Wie sind zu zweit im Tannheimer Tal unter­wegs. Uner­wartet biegt mein Wan­der­part­ner zum Steig ab. So schnell ist er im steilen Hang. Ich habe keine Gele­gen­heit mehr, Ein­spruch einzule­gen. Ich ste­he vor vol­len­de­ten Tat­sachen. Mir bleibt nur hin­ter­her zu krax­eln; den Anschluss ver­passen ist keine Option in diesem unbekan­nten Terrain.

Zeternd und fluchend kämpfe ich mich den schmalen Pfad hoch. Der wird immer geröl­liger, aus­ge­set­zter. Ein falsch­er Tritt und ich mache hier den Abgang, denke ich wieder und immer wieder. Meinen Wan­der­part­ner habe ich längst aus den Augen ver­loren. Wer weiß, was da noch kommt. Werde ich das schaf­fen? So ein Mist. Was ich über meinen Wan­der­part­ner denke, behalte an dieser Stelle lieber für mich.

Schließlich komme ich oben an. Alleine. Kein Wan­der­part­ner weit und bre­it. Zum Glück ist die Rich­tung ein­deutig. Zumin­d­est die Sorge, falsch abzuzweigen bleibt mir erspart. Allerd­ings trifft mich der Schlag als ich den Ver­lauf des Pfades real­isiere: In mein­er Erin­nerung 90 Zen­time­ter von ein­er Kante ent­fer­nt ent­lang. Jen­seits der Kante im freien Fall eine min­destens 100 Meter hohe Wand. Ich laufe in die Höhenangst­falle: Ich will, nein eigentlich muss ich weit­er. Aber mir stockt der Atem. Die Knie sind weich. Alles in mir schre­it: Stopp, stopp, stopp. Dieser Zwies­palt führt unver­mei­dlich in die Block­ade. Ich set­ze mich auf einen Stein, an ein­er Posi­tion, an der ich mich halb­wegs sich­er füh­le und heule wie ein Schlosshund.

Zum Glück haben wir bei­de unsere Smart­phones dabei. Und es ist Emp­fang. Aber in der Aufre­gung kann ich das Handy nicht mehr richtig bedi­enen. Meine Hände zit­tern. In der gleißen­den Sonne erkenne ich kaum etwas auf dem Display.

Dann geschieht ein Wun­der: Ich höre die Stimme meines Wan­der­part­ners über das Tele­fon. Ich schildere meine Sit­u­a­tion. Er kommt zurück. Puuh. Zusam­men pack­en wir die für mich schwierige Stelle. Mit ihm an mein­er Seite, sehe ich plöt­zlich für mich Möglichkeit­en, die aus­ge­set­zte Pas­sage zu schaf­fen. Ich beruhige mich und gehe Schritt für Schritt an der Kante lang. Dann entspan­nt sich das Ter­rain. Der Weg wird bre­it­er. Es geht abwärts. Ich sehe die Alm. Die urige Ter­rasse aus Holz und fröh­lichem im Wind flat­tern, bun­ten Son­nen­schirme. Alles ist mit einem Schlag wieder gut.

Diese Geschichte liegt viele, viele Jahre zurück. Inzwis­chen hat sich einiges verän­dert bei mir, bei meinem Wan­der­part­ner und bei unserem Miteinan­der in den Bergen. Ich habe gel­ernt mit mein­er Höhenangst gelin­gend umzuge­hen, wir haben Strate­gien entwick­elt, wie wir gemein­sam solche däm­lichen Sit­u­a­tio­nen, wie damals im Tannheimer Tal in Zukun­ft ver­mei­den. Außer­dem haben sich unsere Leis­tungsstände verän­dert. Kon­di­tionell bin ich meinem Wan­der­part­ner heute um einiges näher als damals.

Ich schildere diese Sto­ry hier so aus­führlich, weil auch Du als Leserin oder Leser daraus ler­nen kannst: Zum einen: Zuver­sicht und men­tale Stärke sind nicht nur Sache des Einzel­nen, son­dern auch der Gruppe! Zum anderen gibt diese Erfahrung Hin­weise, wie wir uns in Berg­wan­der­grup­pen [die begin­nt ab zwei Per­so­n­en] ver­hal­ten, damit diese gemein­same Stärke entsteht.

Gemein­same Stärke ist kein Selb­stläufer. Sie ist an bes­timmte Bedin­gun­gen geknüpft: Anwe­sen­heit, Bedürfnis­sen gerecht wer­den und Zuhören.

