Am Sessellift geht’s an der Seite rein. Zwischen den Häusern wird der Weg schmal. Bereits nach kurzem Einstieg stehe ich auf dem breiten Schiefer-Rücken des Hirschkopfs (302 m), der sich fast bis zur Gipfelstation zieht; gespurt mit einem Felsenpfad. Später am Morgen werde ich hier mit neuen Erfahrungen und einer — sagen wir mal — speziellen Begegnung absteigen. Doch der Reihe nach.
Es ist 5.30 Uhr. Noch ist alles ruhig am Mittelrhein-Klettersteig bei Boppard. Mitte Juli ist es bereits hell, aber die Sonne noch nicht aufgetaucht. Dunst liegt über dem Rhein. Keine Menschenseele unterwegs.
Endlich stehe ich hier. Immer wieder werde ich in meinen Kursen auf den Mittelrhein-Klettersteig angesprochen. Bisher kenne ich ihn nur vom Hörensagen. Er gilt als einer der wenigen alpinen Klettersteige nördlich der Alpen und ist mit dem Schwierigkeitsgrad B eingestuft. Heute ist er dran. Ich werde ihn selbst erkunden; herausfinden was dran ist an dem Label „Alpin“!
Der Wegweiser informiert über die Möglichkeiten: Wandervariante hier lang. Klettersteigvariante dort lang. Ich gehe dort lang, stehe sofort an der ersten kurzen Leiter, gehe ein paar Schritte und schaue gut acht Meter plus in die Tiefe.
Verglichen mit dem Umfeld der ersten Leiter am Hindelanger Klettersteig ist dieser Abstieg harmlos. Statt auf nacktem Fels stehe ich quasi mitten im Wald. Trotzdem ist diese Doppelleiter mit dem Schwierigkeitsgrad A/B kategorisiert und mit einem Führungsseil versehen, um die Karabiner eines Klettersteigsets einzuhängen.
Die nächsten zwei Kilometer steige ich über zehn Eisenleitern, 130 Trittbügel [Klammern] und an fast 200 m Stahlseil entlang immer weiter in die Höhe [hin und wieder ein Stück hinab, um erneut zur nächsten Kletterpartie ansetzen zu können]. Haushohe Schieferplatten hoch, runter oder entlang. Rechts und links immer Bewuchs. Unter mir der Bopparder Hamm, die größte Schleife des Rheins. Gegenüber auf der malerischen Flusshalbinsel liegen Filsen und Osterspai.
Für die Augen ein Genuss. Was akustisch hier abgeht, wird mir erst NACH dem Durchstieg bewusst. In Hörweite der Kletterroute liegen Bahnlinie, Straße und der Schiffsverkehr. Aber im Moment höre ich nur meinen eigenen Atem. Ich bin im Hier und Jetzt. Mit der Aufmerksamkeit beim Klettern, Greifen, den nächsten Zug taxierend und – an sicheren Positionen – beim nächsten Motiv.
Plötzlich scheint der Klettersteig zu Ende. Eine ganze Weile folge ich einem schmalen Pfad, der zudem auch noch bergab führt, wo ich mich doch gerade schon oben angekommen wähnte. Die Wegweiser klären wenig auf, was den weiteren Verlauf betrifft. Die Neugierde siegt und wird belohnt. Kurze Zeit später stehe ich vor einer beachtlichen Felswand mit Klammern und Felskanten, die mit den Schwierigkeitsgraden A/B und B bewertet ist.
Oben empfangen mich Ruhebänke. Ich bin durch! Durch die Kletterwände, durchgeschwitzt und durchaus bissl müde in Armen und Beinen. Ich lasse mich nieder. Mit der zufriedenen Gelassenheit, die sich nach längerer körperlicher Anstrengung und mentaler Konzentration einstellt. Schäle mich aus dem feuchten Fleece-Shirt. Nehme einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche. Lasse das Erlebte sacken. Gucke und gucke und gucke. Während über Boppard immer noch der Morgendunst hängt, glitzert hinten am Horizont der Rhein in goldenem, gleißendem Licht. Bild für die Götter und Klettersteig-Bezwingerinnen.
Eine Belohnung mehr folgt. Jetzt wird gewandert! Immer wieder laden Lücken zwischen den Bäumen zum Blick über die Rheinschleife ein. Die angegebene Gehzeit von 2–3 Stunden würde sich deutlich in die Länge ziehen, wenn Du an jedem Ausguck und jeder Ruhebank mit Weitblick Wurzeln schlagen würdest. So viele sind es an der Zahl! So werfe ich jeweils einen kurzen Blick ins Tal, lasse mein Herz einen begeisterten Hopser machen und schon geht es auf schleifigen Traumpfaden weiter Richtung Fesserhöhe. Der Weg führt eine ganze Weile auf und ab durch einen wunderschönen, knorzigen Eichenwald, gesäumt von Heidekraut. Schließlich lande ich auf Asphalt und passiere die Besucherterrassen der beiden Ausflugscafés am Vierseenblick.
