„Ich habe mich über den Grat gekämpft.“, „Dann dachte ich, wenn Du hier abstürzt, dann ist das dann halt so und bin durchgegangen.“, „Wenn ich mich zusammenreiße, geht es halbwegs.“ So oder so ähnliche Erfahrungen berichten mir Kunden, die zu mir in den Kurs oder das Einzelcoaching „Höhenangst überwinden“ kommen.
Diese Herangehensweise im Umgang mit angstauslösenden Situationen in den Bergen, Türmen oder Brücken etc. nenne ich die Augen-zu-und-durch-Strategie. Denken ausschalten, Fühlen kaltstellen, Luft anhalten, ohne groß nachdenken einfach machen: fixiert darauf die Gefahr auszublenden und möglichst wenig davon an sich heran zu lassen.
Augen-zu- und-durch ist eine typische Angstreaktion. Sie tritt in Momenten der Gefahr auf, in dem wir kurzfristig so reagieren müssen, um unser Leben zu retten und weil es keinen anderen Ausweg gibt.
Augen-zu-und-durch macht jedoch wenig Sinn, wenn Du dauerhaft lernen willst, mit angstauslösenden Situationen in den Bergen, auf Türmen und Hängeseilbrücken oder wo auch immer umzugehen.
Das hat drei Gründe, die ich Dir hier gerne erläutere.
Achtung, Grübelschleife!
Wenn Du in den Bergen wanderst, auf Türme kletterst oder beim Trekking über Hängeseilbrücken tiefe Täler überwindest, machst Du das ja, um mit Ruhe die Natur zu genießen, aus Freude an der Bewegung und der Lust am Abenteuer. Was auch immer Dich zu diesen Unternehmungen veranlasst: es ist etwas Schönes, Wohltuendes, Gutes das dich motiviert. Davon gehe ich aus. Und so soll es sein.
Kommst Du nun in eine angstauslösende Situation, ein ausgesetzter Pfad, ein Grat oder eine schwankende Brücke, wittert Dein Gehirn Gefahr und versetzt Deinen Körper automatisch in den Angst-Modus.
Von Wohlfühlen, entspannt die Aussicht oder das Zusammensein mit dem Partner oder guten Freunden genießen ist in diesem Moment keine Spur mehr.
Reagierst Du nun mit Augen-zu-und-durch bleibst Du im Angst-Modus und schlitterst noch dazu immer tiefer hinein, ob Du willst oder nicht. Dein Gehirn lernt: Berge, Türme, Hängeseilbrücken sind nichts Schönes, sondern unausweichlich mit Gefahr verbunden. Also Obacht! Dieses mentale „Obacht“ wird ganz tief im Oberstübchen verankert. Man weiß ja nie. Bei nächster Gelegenheit, also in der nächsten angstauslösenden Situation, in die Du kommst oder die Dir droht, wird dieses „Obacht“ aktiviert. Du bringst diese Situation mit Gefahr in Zusammenhang, meidest das „gefährliche“ Unternehmen, brichst ab oder [fast noch schlimmer] gerätst bereits Wochen vorher wenn nur Du an diese Situation denkst in eine nervenaufreibende Problem-Lösungs-Grübel-Schleife, die Dir das schöne Vorhaben schon im Vorhin verleidet.
Augen-zu-und-durch, das Verharren in der Angst führt also zu mehr statt zu weniger Höhenangst und kann zum Selbstläufer werden.
Damit das Gehirn mit der Zeit lernt angstauslösende Situationen positiv zu bewerten, ist eine bewusste, gelingende Herangehensweise mit allen Sinnen notwendig. Das Gehirn muss entwarnende Informationen bekommen, die ihm glaubhaft signalisieren: alles ist gut, mein Mensch hat die Lage im Griff.
Wenn der Überlebensmodus gefährlich wird
Wenn Dein Gehirn Gefahr wittert, dann hat es in gewisser Hinsicht damit recht. Es bekommt von irgendwo irgendwelche Informationen zugespielt, die darauf hindeuten, das was im Argen liegt. Deshalb versetzt es Deinen Körper in einen Überlebensmodus.
Dieser Überlebensmodus löst Körperreaktionen aus, die Dich im aktuellen Tun unterbrechen und warnen sollen: Du hältst die Luft an, Deine Muskulatur verkrampft sich, das Denken und Wahrnehmen wird gestoppt. Eigentlich ist dieser Warnmechanismus eine gute Sache. Wenn Du ihn ernstnimmst.
