Winter sind.
Der hochalpine „Mainzer Höhenweg“ im Tiroler Pitztal hat einen kleinen Bruder: den „Kleinen Mainzer Höhenweg“. Beide werden von der Sektion Mainz des Deutschen Alpenvereins gepflegt. Er ist 32,5 Kilometer lang. Die Route führt von Laubenheim über Hechtsheim, Ebersheim, Klein-Winternheim, Lerchenberg, Drais, Finthen nach Mombach. Zwischen dem tiefsten Punkt des Mainzer Beckens und dem rheinhessischen Plateau liegen gute 162 Meter Höhenunterschied. Ab der Laubenheimer Höhe hat man daher immer irgend ein Mittelgebirge im Blick – bei klarer Sicht. Das Panorama erstreckt sich vom Rheingau, den Hochtaunus, die Skyline von Frankfurt bis in den Odenwald. Der höchste Punkt der Route liegt auf 230 Meter bei Ebersheim.
Die Distanz lässt sich gut in Etappen aufteilen, denn die Wanderroute berührt immer wieder das Liniennetz der Mainzer Verkehrsgesellschaft.
Ich entscheide mich für diese Aufteilung: Laubenheim – Ebersheim (10,5 Kilometer), Ebersheim – Lerchenberg (12 Kilometer) und Lerchenberg – Mombach ( 10 Kilometer).
1. Etappe am Montag, 14 Januar 2013, 1 Grad minus, bewölkt/später sonnig, leichter Schneefall
Meine Wanderung beginnt in Laubenheim am Bahnhof. Ich steige aus dem Bus. Gleich an der Haltestelle weist ein großer Streckenplan des „Kleinen Mainzer Höhenwegs“ den Weg. Schnell habe ich die Markierung, ein stilisiertes Edelweiß, entdeckt. Am Markt geht es links ab. Ich laufen durch den alten Dorfkern an den Ortsrand. Über einen Hohlweg geht es hinauf auf die Laubenheimer Höhe.
Es ist diesig. Schneeflocken tanzen mir um die Nase. Hundegebell dringt zu mir aus dem Dorf hoch. Erste Trockenmauern säumen die schmale Weinbergstraße. Ich komme in die Wingerte. Winzer schneiden Triebe. Zwei Frauen arbeiten sich lachend und schwätzend an den knorrigen Rebstöcken entlang den Weinberg hoch. Mit Zack kappen sie mit der Zange nutzlose Triebe. Mit kurzem Ruck ziehen sie sie aus dem Rebengeflecht. Zack und Ruck, Zack und Ruck, untermalt mit dem neuesten Wochenendtratsch (vermutlich). Die Kollegin, Gabi, darf ich fotografieren.
Der Aufstieg lässt Wärme in meinen Körper steigen bis in die Fingerspitzen. Oben dann Blick auf das Laubenheimer Ried und den Rhein.
„Im Strome sein, heißt in der Fülle des Lebens stehen.“
Dieser Satz von Carl Zuckmayer steht hier; gemeißelt in eine dem Rheinbogen nachempfundene Steinbank. Bei Fernsicht (heute leider nur Dunst) sieht man von hier die Frankfurter Wolkenkratzer und den Odenwald.
Alternativ – zum Beispiel im farbkräftigen Herbst — kann man hier links auf dem Rheinhöhenweg direkt an der Abbruchkante durch die Weinberge Richtung Gau-Bischofsheim laufen und dort die Wanderung wieder auf den Kleinen Mainzer Höhenweg fortsetzen. Ich will die Originalroute ausprobieren (auch wenn es in den Füßen juckt auf Abwege zu gehen :-)) und laufe über die Höhe runter nach Hechtsheim.
Die weiten Felder der rheinhessischen Hochebene liegen vor mir. Die Farben erinnern mich an die Braunschattierungen des Fells junger Pandabären. Hier oben verliere ich die Wegmarkierung aus dem Augen. Allerdings erlaubt die offene Landschaft das Gehen auf Sicht: am Horizont erkenne ich Ebersheim. Und dann taucht die Markierung auch wieder auf. Ich beobachte ein Reh. Mitten auf dem Feld. Der Durst treibt es aus der Deckung. Aber alle Pfützen sind gefroren. Als es mich wittert springt es mit weiten Sätzen in die Hecken.
