In Sachen Mehrtages-Wanderungen bin ich kein alter Hase. Aber ein absolutes Greenhorn bin ich auch nicht mehr.
Das erste Wandertrekking meines Lebens unternahm ich vor 25 Jahren. Unerfahren wie ich damals war, ging alles schief, was bei einer 14-tägigen Mehrtages-Tour [nicht kleckern, sonder gleich klotzen] schiefgehen kann. Rucksack zu schwer, Schuhe zu klein und Schock-Erlebnis beim Wildcampen. Aber ansonsten war es SUPER in Schweden. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Das meine ich ehrlich.
Nach dem Desaster im hohen Norden taste ich mich seit letzem Jahr wieder an die Disziplin “Mehrtages-Wanderung” heran. Schritt für Schritt. Oder besser: Tag für Tag.
Die zweite Mehrtages-Wanderung machte ich im Sommer 2016. Zwei Tage querfeldein im Naheland. Lief bestens.
Von der dritten mehrtägigen Wanderung komme ich gerade zurück. Drei Tage an dem Flüsschen Selz entlang durch Rheinhessen. Von der Quelle im pfälzischen Orbis bis zur Mündung in den Rhein im rheinhessischen Ingelheim.
Ich dachte: Mit den Erfahrungen in Schweden und im Naheland sollte dem Wechsel von zwei auf drei Tage nichts im Wege stehen. Außerdem bin ich letztes Jahr 52 Kilometer am Stück gegangen. Also so what?!
Meine Überlegungen sind einerseits aufgegangen, andererseits gar nicht.
Meine Erkenntnisse aus diesem nächsten Schritt zur mehrtägigen Mehrtages-Wanderung will ich hier mit Euch teilen.
Drei Tage sind einer mehr als zwei Tage
Nur 24 Stunden länger unterwegs als beim letzen Mal. Was soll da schon groß anders laufen als bei einer 2‑Tages-Tour? Andersherum: Manchmal bringen Dich schon kleinste Veränderungen aus dem Takt.
Auch wenn der Unterschied zum vergangenen Jahr nicht riesig ist — “nur” eine Schippe drauf -, von diesem einen einzigen zusätzlichen Tag erhoffte ich mir doch erkennbar neue und andere Erfahrungen.
Denn bedenke: Du bist einen ganzen Tag länger unterwegs. Einen Tag mehr eine Distanz gehen, die in Sachen körperlicher Belastung außerhalb des Gewohnten liegt. Du bist ohne Unterbrechung einen Tag länger in einer anderen Umgebung; schläfst 2 Nächte in fremden Betten, hast einen Tag länger die Chance in diesen besonderen Flow zu kommen, von dem alle Mehrtages-Wanderer immer berichten.
Vor allem bezüglich des letzten Punktes war ich gespannt.
Würde mental in meinem Kopf etwas anders laufen? Und wenn ja, was?
Die Selztal-Wanderung hatte ich in drei Tagesetappen à 20 Kilometer eingeteilt. Obwohl ich dieses Jahr bei meinem Tagestouren nie weiter gegangen bin als 12 bis 13 Kilometer, war ich zuversichtlich, die dreimal 20 Kilometer zu schaffen. Schließlich bin ich im letzten Sommer 50 Kilometer am Stück gewandert. Da sollte etwas weniger als die Hälfte auch ohne Training pro Tag machbar sein.
Was meine Leistungsfähigkeit hinsichtlich Kraft und Ausdauer anbetrifft, war ich daher zuversichtlich, den Anforderungen gewachsen zu sein.
Tatsächlich habe ich diese Dauerbelastung über drei Tage hintereinander kräftemäßig erstaulich gut gemeistert. Kein Muskelkater.
Bei der Ankunft abends war ich zwar jedes Mal froh mich eine Stunde hinlegen zu können; danach war ich aber wieder voll fit fürs Abendessen.
Diese wiederholte Erfahrung hat mir bestätigt, die eigenen Kräfte einschätzen zu können und hat dadurch mein Selbstvertrauen weiter gestärkt.
Und mental?
Schon am zweiten Tag stellte sich bei den täglichen Abläufen eine gewisse Routine bzw. Gewöhnung ein.
Beispielsweise merkten wir intuitiv, dass die Hälfte der Tagesdistanz gegangen und es Zeit für eine Mittagspause war; ohne auf die Uhr zu schauen und ohne die Kilometer zu messen.
Nachmittags noch unterwegs hatte ich bereits den Ablauf des Abends vor Augen: Duschen, Füße hoch, ausruhen, kurzen Statusbericht schreiben für die Mitleser auf Facebook, Abendessen, ins Bett.
