Neulich an einem Woch­enende waren mein Mann und ich mal wieder auf einem dieser Pre­mi­umwege unter­wegs. Es war die rein­ste Massen­ver­anstal­tung! Ständig mussten wir anderen Leuten auswe­ichen. An Eng­pässen haben wir ewig lang gewartet, bis der Gegen­trupp durch war. Von oben runter kon­nte man zuschauen, wie Wan­der­er wie die Ameisen den Berg hochzogen.

Spazierenge­hen auf der Autobahn!

Ich bekomme aber noch aus ganz anderen Grün­den richtigge­hend Zustände bei diesen Stan­dard­we­gen: Ist alles vorgegeben, schnei­det man sich von so viel ab, dass das Wan­dern brin­gen sollte: Losziehen, ent­deck­en, sich auch mal was (zu)trauen.

[pullquote]Premiumwege sind das Gegen­teil vom selb­st­bes­timmten Wan­dern. Sie bieten nicht, was wir brauchen, um selb­st­sicher­er zu wer­den: Herausforderung.[/pullquote]

 Drei Dinge, die Sie wis­sen sollten.

Bitte ver­ste­hen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht darum, Pre­mi­umwege in Grund und Boden zu schreiben — sie habe schon ihre Berech­ti­gung. Ich gehe sie ja selb­st [am lieb­sten unter der Woche, wenn ich die am Woch­enende und an Feierta­gen hochfre­quen­tierten Routen fast für mich alleine habe]. Und es gibt auch echt sehr schöne! Nur: Wer sich selbstsicher(er) in der Natur bewe­gen und sich dadurch per­sön­lich weit­er­en­twick­eln will, für den sind vorgegebene Stan­dard­routen ein­fach ungeeignet. Und zwar aus den fol­gen­den drei Gründen:

1. Nur durch per­sön­liche und direk­te Her­aus­forderung wächst man!

Selb­st­sich­er wird man nur durchs Tun: vom Aufraf­fen über das Sich-stellen bis hin zum Problemlösen.

Was meine ich damit?

Selb­st­sicher­er zu wer­den bedeutet, zu ler­nen, dass man sich und seinen Fähigkeit­en ver­trauen kann. Einen Wan­der­plan schmieden, einen Entschluss fassen, los­ge­hen – und dabeibleiben, auch wenn sich Schwierigkeit­en auf­tun: Der Zug zum Wan­derziel ist unpünk­tlich, die Anschlussverbindun­gen ver­schieben sich? Bis hin zum Lösen echter Prob­leme: Wo ist jet­zt der ver­dammte Ein­stieg zu mein­er geplanten Tour, geht es jet­zt nach rechts oder nach links, ist das ein Tram­pelp­fad oder sieht das nur so aus? Das Gefühl, es selb­st geschafft zu haben, trotz Schwierigkeit­en nicht aufgegeben zu haben, das ist der Stoff für mehr Selbstsicherheit.

Beim Wan­dern auf Touri­we­gen müssen Sie sich um all das keine Sor­gen machen: Wan­der­plan schmieden ent­fällt oder man wählt ihn wie im Urlaub­skat­a­log aus. Anfahrt­sprob­leme? Gibt es nicht, es sei denn Sie haben kein Auto. Auch die Ein­stiege sind kein Prob­lem: sie liegen direkt an den Wan­der­park­plätzen, ver­fahrsich­er mit GPS-Dat­en verortet.

Sie merken schon: Beim Wan­dern auf Stan­dard­we­gen ist alles so organ­isiert, dass es rei­bungs­los klappt. Das ist doch toll“, denken Sie jet­zt vielleicht.

Ja, es ist prak­tisch. Doch Fakt ist, dass sich damit keine Her­aus­forderung bietet. Und damit hal­ten Sie sich klein. Beson­ders, wenn sie bish­er nur die gut aus­geschilderten Wege gehen, weil sie sich nicht trauen, auf eigene Faust loszutigern.