Eine schöne Strecke, die ich mir gut zu allen Jahreszeiten vorstellen kann; außer vielleicht im Hochsommer. Nur ein kurzer Abschnitt des Weges führt durch eine an heißen Tagen Schatten spendende Allee. Wenn ich so über die Hochebene schaue, die gefrorenen Erdkrummen sehe, höre ich schon das Tuckern der Traktoren im Frühjahr und mit viel Fantasie kann ich die frisch gepflügte, feuchte Erde riechen. Noch liegen auf den steinhart gefrorenen Äckern hier und da verstreut verdorrte Rüben und Kartoffeln der letzten Ernte. Aber frisches, grünes Wintergetreide sprießt schon!
Zum Ende der 1. Etappe kommt die Sonne raus, dazu doch noch einzelne Schneeflocken. Am Abzweig Ebersheim an der Rheinhessenstraße steige ich in die Linie 67. Sie bringt mich in die wintergraue Stadt zurück.
2. Etappe am Mittwoch, 16 Januar 2013, 2Grad minus, sonnig/bewölkt, später leichter Schneefall
Mit Straßenbahn und Bus fahre ich zum Einstieg nach Ebersheim zurück. ÖPNV-Tipp: Vom Standort unabhängig zum Bahnhof. Von dort mit der Straßenbahnlinie 50 bis zum Mühldreieck in Hechtsheim. Dort besteht Direktanschluss an die Buslinie 66 nach Ebersheim. Nutzt man die Online-Verbindungssuche des RMV, dann werden abenteuerliche Verbindungen berechnet, die sich auf Grund (von in Mainz üblichen Verspätungen) in Luft auflösen. Man steht irgendwo rum und kommt nicht weiter. Die Linien 50 und 66 sind getaktet und fahren mehrmals in der Stunde.
In der Ebersheimer Neugasse steige ich aus, entdecke gleich die Markierung und bin mit wenigen Schritten draußen auf dem Feld.
Heute bin ich Schneekönigin. Sonne, Pulverschnee so weit das Auge reicht. Und das mitten am Tag, mitten in der Woche. Das ist für mich Luxus! Klare, kalte Luft. Schnell habe ich mich warm gelaufen. Ich liebe den Duft von Heu, der mir in die Nase steigt, als ich die letzten Ebersheimer Höfe passiere. Herrlich dieser weite Blick über die schneebedeckten Felder. Allerdings so richtig Fernsicht auf die Mittelgebirge ist auch heute nicht drin. Also genieße ich die unmittelbare Umgebung. Und das fällt mir an diesem Wintertag gar nicht schwer.
Als ich die Wegmarkierung aus dem Auge verliere, bzw. gar keine gesetzt ist, bin ich auch schon auf der Höhe. Drüben am Horizont sehe ich das ZDF-Hochhaus, unten im Tal liegt Klein-Winternheim. Da kann ich gut auf Sicht laufen und der Heilbach, unten im Tal gut zu erkennen, gibt die Richtung vor. Beschwingt laufen ich bergab, durch Weinberge, Obstbaumreihen, kleine Gärten. Holzstapel, Hecken, Bäume, Geäst ergeben schöne Hell-Dunkel-Kontraste mit dem Schnee. Sie verwandeln die Landschaft in dieses typische schwarzbraune, beige, weißtonige Winterstimmung-Aquarell, wie ich es seit meiner Kindheit liebe. Die Landschaft hier gefällt mir gut.
In Klein-Winterheim lotsen mich die Straßennamen der Routenbeschreibung durch den Ort. Einmal muss ich fragen. „Ei, des do is die Pariser Stroß“, und schon habe ich wieder den Überblick. Am Ortsrand geht es auf der anderen Seite des Tals durch Weinberge wieder gut hoch. Oben dann der Lerchenberg zum Greifen nahe. Aber es sind noch ein paar Meter.