Wenn Du ihn ignorierst und mit dem Kopf durch die Wand weitergehst, wird er selbst zum Risiko. Denn sie führt zum genauen Gegenteil von dem, was Du gerade brauchst, um mit der herausfordernden Situation umzugehen: Aufmerksamkeit, Respekt und eine adäquate Körperhaltung.
Jetzt wird es tatsächlich gefährlich: Verkrampft klammerst Du Dich an den Fels, stolperst mit starren Beinen und gleichzeitig weichen Knie über Deine eigenen Füße, kommst in Atemnot und weißt nicht vor noch zurück.
Augen-zu-durch ist also auch unter dem Aspekt der Sicherheit vor Ort keine gute Wahl. Im Gegenteil: Du bringst Dich damit erst recht in Gefahr. Keine gute Ausgangsbasis um Deine Höhenangst dauerhaft zu überwinden.
Die Freiwilligkeit bleibt auf der Strecke
Augen-zu- und-durch gehört zu unserer neurobiologischen Ausstattung. Sie ist angeboren und tritt in angstauslösenden Situationen automatisch auf den Plan.
Angeboren hin und angeboren her, wie oben dargelegt: Wenn Du Dein Gehirn machen lässt, führt das mit der Zeit zu mehr statt zu weniger Höhenangst.
Der Ausweg aus diesem Dilemma liegt in einem bewussten und gleichzeitig respektvollen Umgang mit Herausforderungen. Wie das konkret gehen kann, zeige ich Dir gerne in meinen Kursen und Coachings.
Was ich Dir hier in diesem Abschnitt aus der eigenen Erfahrung mit meiner Höhenangst an Herz legen will, ist zum einen die Erfahrung, dass es einen anderen Weg gibt. Zum anderen die Erkenntnis, dass Du Dir völlig unnötig diesen versperrst, wenn Du den Autopiloten gewähren lässt.
Ich habe es schon öfter hier im Blog geschrieben: Menschen verfügen über zwei Steuerungssysteme: Emotionen und die Fähigkeit der Selbststeuerung.
Emotionen sind nützliche Warnsignale. Wie bei Warnschildern in den Bergen oder anderswo ist es gut, wenn Du ihre Bedeutung kennst und sinnvoll darauf reagierst.
Die Augen-zu- und-durch-Taktik triggert jedoch nicht nur Angst weiter an und ist zudem gefährlich, wie oben dargelegt, sondern sie untergräbt die Freiwilligkeit! Du gehst Deiner Angst auf dem Leim. Du tust etwas, was Du gar nicht tun willst; jedenfalls nicht ohne weiteres.
Du setzt Dich damit selbst unter Druck.
Freiwilligkeit ist eine weitere entscheidende Grundvoraussetzung, damit das Gehirn Dein Tun als wohltuend und gelingend registriert, abspeichert und daraus die Zuversicht entwickelt, die brauchst, um wirklich weiterzukommen.
Kurzschlusshandlung statt Köpfchen
Augen-zu-und-durch ähnelt mehr einer Kurzschlusshandlung als einer brauchbaren Herangehensweise, um Höhenangst dauerhaft und gelingend zu überwinden.
Unter dem Strich führt sie zu mehr statt zu weniger Angst. Sie ist kontraproduktiv und trägt nichts vom dem bei, was Dich unterstützen könnte Deine Höhenangst dauerhaft in den Griff zu bekommen.
Sie ist gefährlich, weil sie Sicherheit suggeriert und in Wirklichkeit dazu führt, dass eine machbare Herausforderung zu einer tatsächlichen Gefahr wird.
Und Augen-zu- und-durch ist zu kurz gesprungen; sie setzt Dich unter Druck und konterkariert das Gefühl der Freiwilligkeit, das zwingend notwendig ist, damit Selbstvertrauen und Zuversicht wachsen können.
Mit der Augen-zu- und-durch-Strategie bleibst Du unter Deinen Möglichkeiten. Vorausgesetzt, Du willst wirklich Deine Höhenangst überwinden, dann ist es ratsam, sich einen wohlüberlegten und gleichwohl respektvollen Umgang mit ihr anzueignen.
Ich wünsche Dir Mut dazu und freue mich, wenn Du hier von Deinen Erfahrungen berichtest oder wenn wir uns persönlich kennenzulernen.
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