Dieser Titel macht mich hell­hörig. Klar. Weil ich selb­st auf Abwe­gen gehe, bish­er eigentlich auss­chließlich im [heimatlichen] Hin­ter­land unter­wegs bin [bis auf wenige Stadt­wan­derun­gen] und mich das Reisege­fühl am Wan­dern reizt.

Schon aus Grün­den der Wan­der­pro­fes­sion bin ich neugierig, was ein­er zu erzählen hat, der gle­ich ganz Deutsch­land auf diese Weise unter die Füße nimmt.

Wan­dertech­nisch sind wir Kol­le­gen, der Hen­ning Suße­bach und ich. Auch wenn wir uns let­ztlich aus unter­schiedlichen Grün­den auf den Weg machen. Was die Erfahrung in Sachen Streck­en gehen, Aus­rüs­tung und Ori­en­tierung bet­rifft, bin ich ihm ein klein wenig voraus. Am Anfang des Buch­es zumin­d­est. Aber schon nach 100 Kilo­me­tern Gehen hat er selb­st her­aus­ge­fun­den, was Du für ein solch­es Unternehmen wirk­lich brauchst an Din­gen, was Dich wirk­lich unter­stützt beim Reisen zu Fuß, worauf es ankommt beim Querfeldein-Gehen.

Profi und mir in jed­er Hin­sicht voraus ist der Jour­nal­ist der Wochen­zeitung DIE ZEIT und Reporter von Berufs wegen natür­lich beim Schreiben.

Das Buch ist handw­erk­lich nach allen Regeln der Kun­st gemacht. Konzep­tionell, sprach­lich und inhaltlich. Die meis­ten Buch­leser wer­den das für selb­stver­ständlich hal­ten. Was soll man anderes von einem Jour­nal­is­ten erwarten. Ich halte es für erwäh­nenswert, weil ich selb­st schreibe, kein Profi bin und deshalb weiß, dass ein Text, der Leser über 183 Seit­en fes­selt, keine Selb­stver­ständlichkeit ist.

Zumal die Idee nicht neu ist. Hen­ning Suße­bach ist nicht der erste Jour­nal­ist, der zu Fuß durch Deutsch­land geht. Sebas­t­ian Christ wan­derte zum Beispiel von Ost nach West. Exakt in der Mitte des Lan­des. Ohne Geld sind schon einige durchs Land marschiert.
Auch geografisch ist von ein­er Wan­derung durch das bis ins Detail ver­messe­nen und fotografierten Deutsch­land kaum Stoff für Aben­teuer zu erwarten.

Hen­ning Suße­bach betritt trotz­dem Neu­land. Von Anfang an span­nt er gekon­nt den Bogen; macht aus dem Bekan­nten ein Aben­teuer. Mit der Art und Weise, wie er die Route wählt und die Rah­menbe­din­gun­gen der Reise setzt.

Ich werde ein­mal durch ganz Deutsch­land laufen, vom Meer bis in die Berge, von der Ost­see auf die Zugspitze…von Menck­len­burg nach Bayer…nach geo­graphis­chen Koor­di­nat­en eine Wan­derung von Nor­den nach Süden, poli­tisch betra­chtet vom Osten in den Westen…und das, möglichst ohne Straßen zu benutzen, ohne Asphalt zu betreten.“

Aus diesem Szenario ergeben sich die Fra­gen fast wie von selbst:

Wäre es ein­fach oder schwierig voranzukommen?…Ist die Natur Fre­und oder Feind? Welchen Tieren begeg­net man? Was für Men­schen? Wird das Land da draußen gefährlich­er sein als an U‑Bahnhöfen, Tankstellen, Flughäfen?“

Doch diese Reise ins Abseit­ige ist mehr als ein Abenteuer.

Sie ist ein außer­dem ein beru­flich­es Exper­i­ment. Selb­stver­such eines Reporters, der seine Auf­gabe darin sieht „…rauszuge­hen, loszuziehen, Real­ität zutage zu fördern wie einen Rohstoff.“ und sich selb­stkri­tisch die Frage stellt:

Hat es etwas zu bedeuten, wenn sich auch ein Reporter fast nur auf jenen 6,2 Prozent des Lan­des bewegt, die beson­ders leicht zugänglich sind?“

Ein halbes Jahr bere­it­et er vor. Organ­isiert Aus­rüs­tung. Plant den Weg. Und er recher­chiert. Let­zteres weniger um sich abzu­sich­ern als vielmehr eine Vorstel­lung über Vorstel­lun­gen zu bekom­men. Eigene und andere. Was denke ich, was mich auf dieser Expe­di­tion erwartet? Was denken Forsch­er, Pro­fes­soren, Kol­le­gen und Experten über das Exper­i­ment? Was von meinen und frem­den Hirnge­spin­sten wird ein­tr­e­f­fen? Was davon nicht? Woran wird nie­mand gedacht haben? Was denken wir über die Wirk­lichkeit und wie ist s tat­säch­lich vor Ort?

