Natürliche Aussichtspunkte ziehen mich an wie der magnetische Norden die rot markierte Nadelspitze in meinem Kompass.
So auch zwei ausgesetzte Felsen im Oberen Mittelrheintal, auf die ich über einen Film über den Rheinsteig aufmerksam geworden bin: den Spitznack und die Felskanzel. Die standen schon länger auf meiner Erkundungsliste. Aus dem an sich harmlosen Vorhaben ist schließlich ein kleines Abenteuer geworden, das mich den ganzen vergangenen Winter über beschäftigen sollte und mir vermutlich immer in Erinnerung bleiben wird.
Ausgerechnet an einem regnerischen, kalten Tag Mitte Dezember machte ich mich auf den Weg. Es hat sich einfach so ergeben. Zusammen mit meiner Tochter Eva, meiner Enkeltochter Quinn und den beiden Hunden Coco und Emma bin ich los. Das Baby warm eingepackt im geländegängigen Kinderwagen, rund herum geschützt mit einer wasserdichten Schutzhülle. Wir Frauen kleidungsmäßig und mit Schirm so ausgerüstet, dass es für eine 8 Kilometer lange Wanderung im Regen reichen sollte, um uns weitgehend trocken zu halten.
Der Plan war von dem Örtchen Bornich aus, durchs Borchnisbachtal runter zum Rheinsteig zu gehen und von dort aus diesem folgend Richtung Loreley die Felskanzel am Spitznack anzusteuern. Von dort wollten wir weiter zur Loreley und nordöstlich über die Felder zurück nach Bornich wandern. Eigentlich eine schöne, kurze Winterrunde, die ich auf der Wanderkarte selbst zusammengestellt hatte.
Wie sich vor Ort herausstellte ist es jedoch schon Abenteuer genug mit einem Kinderwagen zumindest auf diesem Abschnitt des Rheinsteigs unterwegs zu sein. Auf die Aktion über einen schmalen Pfad aus dem Bornichbachtal hoch auf den Rheinsteig habe ich mich nur eingelassen, weil meine durch Crossfit muskelmäßig gut ausgestattete Tochter wild entschlossen schon mitten drauf war bevor im nur einen Ton des Bedenkens herausbringen konnte. Diese Geschichte hat jedenfalls Potential in die Familienanalen einzugehen. Es gibt kein Foto davon. Einfach weil wir beide alle Hände voll zu tun hatten, den Wagen sicher hoch zu hieven. Ich an der abschüssigen Flanke sichernd die Richtung vorgebend. Eva damit, das dreirädrige Gefährt nach oben zu drücken und gleichzeitig beruhigend auf mich einzureden.
Außerdem waren wir für einen dunklen Dezembertag viel zu spät los. Als wir die Felskanzel erreichten, zeigte die Uhr bereits gegen halb vier Uhr nachmittags. Wir Frauen waren schon gut durchgeweicht. Auch der Boden und die Felsen waren nass und rutschig. Deshalb reichte es leider nur für einen kurzen Blick aus sicherer Distanz. So richtig konnten wir die Aussicht nicht genießen. Wir beschlossen umzukehren und den Schlenker zur Loreley auf einen sonnigen Tag im Frühjahr zu verschieben. Nach kurzentschlossenem Queren eines Ackers [der Kinderwagen hat große Räder], erreichten wir knapp vor Einbruch der Dunkelheit wieder den Ortsrand von Bornich. Wir Frauen klatschnass und schon leicht fröstelnd; das Baby, weiter warm und trocken eingepackt, hat von unserem kleinen Abenteuer zum Glück nichts mitbekommen. Stichwort „Famileinanalen“: Die Story werde ich ihr sicher eines Tages erzählen!
Wenn ich alleine unterwegs bin, schrecke ich vor wenig zurück. Aber wenn andere Menschen im Spiel sind, werde ich sehr vorsichtig. Auf dieser Tour habe ich hin und wieder die Luft angehalten. Trotzdem war dieses Erlebnis eher von der Sorte Abenteuer, die mich zufrieden macht, weil gelingend gemeistert und daher mit dem Gefühl verbunden, volle Kraft voraus! :-)
Den zweiten Anlauf den Spitznack zu erkunden, unternahmen wir deshalb noch im gleichen Winter! Im Februar. An einem sonnigen, aber eiskalten Tag. Von der Loreley aus und zu sechst [inklusive Hunde]. Das Baby inzwischen in einer Kraxe auf Papas Rücken. Von der Loreley aus sind es nur gut 2 Kilometer Fußweg zur Felskanzel. Wenn wir das im Dezember gewusst hätten, wären wir vielleicht doch an unserem ursprünglichen Plan gefolgt. Egal. Dieses Mal ließ die Witterung eine ausführliche Sondierung der Felsvorsprünge zu. Es gibt Ausgucke, die mehr Mut erfordern, aber auch Stellen, die geschützter, einfacher zu erreichen und mit einer Ruhebank ausgestattet sind. Die Ausblicke ins Rheintal sind wie von mir erwartet wirklich einmalig. Die Schiffe wirken winzig klein und manövrieren doch vorsichtig durch das enge Tal. St. Goarshausen liegt malerisch, lang gestreckt unten am Flussufer. Die noch relativ tiefstehende Februarsonne und die eiskalte Luft ließen das breite Wasser des Rheins wunderschön glitzern. Der Anblick erinnert mich an Bilder vom Gardasee; jedenfalls aus dem einen oder anderen Blickwinkel.
Übrigens war mir diese Felskanzel rechts des Rheins gar nicht so unbekannt, wie ich anfangs dachte. Als ich auf dem Vorsprung stand und mich umschaute, entdeckte ich am anderen Ufer Oberwesel. Der Spitznack liegt vis à vis des Oelsbergsteigs und damit direkt vor meiner Nase, jedes Mal, wenn ich dort mit meinen Teilnehmern der Höhenangstkurse unterwegs bin. Die Felskanzel ist mir zwar aufgefallen in der Vergangenheit, aber vom Oelsberg aus ist der Aussichtspunkt nicht zu erkennen. Nun nachdem ich dort war, natürlich schon. Auch die Dächer von Bornich am Ende des Bornichbachtals sind von den Hängen oberhalb von Oberwesel gut zu sehen. Was mal wieder beweist: Du siehst nur, was Du kennst!
Die Felskanzel Spitznack und die benachbarten Felsen lassen sich mit einer Wanderung auf dem Rheinsteig verbinden. Entweder auf der Etappe von Kaub nach St. Goarshausen. Oder auf einer Rundtour von Bornich oder der Loreley aus. Selbstgestrickt mit Karte oder auf der gut ausgeschilderten Premium Rundtour – Loreley Extratour (ca. 15 km).
Für mich persönlich bekommen diese Aussichtspunkte am Spitznack einen besonderen Platz im Gedächtnis. Einmal wegen des wilden, ursprünglichen Charakters der Landschaft. Zum anderen, weil damit das erste Wandererlebnis mit meiner Enkeltochter verbunden ist und sich daraus, dank der Entschlossenheit meiner Tochter und mir gleich ein richtiges kleines Abenteuer entwickelt hat.
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