Alexander Huber klettert free solo. Er klettert Felswände ohne jegliche Sicherung hoch. Wände, die so steil und glatt sind, dass ich beim Betrachten denke: Wo um Himmelswillen KLETTERT er denn da. Der muss Saugnäpfe an den Füßen haben. Spannend. Eindrucksvoll. Irritierend.
Wir müssen allerdings keine Extremsportler sein, um aus dem Buch “Die Angst — Dein bester Freund” von Alexander Huber Nutzen zu ziehen. Deshalb stelle ich es hier vor. Ich werfe mich ins Zeug für dieses Buch. Warum?
Wie der Buchtitel unschwer erkennen lässt: In diesem Buch geht es um Angst. Angst- und Stressregulation ist mein Metier als Sportmentalcoach. Der entscheidende Grund lautet jedoch: Weil Autor und Buch mich überzeugen. Bücher, die dieses Kriterium nicht erfüllen, finden hier im Blog nicht statt.
“Wer kennt sie nicht, die Angst, seine Gesundheit zu verlieren, unheilbar krank zu werden? Wer fürchtet sich nicht davor, im Rollstuhl zu landen oder dass ein wichtiger, nahe stehender Mensch bei einem Autounfall sein Leben verliert? Oder Du schaust vom Balkon eines Hochhauses lieber doch nicht hinunter? Wer hat bei sich die Angst vor wilden Tieren, engen Fahrstühlen, rauschenden Volksfesten oder anderen großen Menschenansammlungen entdeckt?…”
Jeder Mensch hat seine ganz persönliche Angstliste. Angst gehört zum Mensch sein dazu. “Menschen, die keine Angst haben, von denen stammen wir nicht ab.”, sagt der Hirnforscher Manfred Spitzer. Trotzdem kommt die Angst heutzutage nicht gut weg. Angst vor der Angst ist verbreitet.
Warum haben wir überhaupt Angst? Warum hat die Angst heutzutage so einen schweren Stand? Was ist die Alternative zu den natürlichen, automatischen Angstreaktionen: Kampf, Flucht, Kopf in den Sand stecken?
Der Bergsteiger und Kletterer Alexander Huber gibt Antworten darauf. Ja, er geht noch weiter: Er bricht eine Lanze für die Angst.
Wenn jemand weiß, was Angst ist, dann er. Die Angst gehört zu seinem Beruf. Sie ist sein täglicher Begleiter. Er sucht sie bewusst. Als Bergsteiger und Kletterer hat er so ziemlich alle Formen dieses Gefühlszustandes kennengelernt.
Das ist aber schon starker Tobak. Die Angstliste des Autors wird von Extremsituationen diktiert. Kaum vergleichbar mit unseren Normalängsten, sage ich jetzt mal so. Sind solche Extremerfahrungen überhaupt geeignet, um uns Ottonormalangsthasen etwas über den Umgang mit Angst zu lehren?
Ja, antwortet Huber und begründet es so: “Wir alle reagieren ja erst mal auf die gleiche Art und Weise auf die Angst. Die Angst bringt Anspannung, da kommt keiner aus, in dieser Reaktion sind wir gefangen. Aber danach haben wir die Freiheit. Laufe ich davon, lasse ich es sein? Oder stelle ich mich, gehe ich das Problem an?”
Diese Freiheit hat jeder Mensch. Diese Freiheit existiert unabhängig von der Situation. Entscheidend ist, wie wir auf sie reagieren.
Jetzt ist Angst ist nicht gleich Angst. Unterschiedliche Angstsituationen erfordern unterschiedliche Reaktionsweisen.
Huber präsentiert dazu ein breites Spektrum an Erfahrungswissen, das er wissenschaftlich untermauert.
Abgesichert auf der Basis von eigenen Erfahrungen in unterschiedlichen Situationen: im Sport, im Beruf, im Alltag.
Beleuchtet aus verschiedenen Blickrichtungen: Stress, Leistungsdruck, Angst bei wichtigen Entscheidungen, Angst vor dem Erfolg.
