Sonntagmorgens um vier Uhr. Ende September. Jetzt raus in die stockdunkle Nacht? Der Mann rauft sich die Haare. Reibt sich die Augen. Flucht: “So eine Scheiß-Idee!” Einen kurzen Moment lang geht der Gedanke durch den Kopf: ” Na, ob er sich es doch noch überlegt und wieder ins Bett schlupft?” Atmen. Dann sind aus dem Bad Wasser und Rumgruscheln zu hören; es dauert, aber gefühlte Stunden später steht er in Wanderklamotten im Flur. Die Würfel sind gefallen. Pack mas!
Die Idee. Entstanden auch an einem Sonntag. Aber da wars schön hell und schön warm. Ein sonnengefluteter Nachmittag im Sommer. Blauer Himmel. Laues Lüftchen. Bissl raufsteigen, runtergucken, über den unmarkierten Lieblingspfad absteigen, auf altem Treidelpfad direkt am Fluss zurück. 10 Kilometer. Zu zweit. Die Laune ist bestens. Rumstromer-Modus. Nährboden für fixe Ideen. “Wäre doch ideal für eine Tour mit Kunden, Interessierten … ganz zwanglos, locker zusammen durchs Gebirg streifen, reinschnuppern bei Heikes Heimatwandern …!” Weil die Guide Morgenlicht und Sonnenaufgänge liebt, ein Näschen für Logenplätze aufm Berg hat, die Distanz machbar erscheint, Andrea und Jan vom Bike-Loft mitmachen und sich um die Stirnlampen kümmern, reifen die spontanen Gedanken aus dem Bauch raus zum konkreten Plan: Sonnenaufgangstour zum Damianskopf: Der Blick von dort oben geht auf den Inselrhein exakt Richtung Osten. Zweimal im Jahr scheint einem die Sonne beim Aufgehen direkt ins Gesicht: zur Tagnachtgleiche im März und im September. Zum Frühlingsanfang und zum Beginn des Herbstes. Eine ziemlich richtig gute Idee eigentlich! Die Motivation steigt. Bei der Guide.
Dann erstmal Vollbremsung. Wegen Corona geht alles auf Null. Absagen rausschicken. Lampen absagen. Neuen Termin festlegen. Schnell steht fest: Aus dem Veranstaltungstitel “Frühling begrüßen” wird ein “Sommer auskosten”. Guide staunt: Viele bleiben am Ball, melden sich auch für die Herbstvariante an. Noch mit Sommerzeit. Für den einen oder die andere mag dieser tröstliche Gedanke den Ausschlag gegeben haben.
Sechs Monate später ist es tatsächlich soweit. Die Uhr zeigt 5.15 Uhr. Parkplatz am Binger Hauptbahnhof. Frische 7 Grad. Alle, die sich angemeldet haben, sind tatsächlich gekommen. Die angeschalteten Stirnlampen setzen Lichtstreifen ins Dunkel, huschen kreuz und quer über den Platz, bleiben kurz in Gesichtern hängen, geblendete Augen blinzeln, uffbasse: “Hand vors Licht vorhalten, wenn Du mit jemanden sprichst.” Bei der Guide macht sich erste Zuversicht breit: Alle machen gut mit!
5.45 Uhr. Letzter Licht-Check. Eisiger Wind. Zeit, dass wir loskommen. Das Trüppchen setzt sich in Bewegung. Im Aufstieg beginnt die Körperheizung wohlig-warm zu bollern. Am Prinzenkopf liegt uns dann schon die schlafende Stadt an den zwei Wassern von Rhein und Nahe zu Füßen. Auch auf dem Kopf der Guide sitzt ein lichtstarker Scheinwerfer. Er leuchtet weit voraus den schmalen Pfad und zu den Seiten den Wald fast taghell aus. Im Rücken leise Gespräche, Lachen. Der Wind hat sich gelegt. Alle machen weiter gut mit.
Kurz nach 7 Uhr schalten wir von Lupine-Licht um auf Natural Light. Es dämmert. Stille. Ein Käuzchen ruft; informiert vermutlich seine Familie: Menschen im Wald!
Wir erreichen den Damianskopf. Jeder sucht sich ein schönes Plätzchen zum Gucken. Der Himmel wird intensiv rot. Dann steigt ein glühender Ball über den Horizont. Sunrise. Genau so hat es sich die Guide ausgemalt! Breites Grinsen im Gesicht. Auf die Frage: “Und, ist doch toll, oder?!” lächelt der Mann, zuckt ergeben mit den Schultern, schießt ein Foto nach dem anderen. Scheint ihm zu gefallen. Schlechtes Gewissen adé!
8. 30 Uhr. Schweizerhaus. Nusskuchen mit echter Schokolade — nach Art der Frau des Hauses vom Mann am Vortag gebacken -, Milchbrötchen, heißer Kaffee. Premiumblick ins Rheintal. Dann steigen wir ab. Lassen die Züge passieren. Queren die Bahngleise. Gehen durch die Auen.
10 Uhr. Ankunft am Ufer des Flusses. Der zeigt sich in sattem Dunkelblau, wie geplant. Der Strömung entgegen lassen wir uns von der warmen Sonne flussaufwärts ziehen. Dankbarkeit.
Danke an die zwanzig Komfortzonen-Verlasserinnen und Komfortzonen-Verlasser, die ihr sonntags vor dem Aufstehen aufgestanden seid, Euch echt auf den Weg nach Bingen gemacht habt und mit mir zum Sonne gucken mitgekommen seid. Ich bin stolz auf Euch! Ganz besonders auf die Nachteule an meiner Seite, die bei der „Sch …-Idee“ mitgemacht hat und dem frühen Vogel eine Chance gegeben hat. Bergwunder gibt es immer wieder. Danke an Andrea und Jan vom Bike-Loft für die Organisation der Stirnlampen. Danke Lupine fürs Licht. Danke Sonne fürs Scheinen. Wir sehen uns wieder!!!
Fixe Ideen sind doch oft die besten!
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