Dunkles Geäst knorriger Apfelbäume wird vorherrschend. Vom Lerchenberg geht es durch die Senke rüber nach Drais. Zum ersten Mal laufe ich durch das alte Drais mit Sandsteinhäusern und alten Scheunen. Die Sonne hat sich verabschiedet. Leichter Schneefall setzt ein. Heute habe ich Glück: Der Bus fährt mir direkt vor die Füße. Einsteigen und schon sause ich den Draiser Berg mit gefühlten 100 Stundenkilometern (seit eh und je lasse es die Mainzer Busfahrer auf dieser Strecke gerne laufen :-) ) runter in die Heimat. Denn Gonsenheim und der Hartenberg liegen vor mir in Sichtweite. Es hat schon ein bisschen was von Heimkommen. Unten im Süden der Stadt bin ich nicht so oft. Bin ein Mainzer Nordlicht :-)
3. Etappe am Freitag, 18 Januar 2013, 0 Grad, bewölkt
Mit dem Bus zurück nach Drais. Einstieg an der Straßenkreuzung Drais, Richtung Lerchenberg, Finthen und Mainz-Innenstadt. Laufe eine Weile an der Straße nach Finthen entlang, dann links rüber ins Feld. Handschuhe brauche ich keine, es ist etwas wärmer geworden. Stören eh beim Fotografieren. Handschuh aus, Handschuh an, das nervt. Auf der einen Seite Obstbäume so weit das Auge reicht; dazwischen schneebedeckte Spargelfelder. Auf der anderen eine Baumschule mit meterhohen, nach meiner Einschätzung eigentlich ausgewachsenen, Bäumen. Wo die wohl ihr zu Hause finden? Ich erreiche die Kante des Draiser Bergs. Das erste Mal Fernblick: Rheingau und Taunus säumen den Horizont. Zu meinen Füßen liegt Finthen. Über einen Hohlweg lauf ich ins Dorf. Rauchgeruch. Verlassenes Bauernhaus. Auf vereister Straße haut es mir beinahe die Beine weg. Auf der anderen Seite des Ortes geht es wieder hinaus aufs Feld. Obstbäume, Wingerte, Pferdekoppeln. Hagebutten leuchten gegen das Weiß des Schnees. Verliere die Markierung. Am besten orientiert man sich hier an den Schildern des Radweges nach Gonsenheim. Zum ersten Mal gehe ich eine längere Strecke an der Straße entlang. Zum dritten Mal kreuze ich eine Autobahn. Dann ändert sich die Landschaft.
Vom offenen Gelände laufe ich über einen schmalen Naturpfad in den Lennebergwald. Naturschutzgebiet. Vertrautes Gebiet. Rechts und links Mainzer Urwald: Lianen der gemeinen Waldrebe, Efeu wuchern in den Bäumen. Der Geruch von Baumharz steigt mir in die Nase. Kiefern. Kiefern bestimmen das Bild im Lennebergwald, denn sie lieben den Sand des urzeitlichen Meeresbodens. Linker Hand durch die Bäume erhasche ich einen Blick in die Rheingauer Weinberge auf der anderen Rheinseite. Wie immer bleibt mein Blick an den weißen Stämmen eines Birkenhains weiter unten hängen. Nach Schloss Waldthausen komme ich endgültig in heimische Gefilde, achte nicht mehr auf die Markierung, schalte auf Autopilot und laufe der Nase nach zum Ortsrand von Mombach. Geschafft. Ich habe zum ersten Mal meine Heimatstadt komplett in westlicher Richtung umgangen. „Nur wo Du zu Fuß warst, warst Du wirklich.“ Johann Wolfgang von Goethe. So ist es in der Tat.
Was hat es gebracht?
Ich habe mehr Orientierung gewonnen. Welcher Vorort liegt wo, was liegt dazwischen? Wie komme ich von A nach B. Ich habe meine mentale Karte meiner Heimat erweitert und verfeinert, mein inneres Navi geupdatet auf Neudeutsch :-) . Mein Repertoir an Kurzwanderungen im Stadtbusbereich ist gewachsen.