Am Morgen des dritten Tages ging das Sachen zusammensuchen und Rucksack packen schon so routiniert von der Hand als würde ich in meinem Leben täglich nichts anderes tun.
Bei der Zwei-Tages-Wanderung war ich gefühlt schon wieder zu Hause bevor ich überhaupt richtig losgewandert war. Zack und vorbei. Etwas Wehmut.
Dieses Mal konnte ich mich auf einen weiteren Wandertag freuen. Endlich hatte ich die Chance tiefer ins Weg-Sein-vom Gewohnten einzutauchen und herauszufinden, wie sich das anfühlt.
Am dritten Tag morgens merkte ich tatsächlich echte gedankliche Entfernung bzw. Loslösung vom Alltagsleben. Ungefähr nach 5 Kilometern Gehen [Ich weiß noch genau wo!] hatte ich aus dem Nichts heraus das Gefühl irgendwo auf der Welt zu sein, statt wie in Wahrheit rund 30 Kilometer von meiner Haustür entfernt.
Als mich mein Mann abends am Ziel mit dem Auto abholte, löcherte ich ihn mit Fragen, wie „Und, was war los?“ Als ob ich von einer Weltreise zurückgekommen wäre und tiefgreifende Veränderungen zu Hause im Bereich des Möglichen lägen. Diesen Eindruck berichtete mir auch meine Wanderfreundin: „Ich hatte das Gefühl, ewig lange von zu Hause weggewesen zu sein.“ Und sie war ja nur 1,5 Tage unterwegs.
Ich bilde mir ein, nach diesen drei Tagen zumindest eine ungefähre Vorstellung zu haben von noch längeren Mehrtages-Wanderungen. Eine leise Ahnung, wie sich das anfühlen mag, wenn Du Dich Schritt für Schritt vom Gewohnten entfernst und in einer neuen „Welt“ heimisch wirst.
Spannende Frage: Kommt und wenn ja, wann, Heimweh?
Als Kind war ich ein echter Heimwehhase.
An diesen drei Tagen war davon nichts zu merken.
Wechsel deckt überraschende Wende auf
Ich bin eine ausgewiesene Alleine-Wanderin. In der Regel mache ich meine Abenteuer-Touren in der Heimat ausschließlich solo.
Bei dieser 3‑Tages-Wanderung schloss sich spontan eine Freundin für die Hälfte der Zeit an. Ich erzählte bei einem gemeinsamen Abendessen von meinem Plan. „Och, da hätte ich Lust mal mitzukommen!“, meinte sie.
Interessanterweise hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl dabei. Ich war froh, nicht alleine zu starten, sondern mit Begleitung. Genau so dachte ich mit gutem Gefühl an die zweite Hälfte der Wanderung, die ich alleine machen würde.
Der Wechsel von Zusammen auf Solo verlief dann anders als erwartet.
Nachdem sich meine Wanderfreundin mittags am 2. Tag verabschiedet hatte, fiel es mir gar nicht sooo leicht wie ich gedacht habe in den Solomodus um zu schalten. Es dauerte einige Kilometer bis ich mich an das alleine sein gewöhnt hatte und in meinen eigenen Rhythmus gekommen bin.
Ein Grund könnte gewesen sein, dass wir uns gut verstanden. Wir ticken ähnlich und waren von Anfang an ein eingespieltes Team. Mal wanderten wir zusammen in Gespräche vertieft, mal ging jede für sich in eigene Gedanken versunken. Keine Diskussionen, kein Ärger, keine schlechte Stimmung.
Generell beobachte ich in den letzten Monaten erstaunt, dass sich mein Bedürfnis alleine wandern zu wollen ändert. Ich muss nicht mehr unbedingt nur solo los; ich freue mich, wenn mein Mann, eine Freundin oder mehrere bekannte, unbekannte Leute mitkommen.
Nach Jahren intensiven Alleine-Wanderns werden mir das Zusammensein, das Teilen von Eindrücken und der Austausch mit anderen zunehmend auch wichtig.
Diese unterschwellige persönliche Veränderung ist mir durch diese Wechselerfahrung wieder bewusst geworden.
Umgekehrt schließe ich daraus, dass immer das Gleiche machen, sich immer in den gewohnten Bahnen bewegen, möglicherweise dazu führt, dass Du Veränderungen bei Dir selbst gar nicht oder zu spät mitbekommst.
Mit Veränderung hat auch die nächste Erfahrung zu tun.
