Im Allgemeinen wird der Rucksack unter dem Gesichtspunkt Belastung besprochen. Mit wie viel Gewicht packe ich ihn und wie verteile ich das Gewicht so, dass mich dieser mobile Stauraum auf meiner Wanderung möglichst wenig Kraft kostet.
Was dabei oft zu kurz kommt, ist der Einfluss des Rucksacks auf die Bewegungsfreiheit.
Die Bewegungsfreiheit, insbesondere die des Oberkörpers ab Hüfte, ist eine extrem wichtige Voraussetzung für sicheres Bergwandern.
Sicherheit beim Bergwandern gewinnst Du nämlich zu vorderst durch sicheres Gehen und Stehen sowie durch ein sicheres Körpergefühl.
Alle drei Aspekte sind eine Frage der adäquaten Körperhaltung.
Eine sichere Körperhaltung auf schrägen, unebenen Untergründen erreichst Du, indem Du Deinen Körperschwerpunkt in eine sichere Lage bringst.
Dafür ist es zwingend nötig, dass Du Becken, Hüfte und Oberkörper frei und flexibel bewegen kannst.
Sprich: Absolute Bewegungsfreiheit des Oberkörpers!
Sicherheit ist natürlich für alle Bergwanderer relevant. Aber für Höhenängstler und Trittunsichere spielt sie eine besondere Rolle. Denn bei Ihnen geht es nicht nur darum am Ende des Tages wieder gesund und unversehrt nach Hause zu kommen. Für sie geht es beim Bergwandern um viel mehr: Sie wollen in angstauslösenden Situationen handlungsfähig bleiben.
Jede klitzekleine Unsicherheit, sei es von innen oder von außen einwirkend, kann hier den Ausschlag geben, ob Du in Panik gerätst, starr vor Schreck am Fels klebst oder ob Du mutig die ausgesetzte Stelle gehst.
Deshalb ist besonders für Höhenängstler und Trittunsichere extrem wichtig, dass sie Herrin bzw. Herr bei der Haltung ihres Körpers sind und bleiben!
Ein Rucksack kann die Bewegungsfreiheit des Oberkörpers enorm beeinflussen – im positiven, wie im negativen Sinn.
Ob Du die Kontrolle über Deine Körperhaltung, das Steuer fest in der Hand hast und jederzeit flexibel reagieren kannst oder ob der Rucksack das Ruder übernimmt, an dir zieht und zerrt und beständig droht Dich aus dem Gleichgewicht zu bringen, ist neben Gewicht und Verteilung des Gewichts hauptsächlich eine Frage, wie der Rucksack am Körper gehalten wird.
Der Rucksack darf nicht wie ein nasser Sack an Dir hängen, sondern muss richtig sitzen.
Richtig sitzen heißt: Du nimmst Deinen Körper und den Rucksack als Einheit wahr, diese Einheit lässt sich von Dir kontrolliert und möglichst mühelos bewegen und Du hast ein sicheres Gefühl mit dem Rucksack auf dem Buckel.
Einheit statt Fremdkörper
Der Rucksack sitzt richtig, meint, er wird von, oder besser auf den Hüften getragen statt von den Schultern.
Er hängt nicht mit den Schulterriemen an den Schultern, sondern sitzt mit Hüftgurten [Hüftflossen] rechts und links wie angegossen auf Deinem Becken.
Die Schulterriemen dagegen dienen vornehmlich dazu, den Rucksack am Körper zu halten.
Auf diese Weise baumelt der Rucksack nicht mehr oder weniger im unteren Kreuz und über dem Po, sondern sitzt parallel zum Oberkörper und verschmilzt im günstigsten Fall mit ihm; wird also zur Einheit mit demselben.
Kontrollierte Kippachse mit natürlichen Kugellagern
Wenn der Rucksack richtig sitzt, dann liegt er auf den Beckenknochen wie auf einer Achse mit den Hüftgelenken als Kugellager.
Auf diese Weise lässt sich die Einheit Oberkörper und Rucksack leicht und reibungslos zu allen Seiten kippen bzw. mittig austarieren: zu beiden Seiten, sowie nach vorne und hinten.
Du kannst frei und gleichzeitig kontrolliert, mit geringem Kraftaufwand genau die Körperhaltung einnehmen, die Deinen Körperschwerpunkt so ausrichtet, dass Du in bergigem Gelände sicher stehst und gehst.
Biologische Hilfestellung für ein sicheres Körpergefühl!
