Jürgen Weiß ist ein Wanderblogger-Kollege von mir. Er schreibt auf wanderwegewelt.de über seine Wanderungen und Spaziergänge in NRW und sonst wo auf der Welt.
Wir haben uns beim 2. Bloggerwandern Rheinland-Pfalz 2016 kennengelernt und sind zusammen auf dem Westerwaldsteig 50 Kilometer gewandert.
Jürgen hat eine Schippe drauf gelegt. Er ist vom 9. auf den 10. September 2017 beim MAMMUTMARSCH NRW 100 Kilometer in 21:17 Stunden zu Fuß gegangen. Vorgegeben waren 24 Stunden.
Eine Woche nach seinem 100-Kilometer-Trip habe ich ihn beim 3. Bloggerwandern „Trekking Pfälzer Art“ wieder getroffen und durfte ihn zu seinem Mammutprojekt Fragen stellen.
Jürgen, Du bist vor gut einer Woche den MAMMUTMARSCH gegangen. 100 Kilometer. Danach habe ich bei Facebook gelesen, dass Du mit Deiner Frau 3 Tage im Ahrtal wandern warst und nun sind wir gestern und heute noch mal 23 Kilometer beim „Pfalz Trekking“ gewandert. Wie geht es Dir?
Jürgen Weiß: Mittlerweile merke ich mein Verschleiß. Ich habe es gerade erzählt, das linke Knie zickt, aber ansonsten geht’s. Füße sind eigentlich wieder ok. Sie sehen schlimm aus. Aber sie funktionieren. Es sind keine offenen Blasen und ich komme klar. Es ist nur das Knie. Ich denke aber, dass das tatsächlich mit der ungewohnten Distanz und den Anstiegen zu tun hat.
Warum hast Du eigentlich den MAMMUTMARSCH gemacht? Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Jürgen Weiß: [lacht] Also zum einen muss ich sagen, wir waren nüchtern. Wir wollten irgendwas Verrücktes machen. Ich saß mit meinem Nachbarn zusammen, als Mitbringsel beim Chor unserer Frauen, und wir haben überlegt, ob wir nicht was anstellen sollten. Mein Nachbar hat kräftig abgenommen, läuft [joggt] mit mir 10 bis 15 Kilometer. Da haben wir gesagt, wir machen irgendwas Beklopptes und haben uns angemeldet. Das ist noch gar nicht lange her. Vor zweieinhalb Monaten war das.
Und da war ja noch etwas mit diesem Projekt verbunden. Ich habe mich auch engagiert und Dich unterstützt. Worum ging’s da?
Jürgen Weiß: Ja genau. Vielen Dank übrigens! Das ist „Bewegen hilft“. Eine Charity-Aktion (www.bewegenhilft.de). Da geht es darum, dass Du etwas machst und dadurch anderen hilfst. Also, dass Du nicht einfach Geld in die Hand nimmst und spendest, sondern Dir Sponsoren suchst und durch Deinen Einsatz, Deine Motivation, Deine Leistung dafür sorgst, dass andere was davon haben. Und letztendlich sind mit Deiner Spende und der Spende meiner anderen Unterstützer 1200 Euro zusammengekommen.
Klasse, Jürgen!
Was sind unterm Strich die drei wichtigste Punkte, die Dich über die Strecke gebracht haben?
Jürgen Weiß: Die mich nicht haben aufgeben lassen?
Ja, genau.
Jürgen Weiß: Ganz wichtig, der aller erste Punkt war, dass ich nicht alleine war, dass wir zu zweit waren. Dass der eine den anderen gezogen hat, wo es nötig war. Gepusht hat wo’s nötig war und dadurch dafür gesorgt hat, dass der andere ans Ziel kommt.
Meine Leistung ist dabei noch nicht mal so hoch einzuschätzen. Mein Nachbar hat mit Wandern vorher nichts zu tun gehabt. Er hat wirklich trainiert dafür und das ist wirklich absolut der Hammer.
Also ganz wichtig: Du warst nicht alleine. Du hattest jemand der Dich gezogen hat und den Du ziehen konntest. Letzteres gehört auch dazu.
Ab 62 Kilometer war es, glaube ich, nur noch Wille. Da hat das auch nichts mehr mit Freude oder Spaß zu tun gehabt.
Und dann letztendlich auch die Charity-Geschichte. Dass Du wirklich auf die Zähne beißt und guckst, dass da auch wirklich was bei rumkommt.
Ich glaube, das waren die drei Dinge, die mich haben dranbleiben lassen.
Hast Du Dich vorbereitet?
Jürgen Weiß: Ja, wir haben uns vorbereitet. Ein bisschen dürftig muss ich zugeben. Im Vorfeld sind wir einmal gemeinsam gelaufen. Rund 53 Kilometer. Da ist mein Nachbar bei 40 Kilometer ausgestiegen, weil‘s nicht mehr ging. Und genau eine Woche vor dem MAMMUTMARSCH sind wir, nach einem Vater-Kind-Zelten, während alle anderen mit dem Auto nach Hause gefahren sind, zu Fuß heimgegangen. Das waren auch noch mal 42 Kilometer. Also ein Wandermarathon bei dem es uns eigentlich gut ging. Da waren wir auch schon recht zuversichtlich. Genau zum richtigen Zeitpunkt, wo wir gesagt haben, das klappt.