Zusammenbleiben statt auseinander driften

Beson­ders wenn es in ein­er Gruppe Leis­tung­sun­ter­schiede gibt, passiert es ruck zuck, dass der stärkere Part­ner davonzieht und der- oder diejenige in der schwächeren Posi­tion nicht mehr mitkommt, den Anschluss ver­liert und zurück­fällt. Die Gefahr beste­ht, sich aus den Augen zu ver­lieren, unmerk­lich auseinan­der zu driften. Mit allen Kon­se­quen­zen, die daraus fol­gen kön­nen: sich Sor­gen machen umeinan­der, Ungewis­sheit über die Weg­wahl, Angst sich zu ver­laufen, sich mit Prob­le­men alleine gelassen fühlen, sich übere­inan­der ärg­ern und so weit­er und so weit­er. Das sind Bedin­gun­gen, die allen Beteiligten die Berg­tour ver­miesen. Viel beden­klich­er sind die Auswirkun­gen auf die ohne­hin angeschla­gene Ver­fas­sung von Ängstlichen und Unsicheren. Sor­gen und Ärg­er trig­gern die Angst und die Unsicher­heit weit­er an. Sie bee­in­flussen unsere Aufmerk­samkeit neg­a­tiv, sie rauben uns zusät­zlich wertvolle Energie und im schlecht­esten Fall machen sie uns dadurch hand­lung­sun­fähig. Und das in ein­er Sit­u­a­tion, wo genau das gefragt ist: ein wach­es Auge für das, was zu tun ist, Kraft und die Fähigkeit kluge Entschei­dun­gen zu treffen.
Deshalb ist es so wichtig, bei ein­er Berg­wan­derung zusam­men­zubleiben und dem Bergkam­er­aden, der Bergkam­eradin, der oder die in eine unsichere Sit­u­a­tion kommt [möglicher­weise völ­lig über­raschend], not­falls durch bloße Anwe­sen­heit zur Seite ste­hen zu können.

Bedürfnissen gerecht werden statt Ego-Trip

Klar, jed­er will in den Bergen auf seine Kosten kom­men. Die eige­nen Bedürfnisse hin­te­nanstellen, die eige­nen Wün­sche und Ideen nicht umset­zen kön­nen, das geht auf die Dauer auf die Moti­va­tion und früher oder später auch bei dem Geduldig­sten und der Empathis­chsten zu Las­ten der Bere­itschaft auf andere Rück­sicht zu nehmen. Umgekehrt: Das Gefühl, immer das let­zte Rad am Wagen zu sein, bremst früher oder später den Antrieb zum gemein­samen Wan­dern auch beim Gesel­lig­sten gehörig aus.

Deshalb macht es ger­ade bei Leis­tung­sun­ter­schieden oder auch unter­schiedlichen Inter­essen [die eine will auf jeden Gipfel und der andere hat seinen Spaß daran, nach dem Auf­stieg auf der Son­nen­ter­rasse ein­er Berg­jause zu relax­en] Sinn hin und wieder auch mal getren­nte Wege zu gehen. Das kann ein Tag sein, dass kön­nen ein paar Stun­den sein oder auch auf der Tour selbst.

Ein Paar hat sich nach einem Prax­is-Einzel­coach­ing Höhenangst über­winden“ mit Part­ner ohne Höhenangst bei mir fol­gen­den Plan zurecht­gelegt: Ihm kann es am Berg nicht aus­ge­set­zt genug sein und er geht am lieb­sten bis an die Kante. Sie muss eigentlich nicht auf jeden Felsvor­sprung und hat über­haupt kein Prob­lem damit, auf der Besuchert­er­rasse im Lieges­tuhl ein gutes Buch zu lesen, während der Göt­ter­gat­te sein­er Aben­teuer­lust frönt. In Zukun­ft wer­den sie die gemein­same Zeit in den Bergen stun­den­weise auch mal jed­er für sich gestal­ten. So bleibt die Stim­mung oben, die Bere­itschaft auf den anderen einzuge­hen wächst und kein­er braucht sich Gedanken zu machen, dass dem anderen was abge­ht. Miese Gedanken und schlecht­es Gewis­sen weichen der Freude über gemein­sam ver­brachte Wanderzeit.

Bei kon­di­tionellen Unter­schieden lässt es sich oft schw­er ver­mei­den, dass auf ein­er Wan­derung unter­schiedlich­es Tem­po gegan­gen wird. Für den Stärk­eren kann es zer­mür­bend sein über einen län­geren Zeitraum unter seinen Möglichkeit­en zu bleiben. Hier kann man der ungle­ichen Verteilung der Kräfte ent­ge­genkom­men, indem der Stärkere voraus­ge­ht. Dabei ist es allerd­ings unab­d­ing­bar einen für alle Beteiligten erkennbaren Tre­ff­punkt zu vere­in­baren. Mein Wan­der­part­ner und ich haben aus­gemacht, wenn ein­er von uns bei­den voraus geht, dann wird am näch­sten Abzweig gewartet. Auf diese Weise, kann kein Zweifel aufkom­men, wo der andere weit­erge­gan­gen ist. Regelmäßig kommt man wieder zusam­men und kann ggf. neu entscheiden.

