[lightgrey_box]Ende Juni 2017 hat das Kulturamt der Stadt Eisenach mich und 14 weitere Quer-Wanderer zu einem Wandersymposium eingeladen. Zum Auftakt der Ausstellung „Wanderlust oder die Sehnsucht nach dem Paradies“ (Thüringer Museum) und im Vorfeld des Deutschen Wandertages 2017 in Eisenach. Wie sich für ein Symposium gehört, gab Fragen: Sinn des Wanderns im 21. Jahrhundert? Wo liegen die Quellen von Wanderlust und Wanderglück? Wie lässt sich die Basis dafür vertiefen und verbreitern? Wir waren aufgerufen unsere Antwort — Gedanken und Ideen — mitzubringen. Dieser Text ist mein Mitbringsel.[/lightgrey_box]
Mit Wanderkompetenz ins Paradies oder was Menschen zum Wandern in den Bergen motiviert.
In den eigenen Rhythmus kommen, Kopf und Körper in Einklang bringen, zu sich kommen, sich als Ganzes fühlen – das ist das Paradies, wonach sich moderne Menschen sehnen.
Dieses Paradies finden sie zunehmend beim Wandern in den Bergen.
Die Alpen und die Mittelgebirge sind für viele die Quelle für Wanderlust und Wanderglück.
Das Wandersymposium in Eisenach hat u.a. die Frage gestellt, wie sich die Basis für Wanderlust und Wanderglück vertiefen und verbreitern lässt.
Ich formuliere es so: Was motiviert Menschen zum Wandern in den Bergen?
Dazu habe ich zwei Antworten. Eine allgemeine und eine spezielle.
Aus neurobiologischer Sicht fühlen sich Menschen unter anderem unter zwei Bedingungen motiviert, a.) wenn sie in Bezug auf einen Vorhaben [z.B. Wandern in den Bergen) die Chance sehen, das dieses Vorhaben gelingen könnte und
b.) wenn das Vorhaben dann tatsächlich gelingt.
Meine allgemeine Antwort auf die Motivationsfrage lautet daher: Menschen motiviert zum Wandern in den Bergen, wenn dabei gelingende Erfahrungen möglich sind.
Gelingendes Wandern in den Bergen ist keine Selbstverständlichkeit.
An- und Abstiege, ungewohnte Höhen, ausgesetztes Gelände, unebene Untergründe, unübersichtliches Gebiet, einsame Wege:
Berge sind ungewohntes [sprich kein Alltags-] Terrain und stellen uns vor besondere körperliche und mentale Herausforderungen.
Wenn wir diesem Neuland nicht gewachsen sind, uns die erforderlichen Fähigkeiten fehlen, um mit diesen besonderen Herausforderungen umzugehen, wird aus Wanderlust ganz schnell Wanderfrust.
Um Wanderfrust und wie daraus [wieder] Wanderlust wird, damit beschäftige ich mich in meiner Arbeit als Sport-Mentalcoach und Wandertrainerin.
Die Menschen, die in meine Kurs und Coachings kommen schieben aus unterschiedlichen Gründen Wanderfrust: Höhenangst, Trittunsicherheit, Angst sich zu verlaufen, alleine loszuziehen usw.
Frust deshalb, weil sie Ängste und Unsicherheiten daran hindern, Dinge zu tun, die sie eigentliche gerne tun würden: Beispielsweise Mehrtagestouren mit dem Partner/der Partnerin oder einer Wandergruppe im Hochgebirge, auf dem Rheinsteig. Selbstbestimmte, ruhige Alleine-Wanderungen in den Mittelgebirgen.
Dieser Wanderfrust löst sich erfahrungsgemäß auf, wenn sich diese Bergwanderinnen und Bergwanderer die fürs Terrain und die Vorhaben nötigen Fähigkeiten aneignen.
Aus einem tief überzeugten Ich-kann-keine-Karte-lesen wird an nur einem Tag das motivierte Statement: „Ja, jetzt kann ich mir vorstellen, alleine mit der Wanderkarte loszuziehen!“
Aus der ängstlichen Frage „Wir gehen doch keine ausgesetzten Stellen, oder?“ wird der Jauchzer: „Ich freue mich jetzt total auf meinen nächsten Wanderurlaub im Gebirge!“
Meine spezielle Antwort auf die Frage, wie sich die Basis für Wanderlust in den Bergen verbreitern und vertiefen lässt, mündet daher zunächst in einen Aufruf :
Liebe Wanderinnen und Wanderer: Macht Euch wanderkompetent!
