Bis in den späten Abend habe ich mit mir gerungen.
Wandern oder Schreibtisch? Eigentlich liegt wichtige Büroarbeit an, die sich letzte Woche überraschend ergeben hat. Eigentlicher habe ich geplant, heute eine Tour zu gehen, die mir schon lange im Kopf herum spukt.
Ich habe mich auf diese Wanderung echt gefreut. Im Haus zu bleiben, wäre Verrat mir selbst gegenüber gewesen. Zudem war Sonne angekündigt.
Der Zeiger auf der Uhr rückte trotzdem gnadenlos weiter in die Nacht.
Hilfe. Was tun? Jetzt noch die Wanderung vorbereiten? Morgen mit den Hühnern aufstehen? Die Arbeit auf den nächsten Abend schieben?
Andererseits muss das mit der Wanderplanung wirklich sein? Bin ich nicht inzwischen erfahren genug, um so eine 13-Kilometer-Tour aus dem Bauch raus zu wuppen? Wo die Route doch genau feststeht. Eigentlich schon!
Geistesblitz: Was wäre, morgen einfach alles Mal anders zu machen als sonst? Statt detaillierter Vorbereitung, ohne großes Planen losgehen.
Den Dingen ihren Lauf lassen.
Ohne Wecker stellen, Abfahrtzeiten raussuchen, Route austüfteln, Kilometer messen.
Rucksack, Karte, Kompass, Geld für die Fahrkarten sowie Wanderklamotten zurechtlegen.
Aufstehen, wenn ich aufwache.
Starten, wenn ich bereit bin.
Darauf vertrauen, dass ein Bus kommt, der Anschluss für den Zug zum Ausgangspunkt klappt und sich am Ziel die Rückfahrt irgendwie ergibt. Schlimmstenfalls wären damit längere Wartezeiten verbunden. [Aber hei, das ist doch genau, was ich brauche: mehr Zeit!]
Interessantes Experiment! Dafür bin ich immer zu haben. Wenn es was zum Ausprobieren, lernen gibt. Die Würfel fallen. Fürs Wandern.
Als ich heute früh aus dem Haus gehe, scheint mir die Sonne ins Gesicht. Ich bin glücklich über meine Entscheidung, wandern zu gehen, statt diesen Tag am Schreibtisch zu verbringen. Darüber habe ich mir übrigens völlig unnötig einen Kopf gemacht; dazu später mehr.
Auf dem Schlossturm im rheinhessischen Schwabsburg war es. Letzten Sommer. Dort entstand die Idee für die heutige Tour.
Von dort oben siehst Du rüber bis zum Selzer Berg.
Von Nierstein nach Nieder-Olm.
Interessante Route für eine Streckenwanderung: Verbindet zwei Bahntrassen. Mit diesem Prinzip habe ich schon die Kreuz- und Quer-Wanderung in der Nordpfalz vor drei Jahren realisiert. Damit lassen sich Wanderungen, die An- und Abreise erfordern prima organisieren. Von Mainz nach Nierstein am Rhein lang. Über die Rheinhessentrasse von Nieder-Olm nach Mainz zurück.
Verschwörung des öffentlichen Nahverkehrs, aber anders als gedacht!
Wenn Bus und Zug Gedanken lesende Mäuschen wären, dann würde ich sagen, sie haben gestern Abend gelauscht und beschlossen es mir heute mal so richtig zu zeigen. Verschwörung!
Normalerweise checke ich die Abfahrtszeiten des Busses via App und gehe mindesten 10 Minuten vorher los. Das ist reichlich bemessen für die paar 100 Meter von meiner Haustür bis zur Haltestelle.
Heute gehen die Uhren anders. Ich bin einfach aus dem Haus. Ohne Gewähr, wann der nächste Bus kommen würde.
Aber was soll ich sagen: Ich stehe keine Minute an der Haltestelle und der Bus rollt mir vor die Füße.
Am Bahnhof geht es nahtlos so weiter: Fahrkarte gezogen, Fahrplan gesichtet, auf den Bahnsteig gegangen, Zug fährt ein und los.
Der Hit dann am Wanderziel: Schulkinder nach dem Weg zum Bahnhof gefragt, den gleich gefunden, kleines Fragezeichen in den Augen wegen richtigem Bahnsteig wird durch Fragen zum Ausrufezeichen.
Zug nach Mainz fährt ein.
Mist. Ich brauche noch eine Fahrkarte.
Bin kurz drauf und dran aufzugeben: „Dann nimmst Du halt den nächsten.“
Mein Kampfgeist erwacht.
Nach dem Motto: Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist [sprich, wenn der Zug abfährt und ich noch mit dem Automaten kämpfe].
Zug hält am Bahnsteig. Türen gehen auf. Ich zücke die EC-Karte. Tippe Fahrtziel und Zahlungsmittel ein. Leute steigen aus und ein. Erkenne erst jetzt, dass der Automat auf meine Bestätigung wartet. Türen gehen zu. Ich ziehe EC-Karte raus. Wurschtel die Fahrkarte aus dem Schlitz.
Noch steht der Zug.
Wittere Morgenluft!
Drücke Türknopf.
Tür geht tatsächlich noch auf.
