[pul­lquote] Erkun­den, ent­deck­en und Mut erleben macht ein­fach Spaß. Wan­dern ist eine super Möglichkeit genau dies zu tun![/pullquote]

Hier gehn isch raus!” Der alte Mann kratzt sich am Kopf. Seit ich vor ein­er hal­ben Stunde zu ihm auf die Rück­bank des Klein­busses gek­let­tert bin, hat er kein Wort gesprochen. Die Ankündi­gung kommt aus der Stille. Wie ein Trompe­ten­stoß. Diese Begeg­nung war zufäl­lig. So wie es auf ein­er Reise eben passiert. Es ist eine berührende Geschichte und es ist eine Geschichte über den Mut.

Dass ich auf der Rück­bank eines Klein­busses durch die Nordp­falz fahren würde, war mor­gens nicht abzuse­hen. Eigentlich wollte ich von Lautereck­en über Sulzhof, Reipolt­skirchen, Bis­ter­schied und Schön­born nach Rock­en­hausen wan­dern. Nach 24 Kilo­me­tern und 825 Höhen­meter rauf und 500 Höhen­meter runter waren die Bat­te­rien in Bis­ter­schied leer.

Bis Reipolt­skirchen lief alles nach Plan: eine zu Hause eruierte Ide­allinie nach Osten. Immer mal wieder auf einem offiziellen Weg des Pfälz­er Wald­vere­ins. Die Abkürzun­gen der weit nach Süden aus­holen­den Zack­en des markierten Weges funk­tion­ierten rei­bungs­los. Bis dann in Reipolt­skirchen urplöt­zlich das gelbe Rechteck ‑die Weg­marke — ver­schwun­den war. Eine Stunde verge­blich gesucht, schließlich der Peilung meines Kom­pass­es gefol­gt, auf der Land­straße doch von der Ide­allinie abgekom­men. Nach Süden abgeschla­gen. Wider­willen in Nußbach gelandet. Dort mit Intu­ition und ein­er hil­fs­bere­it­en Pfälz­erin die gelbe Weg­marke wieder gefunden.

Schließlich in Bis­ter­schied den Bus­fahrplan studiert: Dreimal am Tag hält die Lin­ie 913 hier. In ZEHN Minuten kommt dieser Bus nach Alsenz zum Bahn­hof! Fügung, denke ich und schenke mir die let­zten 8 Kilo­me­ter nach Rock­en­hausen. Statt des erwarteten Omnibusses kommt ein Acht­sitzer. Den Zettel mit der Lin­i­en­num­mer hin­ter der Frontscheibe sehe ich in let­zter Sekunde. Ich springe vom Mäuerchen auf der falschen Straßen­seite rüber zur Hal­testelle. Gebe Handze­ichen. Stopp! Ich will mit. Der Fahrer kommt mit der Nen­nung des Fahrpreis­es ins Trudeln als ich bezahlen will. Scheint nicht oft, dass jemand ein­fach so ein­steigt. Ohne Monatskarte. Die Quit­tung stellt er mit der Hand aus. Ich ziehe die Schiebetür zu und sehe mich um. Außer mir gibt es nur noch einen Fahrgast: der alte Mann. Er nickt mir fre­undlich zu.

Rot­er Sakko, aus­ge­beulte Cord­ho­sen. Beobachtet, wie ich Wass­er trinke. Als ich seinen Blick bemerke, lächelt er mich an und schaut zur anderen Seite aus dem Fen­ster. Wie gesagt, kein einziges Wort auf der ganzen Fahrt. Die ist lang. Jedes Dorf wird abgeklap­pert. 4 Kilo­me­ter vorm Ziel geht die Fahrt noch mal in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung. Man­no­mann. Das let­zte Fleckchen Zivil­i­sa­tion der Nordp­falz soll wohl in den Genuss von öffentlichem Nahverkehr kom­men. Nur steigt nir­gend­wo auch nur eine Men­schenseele zu. Wir zuck­eln mit 60 Stun­denkilo­me­ter durch die Pam­pa. Dann tönt es in bre­it­em Nordpfälzisch: Hier gehn isch raus!” In den alten Mann kommt Bewegung.

Jet­zt erkenne ich: In der linken Hand hält er einen Stoff­beu­tel. Die Henkel ver­dreht, so dass der Beu­tel bis auf den Inhalt zusam­menge­drückt auf seinem linken Ober­schenkel liegt. Hier gehn isch raus!” Er rutscht auf dem Sitz nach vorne. Dreht den Beu­tel weit­er bis zum Anschlag zusam­men. Ich beruhige ihn: Wenn der Bus ange­hal­ten hat, steige ich zuerst aus und lasse Sie raus.” Nur ruhisch, mir krien das schon.”, steuert der Fahrer von vorne bei. So geschieht es.

Vom Bus raus auf den Bürg­er­steig sind gute 30 Zen­time­ter Höhe zu über­winden. Ziem­lich hoch, um mit einem Schritt auszusteigen; zumal für den alten Mann. Einen sehr beweglichen Ein­druck macht der mir nicht, denke ich noch, als ich auf der Straße ste­he und ihm den Weg frei mache. Bin schon darauf eingestellt, ihm meine Hand für Hil­festel­lung zu reichen. Er kommt nach vorne an die Tür. Zögert einen Moment, geht leicht in die Knie und…springt mit bei­den Füßen gle­ichzeit­ig auf den Asphalt. Ste­ht wie eine Eins. Boah!

Das ist ja noch mal gut gegan­gen, schießt es mir durch den Kopf. Ich steige wieder ein, ziehe die Schiebetür mit einem Ruck zu. Der wird langsam auch dement”, sagt der Fahrer. Den hab ich schon zehn, fün­fzehn Mal an irgendwelchen Hal­testelle unter­wegs aufge­sam­melt.” Er ste­ht immer noch draußen an der Hal­testelle. Als wir abfahren winke ich ihm fre­undlich zu. Ganz doll winkt er mit der Hand zurück und lacht über bei­de Ohren.

Old Man Jump­ing. Wenn sich ein Men­sch langsam ver­gisst, ver­gisst er vielle­icht auch, was Angst ist. Mut ist Kopfsache!

Tutti-Frutti-Lüster Heide Weidele, Deutschland
Skulp­turen­weg Reipolt­skirchen: Tut­ti-Frut­ti-Lüster von Hei­de Wei­dele, Deutschland.
Strohrollen
Anhalt­spunk­te
Spuren
Spuren