Je offener die Landschaft desto mehr kannst Du auf Sicht gehen. Diese Art zu wandern ist im wahrsten Sinn des Wortes stressfrei. Auf Sicht zu gehen, ist ein geruhsames, entdeckendes Wandern. Du benutzt kaum die Karte, den Kompass gar nicht. Du orientierst Dich vor allem an der Topographie: Häusern, Kirchtürmen, Straßen oder Landmarken, wie Berge, Ackerflächen, Wälder, Bach- oder Flussläufen.
Eine Landschaft, die wie gemacht ist, um auf Sicht zu gehen, ist Rheinhessen.
Rheinhessen ist ein offenes, mit hohem Himmel überspanntes Land. Das Land der 1000 Hügel. Nicht flach wie eine Flunder, sondern hügelig geformt durch moderate Berglein und Bergzüge, die die 300 Meter-Marke nirgends überschreiten. Durchzogen von flachen Tälern – mal mehr mal weniger weit.
Das Selztal ist eines davon. Es zieht sich erst von Süd-Westen nach Nord-Osten Richtung Rhein und biegt dann vor dem Zornheimer Berg bei Hahnheim nach Nord-Westen ab; wieder Richtung Rhein.
Mein Wegweiser bei einer 3‑Tages-Wanderung durch Rheinhessen, die ich vor Kurzem unternommen habe.
Eine Reise zu Fuß von der Quelle bis zur Mündung des Flüsschens Selz, das dem Tal seinen Namen gibt. Von Orbis in der Pfalz bis nach Ingelheim am Rhein.
Die Selz ist ein unscheinbares Gewässer. Sie schlängelt sich rund 60 Kilometer in großen Bögen durchs Terrain. An ihrer breitesten Stelle ist sie vielleicht 4 bis 5 Meter breit; schätze ich. Die Selz flüsselt meist so vor sich hin. An wenigen Stellen mit etwas mehr Gefälle nimmt sie kurz Fahrt auf, plätschert auch mal, um gleich anschließend gemächlich weiter ihres Weges zu mäandern. Sie lässt sich kaum aus der Ruhe bringen.
Den Reiz hier entlang zu wandern macht die naturgeschützte Landschaft aus; rechts und links ihrer Ufer.
Eine abwechslungsreiche Route, die, mit Gespür gewählt, in weiten Teilen durch das bodenständige, ruhige (halbwegs), dörfliche Rheinhessen führt.
Durch traditionelles Acker‑, Weide- und Weinbauland. An stillgelegten Eisenbahntrassen entlang. Durch alte, im Kern ursprüngliche Dörfer. Von Kirchturmspitze zu Kirchturmspitze.
Mal nahe am Flüsschen entlang, mal abseits, mal oben über die Höhen mit Fernblick, dann wieder durch wildes, ursprüngliches Naturschutzgebiet.
Den Wasserlauf immer im Blick. Du erkennst ihn ganz leicht durch den Bewuchs an den Ufern: Weiden, Sträucher und Büsche, die das Wasser brauchen und deshalb seinen Lauf zuverlässig begleiten.
Wer in Deutschland frei wandert, der trifft unterwegs zwangsläufig auf Zivilisation. So auch in Rheinhessen.
Rheinhessen ist Kulturlandschaft und Siedlungsraum.
Bei Alzey, Nieder-Olm und Ingelheim arbeitet sich die Selz durch Industrie- und Neubaugebiete, Autobahnkreuze und Straßennetze. Für Wanderer Kärrnerarbeit.
Das Anstrengende verleiht dem Schönen einen besonderen Kick.
Wer sich nicht abhalten lässt von dieser Seite der Realität, der findet hier am Rande des Ballungsgebietes Rhein-Main eine unerschöpfliche Quelle an neuen landschaftlich inspirienden Perspektiven und Blickachsen, die zum Erkunden einladen und locken.
Die hügelige Weite Rheinhessens rechts und links der Selz — ein Eldorado für wandernde, freie Entdeckergeister!
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