Wan­dern ist mehr als Bewe­gung und frische Luft. Mit Wan­dern bewe­gen wir uns aus unser­er Kom­fort­zone — buch­stäblich auf unbekan­ntes Ter­rain. Selb­st­bes­timmt wan­dernd haben Sie genau die richtige Por­tion Unab­hängigkeit und Selb­st­ständigkeit, die es braucht, um selb­st­sicher­er zu werden.

2. Kalkuliertes Risiko eingehen

No risk, no fun“ heißt es so schön. Ich sage: Kein Risiko, kein Zuwachs bei der Selb­st­sicher­heit. Denn: per­sön­lich­es Wach­s­tum set­zt Ziele voraus, nach denen man sich reck­en kann. Ange­sagt ist: Die Lat­te höher leg­en als gewohnt.

Bei Pre­mi­umwege geht das Risiko gegen Null.

Sie sind ver­lauf­sich­er aus­geschildert. Alle 100 Meter weißt eine Markierung den Weg. Wenn auf dieser Dis­tanz keine Weg­marke auf­taucht, ist das ein sicheres Zeichen, dass man falsch abge­bo­gen ist. Man braucht ein­fach nur den Weg, den man gekom­men ist wieder zurück­ge­hen bis die Marke wieder erscheint, schauen, wo der Pfeil hin zeigt und weit­er geht’s.

Sie sind regelkon­form, nach touris­tis­chen Maß­gaben zer­ti­fiziert. Man kann zwis­chen Ein-Sterne- bis Fünf-Sterne-Wegen wählen. Wie im Reisekat­a­log. Noch bevor man einen Schritt gegan­gen ist, weiß man exakt, wie viel Prozent Pfad- oder Asphal­tan­teil der Weg haben wird.

Wie Urlaub­sziele wer­den Pre­mi­umwege mit ein­drucksvollen Fotos und aus­führlichen Tex­ten beschrieben. Schon zu Hause auf der Couch kann man sich ein recht genaues Bild von der Wan­derung und ihren High­lights machen.

Keine Über­raschun­gen  — jeden­falls was die schö­nen Seit­en der Route bet­rifft. Keine uner­warteten, schö­nen Stellen, mit denen man so nicht gerech­net hat. Aber ger­ade diese Erleb­nisse sind es doch, die einen noch lange Zeit, wenn nicht ein Leben lang, in guter Erin­nerung bleiben.

Wie gesagt: Pre­mi­umwege sind prak­tisch und sollen auch sein. Manch­mal macht dieses Wan­dern im Spaziergänger­modus auch abso­lut Sinn. Nur zum Selb­st­sicher­w­er­den muss man diese Kom­fort­zo­nen notwendig ver­lassen. Da führt kein Weg vorbei.

Dabei rede ich nicht davon, Hals und Kra­gen zu riskieren. Viel mehr plädiere ich für Aben­teuer im abgesicherten Modus, für kalkuliertes Risiko.

Bedenken Sie: Wan­dern in unseren Bre­it­en ist in jedem Fall ein kalkulier­bares Risiko!

Denn was kann schon groß passieren in unser­er mod­er­nen Welt. Durch­zo­gen von Straßen, dichtbe­siedelt. Ehrlich: Das Schlimm­ste mit dem zu rech­nen ist, wäre dass der Weg länger als geplant wird, weil Sie sich ver­laufen haben. Wer sich mit Wan­derkarten ausken­nt und ein biss­chen von Ori­en­tierung am Son­nen­stand ver­ste­ht, der find­et immer den Weg nach Hause. Und außer­dem gibt’s noch das Handy im Not­fall der Not­fälle. Ver­hungern und ver­dursten wer­den Sie nicht.

Und ganz wichtig: Ger­ade Wan­dern eignet sich her­vor­ra­gend um ein Risiko nach eigen­em Ermessen zu kalkulieren. Man ist auf den eige­nen Füßen unter­wegs. Das heißt man hat Rich­tung, Tem­po und Ver­weilen selb­st und direkt unter Kon­trolle. Sie bes­tim­men, wann, wo und wie Gren­zen ver­schoben, über­schrit­ten, erweit­ert wer­den. Sie haben es jed­erzeit selb­st im Griff, wie weit sie sich raus in die Natur und runter von den Null-Risiko-Routen trauen!