Springe rein. Tür zu. Abfahrt.
In Mainz fährt mein Bus vor in dem Moment wo ich nach zwei roten Fußgängerampeln die Haltestelle erreiche.
Die haben sich doch abgesprochen, oder?
Kompasswandern: Nachjustieren geht immer!
Zugegeben. Ganz ohne Plan bin ich nicht. Gestern Abend habe ich noch schnell auf der Karte die Peilungszahl ermittelt. Das war aber schon alles. Marschzahl und Karte [zur Sicherheit] – mehr habe ich nicht zur Hand als ich heute Morgen am Niersteiner Bahnhof starte.
90 Prozent der Strecke gehe ich mit Kompass und auf Sicht. Das ist das Schöne an Rheinhessen: Die offene Landschaft, die weite Perspektiven möglich macht einerseits. Anderseits die engmaschige Wegestruktur, die Wandern wie beim Segeln erlaubt. Irgendwie tut sich immer ein Weg, ein Pfad auf in Deine Richtung. Manchmal legt sich ein riesiges Rapsfeld quer, das umgangen werden muss. Oder Du gerätst in eine Schleife und gehst wieder ein Stück zurück. Genau dieses Weg-finden, Chancen nutzen, Optionen abschätzen, nach Gefühl navigieren. Das macht mir Spaß!
Mit der Peilung war ich etwas locker. Als ich bei Zornheim über den Berg komme, ist dort, wo ich Nieder-Olm vermute ein kleines Dorf zu sehen [Sörgenloch]. Nieder-Olm ist eine Stadt mit Neubaugebieten und Industriegebiet drum herum. Eigentlich nicht zu übersehen. Ein Blick auf die Karte ergibt: Ich bin zu weit nach Westen ab gekommen. Einen langen Schlag nach Osten quer durch die Weinberge und die ersten Häuser vom Zielort tauchen auf.
Mit einem Schlussstrich durchstarten!
Ein Tag voller Überraschungen. Damit ist zu Hause allerdings noch nicht Schluss.
Tagelang hatte ich mich mit der besagten Büroarbeit rumgeschlagen,
Um ehrlich zu sein: Damit habe ich mich überhaupt in die Entscheidungs-Bredouille gebracht: Wanderung versus PC. Die Arbeit hätte längst am Wochenende erledigt sein können, wenn ich auf den Punkt gekommen wäre.
Bin ich. Nach der Wanderung!
Insgeheim habe ich mit diesem Ergebnis gepokert. Wandern, Kopf frei und damit neue Power für die Denkaufgabe am Schreibtisch. Die Rechnung ist aufgegangen.
Am Abend erledige ich die vertagte Arbeit UND schreibe diesen Blogartikel!
Wenn ich mir überlege, wie viel Energie ich mit inneren Diskussionen verschwendet habe, dann rollen sich mir die Fußnägel auf.
In Zukunft starte ich öfter mit einem Schlussstrich durch! Funktioniert.
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!
Wenn Du Dich nicht entscheiden kannst zwischen einem Muss- und einem Würde-ich-gerne-Vorhaben, dann kann es an einem zu engen Plan liegen.
Planen bedeutet Arbeit. Wenn Du bei dem Vorhaben, dass Du am liebsten machen würdest, zu viel vorher festlegen willst, dann legst Du damit die Latte hoch. Bei inneren Diskussionen bist Du eh schon gefordert, jedes bisschen mehr Aufwand interpretiert Dein Gehirn dann ganz schnell als „zu hoch“.
Ergebnis: Die Hürde im Kopf wird unüberwindbar.
Ergo: Zu viel Kontrolle macht Dir die Entscheidung für Deine Herzenssache unnötig schwer; Du blockierst Dich regelrecht selbst damit.
Wenn Du also in einer mentalen Zwickmühle steckst, wie zum Beispiel Wandern oder Arbeiten, Fernsehen oder Laufen gehen, den lang gebuchten Outdoor-Kurs auf den Du Dich freust machen oder einen wichtigen beruflichen Termin annehmen oder, oder, oder, dann helfen Dir diese drei Schritte:
- Vertage die Pflicht.
- Entlaste Dich von Planungsarbeit für das Herzenswanderprojekt.
- Vertraue drauf, dass sich die Dinge fügen. Sie tun es! Probiere es aus!
Das Zurückstellen von Bedürfnissen kostet Kraft und blockiert alles: Dein Wunschvorhaben und die Arbeit.
Erlaubst Du Dir Dein Herzenswanderprojekt, gibt Dir das die Energie und Kreativität, die aufgeschobene Arbeit in der Hälfte der Zeit zu erledigen.
Gerade heute Morgen lese ich:
„Es ist gut zu wissen, dass man eigentlich alles machen kann. Man muss nur damit anfangen.“ Julie Deane, Unternehmerin
Zufälle gibt es gar nicht, oder?
In diesem Sinne ermuntere ich Dich, Deinen (Wander-)Wünschen und (Wander-)Ideen Raum zu geben.
Mach öfter das Prinzip „kein Plan“ zum Plan.
Damit machst Du Dich selbst glücklich und zufrieden.
Wanderer, die glücklich und zufrieden sind, arbeiten konzentriert und fokussiert!
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