Ich habe neue Routen für Sonntagsspaziergänge entdeckt. Im Frühling, wenn die Apfel- und Kirschbäume blühen, sind die Felder um Lerchenberg, Drais, Finthen meine Favoriten. Im Herbst zum Indian Summer ist die Weinberg-Route von Laubenheim nach Ebersheim sicher ein Genuss fürs Auge. Im Winter sind kleine Wanderungen am Wochenende auf den weichen, von Kiefern gesäumten, Sandpfade im Lennebergwald besonders schön, vor allem, wenn Schnee liegt. Weite Abschnitte des Kleinen Mainzer Höhenweges verlaufen auf glatten Wirtschaftswegen, d.h. sie sind gut geeignet für Fußgänger mit Kinderwagen!
Am besten gefallen haben mir die abwechslungsreichen Abschnitte Ebersheim nach Klein-Winternheim und Finthen über Lennebergwald nach Mombach. Hier findet sich alles, was ich mag: weite Ebenen und ordentliche Ab- und Anstiege, Bäume, Hecken, Gärten, Felder.
Ich habe Vororte, wie Drais und Finthen neu entdeckt: bin in den Kern der Dörfer vorgedrungen. Habe etwas vom Ursprünglichen erfahren. Weiß jetzt wo Äpfel, Spargel, Erdbeeren, Salat, Rüben, Kartoffeln, Wein und vieles mehr von dem, was die Bauern auf dem Mainzer Wochenmarkt verkaufen, herkommt. Vor den Toren der Stadt wachsen Neubaugebiete. Ja, stimmt. Aber auch das Traditionelle ist hier sehr lebendig: Schwätzchen aus dem Fenster mit Nachbarn, Handwerkern oder dem Postboten auf der Straße. Mit dem Kleinbus raus in die Wingerte zum Triebe schneiden. Sandsteinmauern. Hundegebell hinterm Hoftor. Geruch gegorener Weintrauben.
Auch wer während der Tour oder am Ende gerne einkehrt, kommt auf diesem Weg voll auf seine Kosten. An den beiden Ende erwarten das Hofgut Laubenheimer Höhe bzw. das Cafe-Restaurant und Biergarten „Turm“ im Lennebergwald die Wanderer Dazwischen versorgen zahlreiche Straußwirtschaften und Weinkneipen der Mainzer Winzer – vor allem in den Sommermonaten und am Wochenende – die Gäste. Darüber hinaus lassen sich in den Anrainerorten der Route sicher noch viele weitere Möglichkeiten der Einkehr entdecken.
Der zweifellos größte Vorteil diese Weges ist die Anbindung an das Nahverkehrsnetz der Mainzer Verkehrsbetriebe! Auf diese Weise kann jeder auf seine Weise den Kleinen Mainzer Höhenweg erlaufen. Egal ob in einem Rutsch, in Etappen oder in kleinen Häppchen am Sonntagnachmittag.
Einziger Wermutstropfen ist der permanente Lärmpegel. Unfassbar. Flugzeuge im Landesanflug, Helikopter im Tiefflug (besonders Höhe Laubenheim ins Rheinhessische scheint eine Standardroute zu sein; das Geknatter hört man bis rüber nach Ebersheim) Autobahnen, Bundesstraßen, der Pegel reißt kaum ab. Am besten: Ohren auf Durchzug stellen und aufs Gucken fokusieren. So ist das halt in einem Ballungsgebiet.
Auf der Website der Sektion Mainz des Deutschen Alpenvereins, an dieser Stelle ein großer Dank für die Pflege dieses Weges!, kann man die ausführliche Routenbeschreibung inklusive Plan Haltestellen und ÖPNV-Infos. runterladen. Besonders die detaillierte Routenschilderung mit Straßennamen in den Ortschaften sind eine zuverlässige und nützliche Orientierungshilfe! Für zusätzlichen Durch- und Überblick sorgt die topographische Karte „Mainz und Rheinhessen“ im Maßstab 1:50.000 (ISBN 3–89637-301–3). Darin ist der komplette Weg mit der Markierung „Edelweiß“ eingezeichnet.
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