Schön­er Neben­ef­fekt: Mit jedem kalkuliertem Risiko, dass Sie einge­hen, gewin­nen Sie an Selb­stver­trauen und wer­den peu à peu selb­st­sicher­er. Mit jedem Schritt, den Sie in Rich­tung Aben­teuer im abgesicherten Modus tun, wächst ihre Kom­fort­zone wie von selbst.

3. Learn­ing by doing

Klar: Neu­land betreten ist kein Spazier­gang im Stadt­park. Ner­vosität, Aufre­gung sind völ­lig nor­mal. Die meis­ten Men­schen fühlen sich etwas unsich­er, wenn Sie etwas tun, was sie noch nie getan haben.

Dass liegt ein­fach daran, dass wir uns auf etwas Neues und damit Unbekan­ntes ein­lassen und unserem Hirn notwendi­ge Infor­ma­tio­nen fehlen, um unser Wohlbefind­en zu sich­ern, was seine eigentliche Auf­gabe ist. Kein Wun­der also, dass die Knie am Anfang vielle­icht etwas zit­terig sind.

Das Neue ist immer risiko­r­e­ich. Denn für das Neue gibt es keine Erfahrun­gen.“, bringt es Nor­bert Blüm lap­i­dar auf den Punkt.

Wie kom­men wir aber in den Genuss der Erfahrun­gen, die wir bzw. unser Gehirn brauchen, um uns sich­er zu fühlen? Na nur, indem wir uns mit dem Neuen kon­fron­tieren und auseinan­der­set­zen. Denn unser Gehirn lernt durch Reize. Das bedeutet: Aktives Tun, mit Schwierigkeit­en umge­hen, Prob­leme lösen ist angesagt.

Und auch beim Üben ist Wan­dern das Mit­tel der Wahl, wenn es darum geht, selb­st­sicher­er zu wer­den. Denn man kann es eigentlich über­all machen kann — sog­ar in der Stadt. Wer sich also nicht gle­ich in der freien Wild­bahn ver­suchen will oder nicht so oft die Gele­gen­heit hat rausz­u­fahren, kann auch vor der eige­nen Haustür üben: Mit dem öffentlichen Nahverkehr an den Stad­trand fahren, am besten in eine Ecke, die man noch nicht so gut ken­nt, und von dort nach Hause zurück stadtwandern.

Der Men­sch scheint also wie geschaf­fen zum selb­st­bes­timmten Wan­der­er. Wenn da der Kopf nicht wäre! Learn­ing by doing kann daher nicht heißen mach doch ein­fach mal“. Ger­ade am Anfang ist es wichtig, dass Sie Ihrem Kopf, den Gedanken und Gefühlen, Gele­gen­heit geben, sich an die neuen Dinge, die Sie zu tun wollen, allmäh­lich zu gewöh­nen. Andern­falls ist es schnell vor­bei mit dem Vorhaben etwas an ihrem Wan­derver­hal­ten zu ändern, um damit selb­st­sicher­er zu werden.

Leg­en Sie langsam einen Zahn zu!

Den Ball flach hal­ten: Schritt für Schritt zu neuen Zielen

Wie gehen Sie nun als aktiv­er, naturlieben­der Men­sch, der selb­st­sicher­er wer­den möchte, klug an das selb­st­bes­timmte Wan­dern her­an? Also so, dass Sie wirk­lich Lunte riechen, Spaß an der Sache kriegen und sich mit der Zeit immer öfter trauen die Pre­mi­umwege zu ver­lassen und  eigene Wege zu gehen. Was sind die Fall­stricke? Wie kön­nten Sie es konkret mal aus­pro­bieren, ohne gle­ich am Anfang zu viel zu riskieren?

Wichtig ist es, sich klar zu machen: Sich was trauen“ oder Fortschritte machen“ erfordern keine Mut­proben! Also sich einem Klet­ter­steig zu stellen, blin­d­lings in die Pam­pa zu marschieren, ad-hoc eine mehrstündi­ge Tour zu wagen usw. obwohl man diesen Vorhaben physisch und men­tal in kein­ster Weise gewach­sen ist.

