Ich also die Auf­nah­meapp vom Handy aus­gestellt. Nach­dem ich das zweite Mal an ein­er Abzwei­gung vor­bei gelaufen bin, fiel es mir wieder wie Schup­pen von den Augen:

Ori­en­tierung beim Wan­dern erfordert ungeteilte Aufmerk­samkeit für den Weg.

Wenn ich beim Wan­dern mit den Gedanken bei ein­er Sache bin, die mich von der Umge­bung ablenkt, ver­liere ich zwangsläu­fig den roten Faden.

Was war passiert? Neulich bin ich von Bin­gen nach Wörrstadt gegan­gen (25 km). Train­ing für den Wan­der­marathon im West­er­wald im Juni.

Beim Gehen komme ich nach ein­er Weile immer in einen echt­en Denk­flow. Eine offene Frage, ein Prob­lem taucht unver­mit­telt im Kopf auf. Durch den gle­ich­mäßi­gen Rhyth­mus beim Gehen flutscht das Denken plöt­zlich wie von selb­st. Die Kreativ­ität kommt in Schwung. Die toll­sten Lösun­gen purzeln dann aus meinem Hirn. So auch dieses Mal.

Auf einem ein­töni­gen Wirtschaftweg in den Wein­ber­gen kam ich auf die glo­r­re­iche Idee, diesen Kreativ­itätss­chub zu nutzen und beim Gehen den näch­sten Part meines Vor­trags im Mai vorzu­bere­it­en [Sin­niger­weise zum The­ma Dran­bleiben!!!].

Der Weg lief schnurg­er­ade aus. War asphaltiert. Keine Gefahr zu stolpern. Ich war  mut­tersee­le­nallein. Kein Men­sch unter­wegs. Kein Zuschauer. Kein Zuhör­er. Unbeobachtet. Die Gelegenheit!

Gesagt getan! Die Sätze sprudel­ten nur so aus mir her­aus. Aus dem Stand for­mulierte ich rede­frei das ange­sagte The­ma. Pri­ma!“, dachte ich, das kannste doch gle­ich mit dem Handy aufnehmen. Dann brauch­ste das zu Hause nur noch abzuhören und in die Tas­tatur zu tippen!“

Ich also Handy raus. Auf­nah­meapp ges­tartet und los­ge­plap­pert. Lief wie am Schnürchen. Hätte mich jemand beobachtet… Das war sich­er ein lustiges Bild: Wan­derin, die mit sich selb­st spricht.

Der Hak­en an der Sache: Ich war so ver­tieft in das Reden und in das The­ma, dass ich alles, aber wirk­lich alles um mich herum vergessen habe. Die Folge: Auch Weg­weis­er und Abzweige habe ich nicht mehr wahrgenom­men. Ich bin wie eine Mas­chine automa­tisch ger­adeaus gegan­gen; ohne rechts und links zu schauen. Meine volle Aufmerk­samkeit war bei der Rede – also nach innen gerichtet; statt nach außen!

Unbe­wusst muss ich allerd­ings schon was mit­gekriegt haben. Mein Glück. Wie son­st wäre ich nicht zweimal abrupt ste­hen geblieben, weil mir urplöt­zlich was komisch, irgend­wie falsch vorkam. Das erste Mal an ein­er Kreuzung und das zweite Mal an einem Kreisel am Ort­sein­gang. An der Kreuzung kor­rigierte ich den Weg indem ich ein Stück wieder zurück­ge­gan­gen bin. Am Kreisel bin ich tat­säch­lich falsch abge­bo­gen. Mit der Folge, dass ich einen riesen Umweg gehen musste, um wieder auf meinen Weg Rich­tung Wörrstadt zu stoßen. Das war gar nicht so leicht.

Durch die Ablenkung habe ich die Weg­marke ver­loren und bin in ein­er mir unbekan­nten Ortschaft vom Kurs abgekom­men. Ich hat­te plöt­zlich gar keine Ahnung mehr, in welche Rich­tung ich genau gehen muss. Zudem befand ich mich in ein­er Senke; hat­te also keinen natür­lichen Überblick über die Land­schaft. Außer­dem war es nebe­lig an diesem Mor­gen. Meine Karte war im Dorf keine große Hil­fe: zu großer Maßstab (1:50.000). Echt genutzt hat mir in dieser Sit­u­a­tion der Kom­pass. Damit kon­nte ich die richtige Rich­tung peilen, kor­rigieren und habe so schließlich wieder die Weg­marke ent­deckt und meinen Zielkurs eingeschlagen.

Nach dieser Erfahrung habe ich das Pro­jekt Eine Rede beim Wan­dern vor­bere­it­en“ ein für alle Mal in die Schublade Macht keinen Sinn“ geschoben. Wie gesagt: Auf­nah­meapp aus­geschal­tet. Handy in die Jack­en­tasche zurück­gesteckt. Ende Gelände.

Wie sagte eine Teil­nehmerin bei einem mein­er Ori­en­tierungskurse neulich? Kopf anschal­ten beim Wan­dern!” Genau! ;-)

Erken­nt­nis des Tages: Wenn Ori­en­tierung beim Wan­dern ange­sagt ist, musst Du mit dem Kopf voll bei der Sache sein, um auf den richti­gen Weg zu bleiben. Reden vor­bere­it­en und gle­ichzeit­ig die Ori­en­tierung behal­ten beim Wan­dern funk­tion­iert nicht!

Das gilt natür­lich ver­stärkt, wenn man in einem unbekan­nten, unüber­sichtlichen Gelände unter­wegs ist. Und es ist ele­mentare Voraus­set­zung, um seine  Ori­en­tierungs­fähigkeit zu schulen.  Ohne Aufmerk­samkeit und Konzen­tra­tion auf den Weg: zwecklos.

Das gilt übri­gens genau so für andere Ablenkungs­man­över: Mit dem Wan­der­part­ner schwätzen. Augen auf das Dis­play des GPS-Geräts tack­ern oder inten­siv nach einem geeigneten Foto­mo­tiv suchen. Übri­gens: Den gle­ichen Effekt kann man beobacht­en, wenn man beim Spazierenge­hen im Stadt­park in einem Buch liest, statt die Augen auf den Weg zu richt­en. Unver­mit­telt ste­ht man an ein­er uner­warteten Stelle und fragt sich: Wie bist Du eigentlich hier­her gekommen?”

Volle Ori­en­tierung bedeutet: mit allen Sin­nen voll und ganz beim Weg sein!

Jakobsberg oberhalb von Ockenheim mit Blick auf Rheintal.
Jakob­s­berg ober­halb von Ock­en­heim mit Blick auf Rhein­tal im Nebel.