Grund­sät­zlich sind solche Strate­gien ein­vernehm­lich zu entschei­den. Sie set­zen voraus, dass man sich abspricht und sich an Ansprachen hält: Wie lange ist man unter­wegs, wann kommt man zurück, wo tre­f­fen wir uns wieder.  Gemein­same Stärke funk­tion­iert auch bei vorgestell­ter Anwe­sen­heit”: dem anderen ver­trauen, sich aufeinan­der ver­lassen kön­nen, zu wis­sen, ich bin im Moment allein, aber nicht einsam.
Flex­i­bil­ität hin oder her: Sicher­heit geht grund­sät­zlich vor! Also bitte niemals einen Wan­der­part­ner irgend­wo im Nir­gend­wo zurück­lassen oder sich tren­nen, wenn am Hor­i­zont Gewit­ter­wolken aufziehen. Wenn auch nur der Hauch von Ungewis­sheit, Zweifel oder Unsicher­heit beste­ht über Wet­ter, Ver­lauf und Schwierigkeits­grad der Tour lautet die eis­erne Regel: gemein­sam weitergehen!

Richtig zuhören statt aneinander vorbeireden

Sich absprechen ist das eine, miteinan­der reden, das andere. Der sprin­gende Punkt dabei ist: richtig zuhören, was der andere sagt. Son­st passiert es leicht, dass man aneinan­der vor­beiredet. Um kurz noch mal zum vor­ange­gan­genen Absatz zurück­zus­prin­gen: Grund­vo­raus­set­zung, dass man sich trifft, ist, dass zweifels­frei über den gle­ichen Tre­ff­punkt gesprochen wird. Wenn Men­schen kom­mu­nizieren lauert noch eine andere Stolper­falle: Wenn du wüsstest, wie oft wir uns völ­lig grund­los aufre­gen, nur weil wir die eigene Inter­pre­ta­tion des vom anderen Gesagten als bare Münze nehmen, statt uns die Mühe zu machen, dem anderen aufmerk­sam zuzuhören und inhaltlich kor­rekt aufzunehmen. Um richtig anknüpfen zu kön­nen, brauche ich den richti­gen Anknüp­fungspunkt. Ich will gar nicht wis­sen, wie viele Wan­derurlaube den Bach run­terge­gan­gen sind, Wan­der­grup­pen und Paare sich eine eigentlich schöne Tour kaputt gemacht haben, nur weil sie von völ­lig ver­schiede­nen Din­gen gesprochen haben ohne sich darüber bewusst zu sein. Blöd, gell!!!

Eine pri­ma Tech­nik um richtiges Zuhören zu üben, ist das Wieder­holen von dem, was der andere gesagt hat, bevor man den eige­nen Senf dazu gibt.
Beispiel: Zuhör­er: Du hast gesagt, dass das Wieder­holen von Sätzen, die Dein Gesprächspart­ner ger­ade gesagt hat, eine gute Tech­nik ist, um das Zuhören zu üben.“ Das find­en ich einen inter­es­san­ten Vorschlag. Macht das aber Gespräche nicht sehr müh­sam?“ Ich: Du find­est meinen Vorschlag inter­es­sant, fragst Dich jedoch, ob diese Tech­nik Gespräche nicht anstren­gend macht.“ Ja, Kom­mu­nika­tion wird damit inten­siv­er und braucht einen Tick mehr Konzen­tra­tion, aber dieser Ein­satz lohnt sich: man beugt Stre­it und Ärg­er vor und holt mehr Schönes aus der gemein­samen Unternehmung raus.“ Wenn Du diese Tech­nik aus­pro­bierst, wirst Du staunen, welche Diskrepanzen zwis­chen dem was gesagt und dem was gehört wurde in Gesprächen zutage treten. Echt lustig, wenn es nicht so trau­rig wer­den kann.

Zuver­sicht und men­tale Stärke eines Einzel­nen ist also auch eine Frage, wie wir in der Wan­der­gruppe miteinan­der umge­hen. Diese gemein­same Stärke baut auf wohltuen­dem Miteinan­der auf. Drei Grundbe­din­gun­gen hier­für sind: Erstens zusam­men­zubleiben, rein physisch für den anderen da zu sein, wenn er mich braucht, um Stress, Ärg­er und Sor­gen vorzubeu­gen. Zweit­ens in ein­vernehm­lich­er Absprache auch mal eigene Wege zu gehen, um unter­schiedlichen Inter­essen in der Gruppe gerecht zu wer­den und auf diese Weise beim Einzel­nen Moti­va­tion, Geduld und Empathiev­er­mö­gen zu stärken. Drit­tens uns richtig zuhören, um Fehlin­ter­pre­ta­tio­nen und Missver­ständ­nis­sen vorzubeugen.