Ein Rucksack, den Du als Einheit mit Deinem Oberkörper wahrnimmst, die sich von Dir jederzeit frei und ungehindert in eine den äußeren Bedingungen entsprechende Position bringen lässt, hast Du voll im Griff.
Du bestimmst die Haltung Deines Oberkörpers! Du hast die volle Kontrolle.
Anders ist es, wenn der Rucksack, wie ein Fremdkörper an Deinen Schultern hängt. In diesem Fall übernimmt der Rucksack die Regie.
Er zieht Deinen Oberkörper nach hinten unten. Dadurch verlagert sich der Körperschwerpunkt automatisch in eine für das sichere Gehen und Stehen ungünstige Position.
Du hast besonders auf Schrägen und unebenen Untergründen ständig das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu geraten, auszurutschen oder zu stolpern.
Auch wenn Du es gar nicht bewusst wahrnimmst: Dein Körper merkt, dass ein Fremdkörper an zerrt und droht, ihn aus der natürlichen Balance zu bringen. Er ist permanent Reizen ausgesetzt, die dem Gehirn Gefahr signalisieren.
Kopf und Körper sind auch ohne Dich klug: In der Regel springt in einer solchen Situation Dein Autopilot an. Er beginnt automatisch dem Zug entgegenzuwirken. Diese von Dir nicht bewusst kontrollierte Bewegung bringt Dich allerdings weiter aus dem Konzept. Du nimmst sie als zusätzliche Unruhe wahr. Deine Unsicherheit in einer angstauslösenden Situation wird dadurch weiter angetriggert.
Ein Rucksack dagegen, der auf der Hüfte sitzt, sorgt quasi automatisch für ein sicheres Körpergefühl.
Ein sicheres Körpergefühl unterstützt Dich auf natürliche Art und Weise dabei, eine sichere Körperhaltung einzunehmen und zu halten.
Mach Deinen Rucksack zum Mitspieler!
Die Bewegungsfreiheit des Oberkörpers ab der Hüfte wird selbstverständlich nicht ausschließlich dadurch bestimmt, wie der Rucksacks am Körper befestigt ist.
Ganz klar: Das Gewicht des Rucksacks und wie dieses im Rucksack verteilt ist, sind weitere wichtige Einflussfaktoren.
Aber: Ohne eine adäquate Befestigung des Rucksacks am Körper, ist alles nichts! Da kann der Rucksack noch so leicht, das Gewicht noch so optimal verteilt sein:
Wenn der Rucksack nicht sitzt, sondern hängt, wird er beim Austarieren Deines Oberkörpers immer Dein Gegenspieler statt Dein Mitspieler sein.
Rucksackhändler empfehlen Tragesysteme mit Hüftflossen meist erst zwingend bei Trekkingrucksäcken mit einem Fassungsvermögen ab mittleren bis höheren zweistelligen Bereich.
Aber bedenke: Menschen, die Angst haben bzw. sich unsicher fühlen, reagieren besonders empfindlich auf interne und externe Reize.
Ich erlebe es hautnah in meinen Kursen:
In einem Rucksack ohne Tragesystem kann schon das Gewicht von zwei Litern Wasser bei empfindlichen Menschen, das Körpergefühl kontraproduktiv beeinflussen.
Angst und Unsicherheit werden so zusätzlich gefördert und verhindern völlig unnötig, dass die Techniken und Methoden der Angstregulierung greifen.
Zwei Liter Flüssigkeit sind bei einer Tageswanderung im Sommer in den Bergen eher angesagte Regel als Ausnahme.
Deshalb empfehle ich Bergwanderinnen und Bergwanderern, die mit Höhenangst zu tun haben bzw. die sich trittunsicher fühlen, sich in jedem Fall einen Rucksack mit flexiblem Tragesystem anzuschaffen!!!
Unabhängig davon, was der Rucksack im Endeffekt wiegt. Egal, ob es sich um einen Tagesrucksack oder um einen Trekkingrucksack handelt.
Mit einem Rucksack mit Tragesystem stellst Du in jedem Fall sicher, dass Du uneingeschränkt und ungehindert die Last Deines Rucksacks und damit Deine Körperhaltung unter Kontrolle hast.
Oder anders ausgedrückt: Ein Rucksack mit Hüftflossen gibt Dir als Höhenängstler bzw. Trittunsicherer die für sicheres Gehen und Stehen dringend benötigte Bewegungsfreiheit!
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