Daher ist der größte Fehler, den Sie machen kön­nen, sich zu überfordern.

Grund­sät­zlich gilt: Der Kopf muss zu jedem Zeit­punkt Herr der Lage sein. Andern­falls zieht er automa­tisch die Notbremse.

Mit unre­al­is­tis­chen Anforderun­gen pro­gram­mieren Sie das eigene Scheit­ern vor.

Selb­st­sicher­er wer­den erfordert ler­nen, Fähigkeit­en entwick­eln und so per­sön­lich zu wach­sen. Men­schen sind keine Maschi­nen, son­dern organ­is­che Lebe­we­sen. Verän­derung beim Men­sch funk­tion­iert nicht nach der Hauruck-Methode.

Gehirn und Kör­p­er brauchen ihre Zeit, um sich an neue Anforderun­gen anzu­passen. Dieses Prinzip gilt ein Leben lang. Als Baby haben wir unge­fähr ein Jahr lang täglich geübt bis wir sich­er gehen kon­nten.  Nur weil wir als Erwach­sene schon ewig sich­er auf unseren Beinen durchs Leben marschieren, meis­tern wir neue Her­aus­forderun­gen noch lange nicht aus der Lamäng.

Wer diese biol­o­gis­chen Tat­sachen ignori­ert, zu schnell von Null auf Hun­dert geht, traut sich erst gar nicht – ver­liert schnell die Lust und schmeißt die Sache vorschnell hin.

Die per­fek­te Vorge­hensweise ist das Prinzip der kleinen Schritte. Begin­nen Sie mit einem mach­baren, über­schaubaren, real­is­tis­chen Vorhaben. Sie kön­nen auch hier direkt vor der Haustür losle­gen: Gehen Sie bis an die näch­ste Straße­necke und entschei­den Sie spon­tan, wie es weit­er gehen soll. Fol­gen Sie immer weit­er den eige­nen Vorstel­lun­gen. Lassen Sie sich über­raschen, wo Sie die eigene Neugi­er hinführt.

Um ein neues Ter­rain zu erkun­den, kön­nen Sie meinetwe­gen auch auf einem Pre­mi­umweg starten. Biegen Sie aber, anders als sie es gewohnt sind, bei der näch­sten Neugi­er-Ecke ab. Das kann ein ver­schlun­gener Pfad, eine Aus­blick ver­sprechende Hochebene oder das Rauschen eines nahen, jedoch noch nicht sicht­baren Bach­es sein. Gehen Sie vielle­icht erst ein über­schaubares Stück in die neue, lock­ende Rich­tung und kehren Sie dann auf die sichere Strecke zurück. Und denken Sie daran: Übung macht den Meister!

Die gute Nachricht: Alle Men­schen ver­fü­gen poten­ziell über die Fähigkeit­en, die wir brauchen, um unbekan­ntes Ter­rain zu erforschen und zu ent­deck­en: pla­nen, sich ori­en­tieren, Lösun­gen find­en in uner­warteten Sit­u­a­tio­nen. Der Grad, in dem wir auf sie zurück­greifen kön­nen hängt davon ab, wie oft wir von ihnen Gebrauch machen, das heißt, sie aktiv anwenden.

Das men­schliche Sys­tem ist auf Opti­mierung aus­gelegt: Was wir nicht brauchen, wird zurück­ge­baut. Ein Muskel, der nicht gefordert wird, erschlafft. Sprachen, die wir nicht sprechen, ver­lieren wir. Wege, die wir nicht gehen, bleiben unserem Kopf ewig ein Rätsel.

Darum: Wenn Sie mit Wan­dern selb­st­sicher­er wer­den wollen und Ihr Selb­stver­trauen aufmö­beln möcht­en, dann ver­lassen Sie Schritt für Schritt die Pre­mi­umwege. Immer wieder. Immer öfter. Bleiben Sie dran.

Fol­gen Sie beim Wan­dern Ihren eige­nen Ideen und Interessen.

Wagen Sie das selb­st­bes­timmte Wandern!