Falsche Erwartungen
Neben all‘ den positiven Erkenntnissen hat die 3‑Tages-Wanderung auch, ich sage mal, böse Überraschungen parat.
Und zwar was meine Füße betrifft.
Die sind erst einmal hinüber für die nächsten Tage.
Dabei bin ich in Sachen Wandern, Füße und Blasen wahrlich kein Greenhorn [Vielleicht gerade deshalb die Katastrophe?! Nach dem Motto: Da habe ich alles im Griff und muss mich nicht besonders kümmern.].
Damals in Schweden bin ich mit zu kleinen Schuhen los. Nach wenigen Tagen waren meine Füße von Blasen übersät. Zum Schluss konnte ich selbst in Sandalen nur noch unter großen Schmerzen gehen. Als Konsequenz mussten wir die Wanderung abbrechen und den Rest der Strecke mit dem Bus gefahren.
Weihnachten danach bekam ich von meinen Eltern mein allererstes Paar Lowa-Wanderschuhe geschenkt. Mit denen wanderte ich bestimmt 10 Jahre blasenfrei.
Die Lowa wurden später in anderer Hinsicht zum Problem. Nämlich als ich begann, regelmäßig jede Woche längere Tagestouren zu gehen; auch längere Passagen auf Asphalt. Nach einem Sommer hatte ich mir mit der festen Sohle auf hartem Untergrund einen Fersensporn gelaufen.
Deshalb bin ich für das 50-Kilometer-Wandern-Training im vergangenen Jahr auf Trail-Running-Schuhe umgestiegen.
Ich bin das Training und die Wanderung selbst – über 50 Kilometer am Stück [!!!) – ohne eine Blase, ohne eine einzige Druckstelle, völlig schmerzfrei gegangen.
Kein Wunder also, dass ich mich bei der jetzigen 3‑Tages-Wanderung auf diese positiven Erfahrungen verlassen habe und wieder mit den Trail-Runnern los bin.
Doch dieses Mal war die Fußlage komplett eine andere.
Als Kreuz- und Quer-Geher waren wir auf Wiese unterwegs. Anfang September ist das Gras morgens nass. Weil es nachts geregnet hat oder weil sich durch die Temperaturunterschiede Tau bildet.
Schon nach wenigen Kilometern waren meine Schuhe komplett durchnässt, Socken und Füße nass. Die Trail-Runner waren nicht mehr wasserdicht.
Nasse Socken auf nasser, warmer Haut reiben fürchterlich.
Am Ende des ersten Tages hatte sich auf der einen Fußsohle die erste Blase gebildet.
Über Nacht konnte ich die Schuhe mit Zeitungspapier trocknen. Wechselsocken hatte ich ausreichend eingepackt.
Doch auch am zweiten Tag waren die Schuhe ruck zuck durchweicht.
Am Ende des zweiten Tages hatte sich auch auf der Sohle des zweiten Fußes eine weitere Blase gebildet.
Inzwischen hatte ich meinen Blasenpflastervorrat aufgestockt.
Schließlich waren noch plus/minus 20 Kilometer zu gehen.
Über Nacht wieder erfolgreiche Trocknungsprozedur.
Am dritten Tag mit trockenen Schuhen, trockenen Socken und mit Pflaster versorgten Blasen los.
Zunächst mied ich Wiesenwege. Obwohl damit der Verzicht auf schöne Passagen durch Auenlandschaft verbunden war und ich stattdessen auf einem asphaltierten Radweg entlang einer stark befahrenen Straße gehen musste.
Bei aller Vorsicht, irgendwann kam doch wieder nasses Gras. Meine ausgetretenen, lädierten Schuhe sogen die Feuchtigkeit wie ein Schwamm auf. Im Nu bildete sich erneut ein warmes Feuchtbiotop in meinen Schuhen und um meine armen, geplagten Füße herum.
Inzwischen tat jeder Schritt sauweh.
Ein Verarzten der wunden Stellen mit weiteren Pflastern und neuen, trockenen Strümpfen brachte etwas Linderung, die mich in die Lage versetzte, tatsächlich bis zum Ziel der Wanderung durchzuhalten.
Glasklare Erkenntnis aus dieser Erfahrung:
Halte Deine Füße trocken!
Der Haken: Dass Wandern mit nassen Füßen totaler Mist ist, hatte ich im Jahr zuvor beim Wandertraining im Frühjahr bereits leidvoll gelernt.
Aber diese Lernerfahrung habe ich nicht bzw. unvollständig genutzt als ich diese 3‑Tages-Wanderung geplant habe.