Mit Wanderkompetenz meine ich Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen mit Herausforderungen selbst klar zu kommen. Kompetenzen, die sie dabei unterstützen, selbstbestimmt zu gehen und Probleme unterwegs selbstständig und eigenverantwortlich zu lösen. Angefangen von der körperlichen Beanspruchung – Kondition, Trittsicherheit und Kraftmanagement – bis hin zu mentalen Aufgaben, wie sich in der Landschaft orientieren können, mit angstauslösenden Situationen umgehen können – sei es in den Bergen an einer ausgesetzten Stelle oder alleine im Wald.
Die Rede ist also von physischer und mentaler Wanderkompetenz, wie zum Beispiel Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, Gleichgewicht, Koordination, Orientierung sowie Selbstregulation.
Ich appelliere bewusst an die Eigenverantwortung.
Denn nichts motiviert Menschen mehr, als wenn sie erfahren und erleben, dass sie durch eigenes Tun Schwierigkeiten, Probleme bzw. Herausforderungen meistern!
Mein Mitbringsel für Eisenach [als Antwort formuliert]:
Echte, nachhaltige Wanderlust in Dir entfachst Du, indem Du Dir Wissen und Können aneignest, das Dich in die Lage versetzt, Herausforderungen beim Wanden in den Bergen selbstständig und selbstbestimmt gelingend zu gestalten.
Was Wanderkompetenz mit Menschen macht, wie wirkt sie, das erläutere ich im folgenden Text näher.
Wanderkompetenz: Damit Menschen finden, was sie beim Wandern suchen!
Was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen: „Ich bin nicht bei mir.“? Wie ist es möglich, zu meinen, man wäre nicht bei sich selbst? Können wir zwei sein? Ein Selbst und ein Nicht-Selbst?
Meine biologische Antwort: Du bist bei Dir selbst, wenn Du Kopf und Körper als Teile eines Ganzen konkret wahrnimmst.
Kopf und Körper als Einheit wahrnehmen funktioniert am besten, wenn Du Dich bewegst. Und zwar aus eigener Muskelkraft und mit den eigenen Sinnen. Der Atem, der Herzschlag und die Pupillen verändern sich, Du fühlst direkt, wie Kopf und Körper verbunden sind und wechselwirken. Dieses Fühlen wirkt sich unmittelbar auf Deine Gedanken aus: „Oh, ganz schön steil der Weg. Ich mache bessere kleinere Schritte.“ Kopf und Körper arbeiten zusammen.
Sich als Ganzes wahrnehmen, erfordert zudem, dass Du Dich mental „spürst“ bzw. wahrnimmst, erlebst. Sprich Gedanken, Ideen, Wünsche und Träume Realität werden und Du Dich in diesem neurobiologischen Sinn selbst verwirklichst.
Wanderkompetenz erlaubt selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Wandern und unterstützt auf diese Art und Weise gelingend den Prozess, sich selbst auszuprobieren, sich selbst zu erfahren, sich selbst kennenzulernen und in diesem Sinn zu sich selbst zu kommen.
Wanderkompetenz ebnet den Weg zur Wanderlust!
Wie erlebe ich Wanderlust? Na, indem Du wanderst! Wie lerne ich wandern? Na, indem Du wanderst!
Der springende Punkt: Nicht alle sind so mutig, so selbstsicher und trauen sich „ins kalte Wasser zu springen“. Die Hürden im Kopf können unüberwindbar scheinen.
Gerade Ängstliche und Unsichere brauchen praktische Starthilfe und dazu — ganz wichtig – erste gelingende Erfahrungen.
Quasi eine Basisausstattung an theoretischem und vor allem praktischem Know How plus ein erstes Set an guten Erfahrungen, die den Grundstein für Wanderlust legen.
Ich erlebe den dadurch ausgelösten Motivationsschub regelmäßig in meinen Kursen. Wenn meine vor dem Kurs noch angespannten Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Kurs mit strahlenden Augen am liebsten gleich losgehen würden in die Berge. Oder auch in den begeisterten Rückmeldungen, die ich später erhalte; oft direkt per E‑Mail noch aus dem Urlaubsort.