Er vere­in­bart vor­ab keine Ter­mine, plant keine Tre­f­fen unter­wegs: „…ich wollte möglichst unvor­ein­genom­men los­ge­hen, meine Wahrnehmung nicht ein­fär­ben lassen, wed­er von wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen noch von Spekulationen.“

Ein Exper­i­ment mit Fra­gen und Ver­such­sauf­bau. Ergeb­nis? Offen!

So gese­hen fol­gen auf die Ein­leitung leere weiße Blät­ter, die sich erst beim Lesen füllen. Mit jed­er Seite, die ich umschlage, Kilo­me­ter für Kilo­me­ter, die der Autor geht. Mit seinem Erleben, seinen Erfahrun­gen, seinen Erken­nt­nis­sen. Als Leserin schaue ich zu, wie in 50 Tagen und 1000 Kilo­me­ter Weg ein Bild entste­ht. Ein Bild, das die Sicht des Men­schen und des Jour­nal­is­ten Hen­ning Suße­bach auf das zeigt, was ihm unter­wegs begeg­net: Land, Land­schaft und Men­schen. Ohne – und das finde ich fair – ohne, dass er damit fes­tlegt, wie wir als Leser Diese zu sehen haben.

Wir dür­fen uns ein eigenes Bild machen.

Per­sön­lich regt mich dieser Erfahrungs­bericht zum Nach­denken an. Über mein Unter­wegs­sein und was es mit mir macht. Warum ich über­haupt so wan­dere, wie ich wan­dere, ist mir klar­er gewor­den. An vie­len Stellen finde ich mich wieder, was die Erfahrun­gen als Quer­feldein-Wan­derin betr­e­f­fen. Anderes macht mich anders nach­den­klich: poli­tisch, gesellschaftlich und wie darüber berichtet wird.

Inter­essieren würde mich deshalb, ob und wenn ja, welche Kon­se­quen­zen diese Reise für die  jour­nal­is­tis­che Arbeit des Reporter Suße­bach hat. Hat sich sein jour­nal­is­tis­ch­er Blick bleibend verän­dert? Stellt er jet­zt andere Fra­gen, an anderen Orten an andere Men­schen, wie vor der Wan­derung? Oder ist er zur Tage­sor­d­nung überge­gan­gen? Ist er wieder auf der Straße unter­wegs? Dazu lese ich lei­der nichts.

Für Dich als Wan­derin und Wan­der­er kann das Buch Ermu­ti­gung sein, auch die Straße“ [als Sinnbild für Vorgebenes, Gewohntes, Rou­tine] zu ver­lassen und auf Ent­deck­ungsreise zu gehen. Zu Fuß. Um Dich selb­st und Dein Land anders ken­nen­zuler­nen. Um die Füße mit der­sel­ben Kon­se­quenz, mit der wir bis­lang den betonierten Teil unseres Lan­des betreten haben, auf frei gebliebe­nen Boden zu set­zen. Auf die anderen – kann man wirk­lich sagen: die restlichen?  — 93,8 Prozent. Auf Äck­er statt Straßen, in Wälder statt auf Parkplatzwüsten.“

So unter­wegs, wirst Du neugierig. Ich ver­sprech’ Dir s. Ich weiß es auch aus eigen­er Erfahrung. Nach jed­er Zug­fahrt wer­den imag­inäre Beobachter über Dich sagen „…sah ins Land hin­aus und machte angestrengte, schmale Augen, als suche er [sie] etwas, das er [sie]da draußen ver­loren hatte.“

Suße­bach, Hen­ning: Deutsch­land ab vom Wege — Eine Reise durch das Hin­ter­land”, Rowohlt Ver­lag, 183 Seit­en, 19,95 Euro

Du erhälst dieses Buch im Buch­han­del vor Ort und direkt auf der Seite des Ver­lags.

Ich danke dem Rowohlt Ver­lag, der mir ein kosten­los­es Rezen­sion­sex­em­plar zur Ver­fü­gung gestellt hat.