Punkt 1: Letztes Jahr hatte ich die glorreiche Idee meine Schuhe mit Gamaschen trocken zu halten. Diese Gamaschen lagen jetzt zu Hause in der Schublade, statt in meinem Rucksack.
Punkt 2: Ich habe mich auf meine Trail-Runner verlassen. Dabei habe ich nicht berücksichtigt, dass die Dinger inzwischen ein Jahr älter waren. Sie waren kein bisschen mehr wasserabweisenden und ausgelatscht [so dass der Fuß nicht mehr fest saß, sondern unmerklich im Schuh rutschte und rieb].
Punkt 3: Auch meine Füße waren nicht mehr die gleichen, wie letztes Jahr. Sie waren ein Jahr älter, ein Jahr mehr gegangen. Sie habe sich möglicherweise in der Größe und Ausdehnung unmerklich geändert. Dazu kommt, dass Füße bei längerem Gehen anschwellen. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass die Schuhe an einigen Stellen drücken [obwohl sie mit 1,5 Punkten über meiner Normalgröße eigentlich reichlich bemessen sind].
Der Lerneffekt aus dieser misslichen Angelegenheit ist:
Erstens dokumentiere ich ab jetzt meine Lernerfahrungen und studiere sie, wenn ich neue Vorhaben plane. So gehen wertvolle Erkenntnisse nicht verloren und ich komme wirklich weiter [im wahrsten Sinn des Wortes].
Zweitens nehme ich mit: die Dinge ändern sich, mein Körper ändert sich, meine Füße ändern sich.
Einmal gemachte Lernerfahrungen gelten nicht uneingeschränkt für andere, neue Vorhaben und für alle Ewigkeit!
Das heißt, auch wenn ich in Sachen Mehrtageswanderung mit jeder weiteren Mehrtagswanderung erfahrener werde: Immer wieder aufs Neue ist es notwendig, den Status quo auf die Rechnung zu setzen.
Drittens: Erfahrungen beziehen sich immer auf konkrete äußere und innere Rahmenbedingungen.
Ändern sich diese, und sei es nur punktuell, kann das bedeuten, dass Deine Erfahrungen nicht oder nur teilweise passen.
Meine körperliche Leistungsfähigkeit habe ich richtig eingeschätzt. Aufgrund der gelungenen Weitwanderung auf dem Westerwaldsteig und der seit 6 Jahren regelmäßigen Wanderungen, wusste ich genau: Du schaffst die Tagesdistanz dreimal hintereinander auf jeden Fall.
Richtig lag ich auch bei meinen Erwartungen hinsichtlich des Zeitraums. Die minimale Verlängerung von zwei auf drei Tage des Unterwegs-seins reichte tatsächlich für erkennbare mentale Veränderungen aus.
Bei der Frage solo oder zusammen wandern gab es eine Überraschung: Zusammen wandern macht mir plötzlich Spaß! [Mit Sicherheit werde ich kein großer Fan von Rudelwandern werden; aber zu zweit oder in einer Gruppe ausgewählter Menschen kann ich mir vorstellen in Zukunft öfter zu gehen, vor allem längere Strecken.]
Völlig unterschätzt habe ich den Fürsorgebedarf meiner Füße. Dabei sind die Füße doch das höchste Gut einer Wanderin. Bei Schuhen, Wasserschutz und Fußpflege werde ich in Zukunft sorgfältiger und aufmerksamer planen und vorsorgen!
Meine wichtigste Erkenntnis aus dieser 60-Kilometer-Wanderung an der Selz entlang ist:
Erfahrener werden heißt nicht, gedankenlos, planlos werden zu können. Aufmerksamkeit, Selbstfürsorge [in diesem Fall für die Füße], Abschätzen und Bewerten der Risiken bleiben weiter notwendig. Vor allem dann, wenn Du wirklich in einer Sache weiterkommen willst!
Miese Fußlage, aber nicht für die Füße :-)
Ich bin sehr happy, dass ich mich auf den Weg gemacht habe und meinen Traum von der Selztal-Wanderung in die Tat umgesetzt habe. Mal abgesehen von der miesen Fußlage, war es eine wunderbare Erfahrung durch tolle Landschaften [Fotos gibt es irgendwann mal in einem anderen Beitrag].
Meine Füße werden wieder. Da bin ich zuversichtlich. Die nächste Mehrtages-Wanderung schwebt mir schon vor Augen. Nächstes Jahr. Mindestens vier Tage werden es dann. Und eins weiß ich heute schon mit Sicherheit: Ich werde alles dafür tun, damit meine Füße trocken bleiben!!! ;-)
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