Zum Thema „Den Weg zur Wanderlust ebnen“, „zum Wandern motivieren“ fallen mir im Zusammenhang mit Wanderkompetenz noch zwei Beispiele ein, die mit jungen Menschen zu tun haben:
Die Geschichte vom „kompassaffinen Höhenängstler“ (und Segler). Bei einem Einzelcoaching erzählte mir ein Kunde, dass er mit seinen Kindern (plus minus 10 Jahre) regelmäßig mit Kompass wandert. Sie hätten Kinderkompasse und das würde super klappen. Ich als Kompass-Freak war natürlich auf der Stelle begeistert. Wochen später bei einem weiteren Termin berichtete er mir, dass er einem Freund von meiner Begeisterung erzählt habe. Daraufhin habe dieser auf der Stelle in der Schulklasse seiner Kinder einen Kompasskurs organisiert. So geht Wanderkompetenz vermitteln! Begeisterung, Vorbild sein und vormachen!
Von der zweiten Geschichte habe ich via Internet erfahren. Ein Lehrer wanderte diesen Sommer mit seinen Siebtklässlern 200 Kilometer durch die Eifel. Mit Wanderkarte und ohne Handy. So geht Wanderkompetenz durch Selbsterfahrung lehren.
Sicher werden nicht alle diese Kinder als Erwachsene die Wanderlust entdecken. Bei der einen oder dem anderen wird jedoch mit Sicherheit irgendetwas von diesem Erlebnis „in guter Erinnerung“ bleiben, an die sie als Erwachsene anknüpfen können.
Wanderkompetenz weckt den Entdeckergeist vor der Haustür!
„Hier war ich ja noch nie!“, stellt eine Kundin aus Ludwigshafen begeistert fest, als wir mit dem Karte-und-Kompass-Kurs nur 80 Kilometer weiter nördlich im Soonwald unterwegs sind. „Aber in Alaska warst Du schon, oder?!“, frage ich ahnend zurück. Volltreffer.
Noch was, was Menschen motiviert: Neue, unbekannte Landschaften. Menschen sind Entdecker.
Allerdings erlebe ich es immer wieder in meinen Kursen: Teilnehmer suchen den Reiz des Neuen immer öfter in den Bergen am Ende der Welt, weniger in der Heimat.
Aber der nächste Urlaub ist noch fern. Die Reisekasse ist leer. Der Weg so weit und anstrengend. Für Entdeckerwanderer ganz schön frustig.
Doch das Gute liegt nah!
Abenteuer lassen sich auch direkt vor der Haustür erleben. In Fachkreisen wird vom „Mikro-Abenteuern“ gesprochen. Expeditionen ab Haustür.
Der Trick: Einfach die Art und Weise des Unterwegsseins, des Wanderns ändern.
Kreuz und querfeldein. Zu Fuß gehen, wo man bisher nur mit dem Auto unterwegs war; beispielsweise.
Diesen spannenden Perspektivenwechsel erlebst Du, wenn Du frei und selbstbestimmt Deiner Wege gehst, eigene Ziele ansteuerst, eigene Wanderideen realisierst, gewohntes Terrain aus ungewohnter Blickrichtung erkundest und entdeckst.
Heimatwandern erhält dadurch einen ganz neuen Reiz.
Das unterstützende Rüstzeug für solche Expeditionen in die heimischen Mittelgebirge liefert Dir: Wanderkompetenz!
Auf den Punkt gebracht: Wanderkompetenz macht Wanderinnen und Wanderer unabhängig, frei und kreativ und fördert dadurch die Wanderlust in den Bergen.
Sie macht Dich fit, um Dich beim Gehen in der Natur [und übrigens auch in der Stadt] selbstwirksam zu erleben; zu Dir selbst — in diesem Sinn nach Hause — zu kommen [heimatzuwandern] und auf diese Weise Deine Sehnsucht nach dem Paradies zu stillen.
In fernen Ländern und in der Heimat.
PS: Das Foto oben zeigt Hermann Hesses Rucksack; noch bis zum 29. Oktober 2017 in der Ausstellung “Wanderlust oder die Sehnsucht nach dem Paradies” im Thüringer Museum in Eisenach zu bestaunen.
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