Mehrdimensional betrachtet: Angst, die warnt, leitet, die motiviert, die blockiert, die uns aus der Bahn wirft und im nächsten Zug doch wieder nach vorne bringt.
Erzählungen, Berichte, Essays wechseln ab mit Interviews. Zu Wort kommen Wissenschaftler, Journalisten, sein Bruder Thomas. Sogar den Vorstandsvorsitzende eines Sportkonzerns hat er dazu bekommen, über seine Ängste zu sprechen.
Erhellend finde ich das Kapitel “Die Angst und ihr Imageproblem”. Ein interessantes Essay über die Gründe für unsere Angst vor der Angst.
Was macht dieses Buch noch interessant für Normalos?
Huber kommt ehrlich und unverstellt rüber. Er macht keinen Hehl aus seiner Angst. Bei Blockaden am Berg: “…ich klettere die ersten vier Meter. Es läuft bescheiden. Ein Gedankenchaos beherrscht mich, ich fühle mich in vollem Umfang überfordert. Ich verliere mich selbst, bin total betäubt, spüre nichts — so geht es nicht. Ich steige wieder zurück, setze mich noch einmal am Einstieg hin.” Und im Alltag: “Die irrationalen Ängsten freuten sich bei mir ihres Lebens…bald kam der Tag, an dem ich Angst vor der Angst hatte. Ich litt unter einer ernsthaften Angsterkrankung.”
Huber arbeitet als Vortragsredner. Er ist es gewohnt, seine außergewöhnlichen Erfahrungen am Berg auf andere Situationen, wie Beruf und Alltag, herunterzubrechen und Menschen wie Sie und ich seine Erkenntnisse weiterzugeben und zu vermitteln. In einer konkreten, einfachen und verständlichen Sprache.
Klar: Dieses Buch ist ein heißer Tipp für Kletterer. Sie erfahren Details direkt aus der Wand. Immer wieder lässt Huber seine Leser an seinen Aktionen konkret teilhaben. Am Ende unterhält sich der Journalist Lukas Eberle mit Alexander und Thomas Huber — bekannt als die Huber-Buam — in einem Doppelinterview über die Angst. Vermutlich hat jeder Kletterer dieses Buch bereits auf dem Nachttisch liegen.
Ich rede mir hier den Mund fusselig, weil ich deutlich machen möchte, dass dieses Buch für jeden von uns etwas zu bieten hat. Egal, ob wir Bergsteiger sind, als Wanderer kreuz und quer, erkundend, entdeckend unterwegs sind oder ob unsere Herausforderungen woanders liegen.
Bergsteigen ist nur eine Methapher, das Buch ein Plädoyer für mehr Pioniergeist, Mut und Neugier im Alltag; für mehr Bereitschaft, unbekannte Wege zu gehen, andere Menschen zu treffen, das eigene Leben zu erforschen und zu erkunden und sei es nur vor der eigenen Haustür.
Sie möchten etwas über den Umgang mit Angst lernen?
Ich ermuntere und ermutige Sie: Lesen Sie dieses Buch!
Lesen Sie es nicht nur einmal und nicht unbedingt auf einen Rutsch.
Geben Sie dem Buch eine Chance, seine Wirkung zu entfalten.
Lassen Sie sich vom Extremen nicht ablenken. Wagen Sie einen Blick, zwei oder auch viele. Brauchbare Erkenntnisse können mit aufmerksamem, unvoreingenommenem Lesen gefiltert und auf ein Maß heruntergebrochen werden, das erlaubt, das Gelernte bei den eigenen Herausforderungen anzuwenden.
Es lohnt sich. Spannende Lektüre ist es alle Mal! ;-)
“Wenn man einmal die Erfahrung gemacht hat, dass man den Weg aus den Ängsten beschreiten kann, wird man für die Zukunft das Vertrauen in sich haben, dass man auch beim nächsten Mal den Weg aus den Ängsten heraus finden wird.”
“Die Angst — Dein bester Freund” hat 186 Seiten und mehrere Farbfotos, ist im Piper-Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro.
Sie erhalten das Buch bei Ihrer Buchhandlung vor Ort und online auf der Website des Piper-Verlags.
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