Hier im Blog schreibe ich für Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis. Leute, die draußen in den Bergen Abenteuer und Freiheit leben wollen, ohne sich zu überfordern. Einsteiger mit gar keiner oder wenig Erfahrung. Menschen mit gesundheitlichem, altersbedingtem oder konditionellem Handicap. Leute, die Verantwortung für andere Menschen tragen und deshalb vorsichtiger [geworden] sind wie sie selbst alleine wären, wie zum Beispiel Eltern.
Wanderer, zu Fuß Reisenden, die draußen unterwegs ihr Ding machen wollen ohne Kopf und Kragen zu riskieren.
Sicherheit und Freiheit. Schließt das eine nicht das andere aus? Bedeutet Abenteuer nicht per se Risiko, Unwägbarkeiten und Komfortzone verlassen? Gehört da nicht per Definition Nervenkitzel, Magengrummeln und nicht genau wissen, was auf einen zu kommt, dazu? Und ist Sicherheit nicht das haargenaue Gegenteil von Freiheit?
Sicherheit und Freiheit — wie sich diese zutiefst menschlichen und gleichzeitig gegensätzlichsten Bedürfnisse unter einen Hut bringen lassen, erzählt Julia Malchow am Beispiel einer Reise mit ihrem kleinen Sohn in dem Buch: „Mut für zwei – Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt“.
Mit Bahn und Baby zum Baikalsee
Bevor Du wegklickst [weil Du mit Kindern nix am Hut hast]: Bleib entspannt. Wer schon länger hier im Blog mitliest, weiß, bei meinen Buchtipps gibt es immer und für jeden etwas zu lernen — unabhängig von den vordergründigen Themen. So ist es im Fall von „Mut für zwei“ auch. Es lohnt dranzubleiben, wenn Du zur oben genannten Gruppe von Menschen gehörst oder jemanden kennst, der sich dort einreihen lässt und dem Du ein praktisches und unterhaltsames Geschenk machen willst [in 10 Monaten ist Weihnachten!].
Julia Malchow ist Reiseveranstalterin, Gesellschafterin eines Reisebuchladens, erfahrene Abenteuerreisende und Mama des im Buch zehn Monate alten Levi.
In „Mut für zwei“ erzählt sie die Geschichte von ihrer zweimonatigen Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn von St. Petersburg zum Baikalsee über die Mongolei nach Peking. Mit „ihrer“ sind gemeint: Julia, Levi und temporär Markus – Mann und Vater von Levi.
15 000 Kilometer allein mit Baby in die abenteuerlichsten Winkel der Welt.
Damit ist der Inhalt des Buches grob umrissen. Die Weichen sind gestellt. Mit Baby auf eigene Faust auf Abenteuerreise! Alles klar!
Der Spannungsbogen ist am Anschlag. Bei Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis fahren automatisch die Sicherheitstor im Kopf hoch:
Wie soll das bitte schön funktionieren? Kann das überhaupt funktionieren?
Um die Antwort auf diese Frage zu finden, brauchen wir als Leserin und Leser des 330 Seiten-Taschenbuchs [erst mal] nicht selbst los, sondern dürfen uns in den Sitz des Großraumwagens der Deutschen Bahn zurücklehnen und neugierig wie ein Flitzbogen aber völlig tiefenentspannt der Dinge harren, die da kommen.
Die mutige Mama Julia übernimmt das Kommando und erkundet für uns das Terrain. Von der zweiwöchigen [!] Reiseplanung bis zum detaillierten und mit Fotos versehenen Reisebericht nimmt sie uns Schritt für Schritt mit auf diese große Fahrt ans andere Ende der Erde unter ganz besonderen Bedingungen.
Eine Anleitung zum Mutigwerden — auch mit ohne Kind!
Die Autorin beschreibt was Mutter und Sohn machen — also den Verlauf der Reise — und für Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis vor allem interessant: Wie sie es machen! Sprich, wie sie die Reise so gestalten, damit Herausforderungen händelbar bleiben, Risiken so weit wie möglich minimiert sind und die Lust auf Freiheit bewahrt bleibt. Oder anders ausgedrückt, wie sie das Unterwegs-sein nach ihren Bedürfnissen gestalten und wie sie mit ungewohnten und unerwarteten Gegebenheiten, Schwierigkeiten und Herausforderungen umgehen, die natürlich nicht ausbleiben: 30 Holzsplitter in Babyhand, Fahrt mit orientierungslosem Taxifahrer durch die Steppe, hartnäckige deutsche Pauschalreisende, krimmig dreinschauende mongolische Grenzkontrolleurinnen, Zugbetten ohne Rausfallschutz, eiskalte Nächte im Zelt und Kind mit einer Körpertemperatur von 35 Grad usw.
