Mit orientierungsfreundlichen Premium-Wanderwegen sieht es im mittelgebirgigen Taunus bisher mau aus. Erfreulicherweise ändert sich das gerade. Unter dem Label „Wispertrails“ markieren Heidenrod, Lorch am Rhein, Bad Schwalbach, Schlangenbad und Rüdesheim derzeit 14 neue Rundwege rechts und links des wildromantischen Wispertals. Der Wispertalsteig und eine der Runden sind fertig. Auch die habe ich mir bereits unter die Füße genommen: Der „Dickschieder Wildwechsel“ (13,6 Kilometer, 460 Meter auf, 480 Meter runter).
Dickschied. Wo liegt Dickschied?
Vor mir auf dem Boden liegt die Wanderkarte „Rheingau 1“ vom Hessischen Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation im Maßstab 1:25.000. Der Bereich „Naturpark Taunus“ sieht aus wie ein Flickenteppich: Gaaanz viel grüne Fläche; also Wald. Durchsetzt von großen und kleinen hellen Flächen; also offenes Land. Wie ein eingefärbtes Sahnehäubchen sitzt auf jedem hellen Fleck ein rosafarbener Klecks. Auf Karten ist Rosa (oder Hellrot) das Kennzeichen für bebautes Gebiet. Kleiner Klecks bedeutet Dorf.
Um jedes Dorf winden sich wild und eng gesetzt dünne braune Höhenlinien. Kartenleser erkennen daran, dass im Taunus keine Flachlandtiroler wohnen, sondern Bergvolk. Das was auf dem ersten Blick harmlos als offenes Land daherkommt – die besagten hellen Flächen — , sind in Wirklichkeit die charakteristischen Hochflächen des Taunus, die die Wasserläufe haben stehen lassen; zu hart das Gestein darunter.
Auf welcher der zahllosen Hochflächen des Naturparks Taunus liegt denn nun das Dörfchen Dickschied? Da kannst Du Dir schon mal einen Wolf suchen. Schneller geht es mit Hilfe der Suchfunktion der digitalen Karte auf dem Smartphone. Die setzt bei Dickschied eine Marke und im Abgleich der Karten werde ich schnell fündig.
Liebes Vieh und Wildwechsel vielleicht
Gleich kurz nach dem Wanderplatz kommt mir das erste „Wow“ über die Lippen. Die Mittagssonne scheint ins Gesicht. Ein sanfter Wiesenpfad führt zum ersten Panoramablick und dann weiter den Hang hinunter, sanft und fußfreundlich zum Glück, denn die Augen sind den gesamten Abstieg mit ausgiebigem Schweifen über Täler und Höhen beschäftigt. An Pferdekoppeln und Ziegenweiden vorbei geht es hinunter zum Falkenhof, wo die „Bunten Bentheimer Freilandschweine“ grunzend die Wanderer grüßen.
Später auf dem schmalen Abstecher-Pfad zum Ruhestein sage ich noch: „Das hier ist Wildschwein-Terrain!“ Dann läuft auch schon die Wildsau-Mama mit ihren Frischlingen durch den Hang; rund 100 Meter unter uns. Im Herzbachtal sehen wir über unseren Köpfen Hirsche und Rehe in weitem Sprung. Sie erinnern uns daran, dass wir auf dem „Dickschieder Wildwechsel“ unterwegs sind. Ohne Garantie.
Lei ohne Einerlei
Seit meinem Ausflug an die Mosel im vergangenen Herbst, kenne ich die Bedeutung der Endung „-lei“ oder „-lay“. Sie wird Flurnamen angehängt, wenn ein Fels von nennenswerter Größe im Spiel ist. Die Wisper, der Mehrbach und der Herzbach – die drei größeren Bäche rund um Dickschied – mussten sich einigen solcher Felsen geschlagen geben. Der Ruhestein oder Rabenlay und der Spitzlei. Beide Felsen sind Highlights dieser Wanderung und sorgen für spannenden Untergrund auf der sonst überwiegend auf breiten, gut begehbaren Waldwegen verlaufenden Rundtour.
Diese gebirgigen Abschnitte erfordern einen beherzten Tritt und gutes Profil. Wobei der Stich runter zum Ruhestein optional ist. Mit einer helfenden Hand als mobiles Geländer sollte die Passage rund über den Wisper Thron und um den Spitzlei aber auch für nicht ganz Trittsichere machbar sein.
Ausblicke mit festem Boden unter den Füßen bieten das „Geroldsteiner Fenster“ und das Panorama am „Geroldsteiner Weg“ unterhalb des Atzmanns. An beiden Punkten stehen Ruhebänke zum Seele-baumeln-lassen und Auf-die-Welt-runter-Gucken.
Volle Entspannung ist auch angesagt auf der Pi mal Daumen 1,5 Kilometer langen Passage durch das tiefe, aber breite und daher sonnige Herzbachtal. Direkt am Wasserlauf entlang.
Was danach kommt, kann ich nur ahnen. Wir sind nach Heimatwandern Manier unterhalb des Flurstücks „Grober Berg“ über einen nicht ausgeschilderten Weg raus aus dem Tal. Oder besser gesagt: 50 Meter oberhalb des Tals wieder zurückgewandert. Im Glauben damit abzukürzen. Das war ein Trugschluss. Wir sind 14, 5 Kilometer gewandert. Aber egal. Auf diese Weise haben wir einen einsamen, wunderschönen Weg entdeckt, der sicher nur von Einheimischen begangen wird, wenn überhaupt. Mir sein Dank, hatten wir die Papierkarte dabei. Dort unten gibt es nämlich kein GPS-Signal. Wem der Sinn nicht nach Abenteuer steht, der geht einfach der schönen blauen Markierung des „Dickschieder Wildwechsels“ nach; der bei Hilgenroth wieder die Hochfläche erreicht und Wanderer über die Felder sicher zurück zum Wanderparkplatz führt.E
Für Kurze-Runde-Geher …
Neben der wilden Schönheit der Landschaft hat diese Rundwanderung noch einen Reiz ganz anderer Art: Aufgrund der Wegführung ähnlich einer Acht, lässt sich die große Runde nach Belieben in zwei kürzere Ründchen aufteilen. Ab Wanderparkplatz Dickschied über Falkenhof, Geroldsteiner Fenster und Ruhestein rund um den Atzmann (444 Meter ü. NN) über den Geroldsteiner Weg zurück zum Wanderparkplatz (5 Kilometer). Oder ab Wanderparkplatz Dickschied über Geroldsteiner Weg runter ins Herzbachtal über Hilgenroth zurück nach Dickschied (8 Kilometer).
Egal ob Du die große Runde gehst, oder eine kurze Spazierwanderung unternimmst, an einem Kulturgut dieser Region kommst Du auf jedem Fall vorbei: Die alte Dickschieder Wehrkirche mit markantem Turm. Sie soll 800 Jahre alt sein. Mein Trockenmauerherz ließ besonders die alte, in Trockenmauerwerk aus Taunusschiefer errichtete, Kirchhofmauer höherschlagen.
Wispertrail “Dickschieder Wildwechsel” (Karte bei GPS Wanderatlas)
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