Würdest Du Dich als erfahrenen, geübten Wanderer bezeichnen?
Jürgen Weiß: Ja, das würde ich schon sagen. Für mich ist es nichts Ungewöhnliches 20 bis 23 Kilometer zu gehen. Das ist für mich normal. Wenn ich nicht einmal in der Woche gewandert bin, kriege ich schlechte Laune.
Du schreibst auf Facebook: „Ich habe die Grenzen gesucht, gefunden und verschoben. Das hat nicht gereicht, ich musste sie überschreiten.“ Wie fühlt sich das an, die Grenze zu überschreiten?
Jürgen Weiß: Eigentlich falsch. Weil der Gedanke war, die Grenze zu verschieben, also wirklich dran zu gehen, innerhalb Deiner Grenzen zu bleiben und diese zu erweitern. Aber wie gesagt, ab 62 Kilometern war es reiner Wille. Ab da war es kein Erweitern mehr, sondern da warst Du drüber weg. Das war nur noch funktionieren, tun, machen. Das hat nichts mehr mit Freude zu tun gehabt, was es eigentlich ja sollte. Aber du hast halt erkannt, dass Du Sachen machen kannst, von denen Du nicht wusstest, dass sie gehen.
Wie fühlt sich das an? Hast Du noch etwas gedacht?
Jürgen Weiß: Gedacht habe ich in diesem Augenblick nicht wirklich etwas. Nachher, aber das geht mir häufig so, auch wenn ich laufe. Ich laufe nicht gerne sportlich mit Turnschuhen. Aber ich erreiche gerne Ziele. Ich setze mir Ziel, ich erreiche sie gerne und ich bin froh, wenn ich sie erledigt habe. Ich bin froh, wenn ich im Ziel bin. So ging‘s mir da auch. Als ich mir Gedanken gemacht habe, was ich denn da gemacht habe, da habe ich schon ein paar Tränchen verdrückt. Da merkst Du, dass Du Sachen machen kannst, von denen Du nicht weißt, ob sie gehen oder von denen Du glaubst, dass sie eigentlich nicht gehen.
Was war Dein schönstes und was war Dein schrecklichstes Erlebnis während der 100 Kilometer-Wanderung?
Jürgen Weiß: [lacht] Eigentlich war es ein und dasselbe Erlebnis. Das habe ich auch jedem hier beim Bloggerwandern schon erzählt. Das ist vollkommen skurril.
Wir sind nachmittags um Viertel nach drei gestartet. Bei Kilometer 50, das muss irgendwann zwischen 1 und 2 Uhr nachts gewesen sein, wir waren mit der Kopflampe auf einem Trampelpfad im Wald unterwegs, den vorher schon 200 Leute gegangen waren. Es hatte den Tag vorher geregnet und es war vollkommen matschig. Ich guck‘ auf meinen Track und rufe: „Halbzeit“. Alle haben gejubelt. Yeah. Es hat ungefähr 30 Sekunden gedauert bis dann allen Leute aufgefallen ist: Du hast zwar 50 Kilometer geschafft, aber Du hast immer noch 50 Kilometer vor Dir. Das war im gleichen Moment ein positives Gefühl und der Gedanke: „Oh, Gott, Du hast ja noch 50 Kilometer vor Dir.“
Es gab noch ein oder zwei solcher Momente, wo Du erkannt hast, wenn Du jetzt Pause machst, biste raus. Und dann diese Pause nicht zu machen.
Der schönste Moment, den es gab, war, durchs Ziel zu kommen.
Du schreibst auf Facebook auch “…diese und viele weitere Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse werde ich in den Alltag mitnehmen”. Was heißt das konkret? Was konkret nimmst Du in den Alltag mit?
Jürgen Weiß: Dir die Dinge zuzutrauen, von denen Du nicht weißt, ob du sie schaffst. An die Dinge ranzugehen, nach dem Motto, das wird schon gut gehen. Das sorgt tatsächlich für mehr Selbstbewusstsein. Und es war ja auch nicht leicht. Du hast schmerzende Füße und gehst trotzdem weiter. Das sind so Dinge: nicht aufgeben, weitermachen so lange es geht, um Dein Ziel zu erreichen.
Machst Du’s noch mal?
Jürgen Weiß: [lacht] Stand jetzt: nein! Aber jetzt, wo wir drüber reden, ist es gerade mal eine Woche her. Es wird 2018 voraussichtlich wieder einen 2. MAMMUTMARSCH geben. Ich schau mal. Jetzt gerade mal im Augenblick definitiv nee!
Danke Jürgen für dieses Gespräch!
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