„Mut für zwei“ ist tatsächlich eine „Anleitung zum Mutigwerden“, wie es auf dem Buchcover versprochen wird.
Natürlich handelt das Buch von einer Reise mit Baby. Die Rollen sind klar verteilt. Glitzernder, klarer Baikalsee, mit Blumen übersäte Steppe der Mongolei, uralte Steine der Chinesischen Mauer, Reiselust der Mama nach dem Slow Travel-Prinzip hin oder her: Levi spielt die Hauptrolle!
Von den persönlichen Reiseerfahrungen, der Kreativität, der Zähigkeit, der Offenheit der Autorin einerseits und ihrer sicher aus den besonderen Bedingungen resultierenden Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit andererseits lässt sich gerade für Menschen mit hohen Sicherheitsbedürfnis eine Menge lernen für eigene Unternehmungen. Dabei muss es nicht unbedingt gleich die Mongolei sein! Die Herangehensweise ist universell und lässt sich ohne weiteres auf jedes persönliche Abenteuer übertragen – und sei es „nur“ eine mehrtägige Wanderung abseits der Hauptrouten durch die Heimat, eine Skitour in den Bergen als Anfängerin oder die Überquerung der Alpen.
5 Dinge, die ich als Wanderin mitnehme
Meine Kinder sind 33 und 31 Jahre alt. Das Thema „Kind“ ist eigentlich schon lange kein Thema mehr für mich. Dieses Buch habe ich in der Mainzer Bahnhofsbuchhandlung entdeckt, vor der Fahrt ins Allgäu. Es ist mir sofort ins Auge gesprungen. Dafür gibt es gute Gründe: Ich suchte einen Erlebnisbericht von einer Wanderung oder einer Reise. Die Transsibirische Eisenbahn interessiert mich schon immer. Und das Thema „Kind“ ist nach vielen, vielen Jahren bald doch wieder eins für mich, zumindest mittelbar. Im Sommer werde ich Oma. ;-)
Die Babysachen werden hauptsächlich meine Tochter interessieren, der ich dieses Buch schenken werde.
Für mich persönlich halte ich folgende 5 Dinge fest:
- Erkenntnis: Die zivile Welt hört nicht vor der Haustür auf. Mit Erstaunen [vielleicht bin ich naiv, ganz sicher jedoch in Weltreisen unerfahren] habe ich gelesen, dass es auch in der tiefsten Mongolei zuverlässige touristische Strukturen gibt, wie Jurtecamps mit Restaurant, Transfer- und Übersetzungsservice.
- Zuversicht: Auch am anderen Ende Welt sind die Menschen. Mit einem Herz, das sich erweichen lässt. Wenn es hart auf hart kommt, darfst Du auf hilfsbereite, verantwortungsbewusste Mitmenschen hoffen.
- Hoffnung: Träume leben ist nicht unbedingt immer bequem; mit Kreativität, Vertrauen und Offenheit gibt es aber immer einen Weg, Dir das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
- Bestätigung: Wenn Dir in Deinen vier Wänden keine Antworten auf Deine dringendsten Fragen einfallen, dann ziehe los, begib Dich auf Neuland, gib‘ Deinem Hirn frisches Futter. Schau‘ was Dir begegnet, was Dich berührt und nimm‘ Dir an Ideen, Eindrücken, Inspirationen, was für Dich passt.
- Orientierung: Wenn Dir in einer Landschaft nach einer Wanderung ist, in der es keine Straße, keinen Weg gibt, in der alles gleich aussieht, wie in der mongolischen Steppe, dann baue auf Deinem Hinweg Steinmanderl. Das ist eine uralte, von Island bis in die Mongolei bewährte Methode, mit der Du immer sicher nach Hause zurückfindest.
Ich empfehle dieses Buch allen Leserinnen und Lesern, die entweder am Reisen, Wandern mit Kind interessiert sind oder bereit sind, sich auf ein Leseabenteuer einzulassen, bei dem mit ganz wenig Transferleistung ganz viel Nützliches über spannendes Unterwegs sein mit hohem Sicherheitsbedürfnis erfahren werden kann — auch als Nicht-Mama, ‑Papa, ‑Oma, ‑Opa.
Malchow, Julia: „Mut für zwei – Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt“, Piper Verlag, erweiterte Taschenbuchausgabe, Februar 2017, 14,99 Eure.
Du erhältst dieses Taschenbuch in Deiner Buchhandlung vor Ort und auf der Website des Verlags.
Schreibe einen Kommentar