Inzwischen ist es 10 Uhr vormittags. Ich liebäugle ich mit einer Fahrt ins Tal per Sesselbahn. Doch leider bin schon ein ganzes Stück den Berg hinunter als ich enttäuscht feststelle: Du bist an der Bergstation vorbei gelaufen. Alla dann, runter nach Boppard zu Fuß.
Schwebend wäre mir die Begegnung der besonderen, oder besser, der sonderlichen Art entgangen, die ich eingangs erwähnte. Plötzlich kommt mir ein Trupp amerikanischer Touristen von unten entgegen. Statt sich bequem mit dem Sessellift nach oben tragen zu lassen, steigen sie tapfer den Felsenpfad hoch. Einige haben echt ihr Schaff damit, machen aber keine Anstalten aufzugeben. Sogar die Rollator-Kandidatin, die von Mann und Freund wie eine Puppe nach oben gehievt wird, weil ihre Beine immer wieder zur Seite wegsacken. Respekt. Und eigentlich auch Kopfschütteln.
Soderle. Heike, was sagste? Alpin? Pseudoalpin? Möchtegern-Klettersteig? Es ist so: Bislang kenne ich an echten alpinen Klettersteigen nur den Hindelanger Klettersteig. Aus dieser Erfahrung heraus stelle ich fest: Der Mittelrhein-Klettersteig hat durchaus in einzelnen Abschnitten das Zeug zum alpinen Klettersteig. Aber wenn ich bedenke, dass der Hindelanger Klettersteig mit der Schwierigkeitsstufe B/C kategorisiert wird, dann wundere ich mich schon. Denn auch der Mittelrhein-Klettersteig hat B‑Passagen. Persönlich liegen für mich allerdings Welten zwischen diesen Klettersteigen. Es macht eben gefühlsmäßig schon einen Unterschied, ob Du auf 2000 Meter plus oberhalb der Baumgrenze auf einer Leiter stehst oder ob Du in einem Hang über dem Rhein mit einer Fallhöhe zwischen 10 und 30 Metern herumkraxelst.
Wichtig: Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind auch bei diesem Mittelgebirgs-Klettersteig absolute Voraussetzung!
Braucht es wirklich eine Klettersteig-Ausrüstung? Gurt, Set, Helm, Handschuhe? Die Betreiber des Mittelrhein-Klettersteigs schreiben: Für Kinder und Ungeübte unbedingt. Da ich zum Geburtstag eine Klettersteig-Ausrüstung geschenkt bekommen habe, wollte ich die natürlich jetzt auch ausprobieren. Deshalb bin ich gesichert von Kopf bis Fuß gegangen. Einmal hat mich der Helm vor einer Beule am Kopf durch Anstoßen an einem überhängenden Ast bewahrt. Ein anders Mal ging es luftig ums Eck‘. Da war ich ganz froh über die am Sicherungsseil eingehängten Karabiner meines Klettersteigsets.
Sportliche Menschen können den Klettersteig auch ohne Klettersteig-Ausrüstung gehen, wenn sie bei der Sache sind und mit der gebotenen Umsicht!
Übrigens: Wer keine Ausrüstung hat, kann sie vor Ort an leihen.
Ausleihe Kletterausrüstung bei der Aral Tankstelle, Koblenzerstraße, 56154 Boppard, Telefon: 06742/2761. Gegen Kaution 20 Euro sowie Leihgebühr 5 Euro je Set, sowie Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Führerscheins.
Anders sieht es aus hinsichtlich der Anforderung an die Kräfte. Wie gesagt, meine Muckis in Armen und Beinen atmeten auf, als ich über den Rand der letzten Felswand gestiegen war. Du musst Dein Körpergewicht sicher tragen und halten können. Ganz klar: Der Mittelrhein-Klettersteig beansprucht die Extremitäten ordentlich und ist nichts für körperlich Schwache!
Die gute Nachricht: Einige Kletterpassagen können auf einem schmalen Wanderweg umgangen werden. Wer sich also nicht ganz sicher ist, ob er den Schieferfelsen mental und physisch gewachsen ist, wem unterwegs die Kräfte verlassen oder der Mut abhandenkommt, der kann jederzeit umkehren und weiterwandern statt weiterklettern. Orientierung über die Ausstiege bietet die Topo dieses Klettersteigs auf der Website www.via-ferrata.de.
Der Mittelrhein-Klettersteig ist eine fünf Kilometer lange Traumschleife. Also ein Premium-Rundwanderweg mit Gelegenheiten zum Klettern im Terrain zwischen Mühltal – Engelseiche – Mühltal. Eine wunderschöne Mittelgebirgslandschaft am Fuße des Hunsrücks durch die Bergwelt am Rhein.
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