An vier Tagen in der Woche sitze in von morgens bis abends am Computer. Das bringt mein Job mit sich. Ich besitze ein Smartphone mit Internetverbindung. Auch in meiner Freizeit bin ich oft im Internet. Desktop und mobil. Ich schreibe hier im Blog, recherchiere für meine Ausbildung zur Sport-Mentalcoach und bin als Stammgast in den sozialen Medien unterwegs. Weil es Spaß macht. Ja, ich liebe den schellen, humorvollen Austausch auf Twitter, das sich Vernetzen, sich die Bälle zu spielen; die Herausforderung mit wenigen Worten auf den Punkt zu kommen. Ich liebe das Schreiben über meine Erfahrungen beim Wandern im Blog, noch mehr das Illustrieren meiner Texte mit schönen Fotografien. Und: das Internet bietet mir eine Plattform, um mich zu zeigen. Das gefällt mir.
Auf der anderen Seite könnte es sein, dass ich deswegen so oft in den digitalen Medien bin, weil ich gar nicht anders kann. Der Gehirnforscher Manfred Spitzer würde es vielleicht so ausdrücken: Weil mein Gehirn Lunte gerochen hat. Nennen wir das Kind beim Namen: Ich entdecke bei mir durchaus Anzeichen für Suchtverhalten. Das ist nicht abwegig. Inzwischen gibt es Kliniken für “digitalen Entzug”. Doch gemach, gemach!
Ich bin zwar ein potenzieller Internet-Junkie. Aber zum Glück funktioniert der Selbsterhaltungstrieb meines Hirns noch! ;-) Deshalb sehe ich keinen Grund zu ernsthafter Sorge. Was dieser Buchtipp mit Wandern zu tun hat, darauf komme ich weiter unten zu sprechen. Vorher möchte ich schreiben, worum es in dem vorgestellten Buch geht.
Der renommierte Naturwissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer macht in seinem Buch „Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen.“ das Suchtpotenzial von digitalen Medien zum Thema. Nicht, weil er digitale Medien ablehnt oder ein „Medienhasser“ ist. Er nutzt sie selbst tagtäglich. Sondern, weil er Eins und Eins zusammenzählt: das Wissen um die Funktionsweise des menschlichen Gehirns einerseits und die Auswirkungen von digitalen Medien auf das menschliche Gehirn, wenn wir sie benutzen, andererseits. Seine These auf den Punkt gebracht: digitale Medien machen dumm bzw. lassen dumm, wenn wir ihnen das Denken überlassen. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, muss man wissen, wie das menschliche Gehirn arbeitet.
„Zu den wichtigsten Erkenntnissen im Bereich der Neurobiologie gehört, dass sich das Gehirn durch seinen Gebrauch permanent ändert. Denken, Erleben, Fühlen und Handeln – all dies hinterlässt so genannte Gedächtnisspuren.“, fasst Manfred Spitzer die neuesten Erkenntnisse der Gehirnforschung zusammen. Das Gehirn lernt immer! Bis ins hohe Alter übrigens (Martin Korte: Jung im Kopf, DVA Verlag) Es kann eines nicht: nicht lernen. Und wenn das so ist, „dann hinterlässt auch die mit digitalen Medien verbrachte Zeit ihre Spuren.“ Das allein betrachtet, wäre noch kein Grund zu Sorgen. Interessant wird es, wenn man durch die Evolutionsbrille guckt:
„Unser Gehirn ist das Produkt der Evolution; es entstand also über einen langen Zeitraum durch Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen, zu denen digitale Medien definitiv nicht gehörten. Und ebenso wie man heute sehr viele Zivilisationskrankheiten als Ausdruck eines Missverhältnisses der früheren Lebensweise ( Jagen und Sammeln, also viel Bewegung und ballaststoffreiche Nahrung) und des modernen Lebensstils (wenig Bewegung, ballaststoffarme Nahrung) versteht, lassen sich die negativen Auswirkungen der digitalen Medien auf geistig-seelische Prozesse im evolutions- und neurobiologischen Rahmen besser verstehen.“, beschreibt Manfred Spitzer das Szenario.
Das Problem sind nicht die digitalen Medien an sich, sondern die Tatsache, dass sie uns potenziell das Denken abnehmen. Wenn wir nicht mehr denken müssen, dann verlernt unser Gehirn das Denken bzw. aus der Sicht der Kinder betrachtet, wir lernen erst gar nicht zu denken. Ähnlich wie bei einem Muskel: wenn er nicht benutzt wird, baut er ab bzw. er entwickelt sich erst gar nicht. „Wer denken lässt, wird kein Experte.“ Darüberhinaus wirkt die digitale Technik negativ auf die menschliche Wahrnehmung, was wiederum die Informationsverarbeitung im Gehirn beeinträchtigt. Näheres dazu findet sich in diesem Buch.
Wer die Zusammenhänge begreifen und mehr wissen will: Manfred Spitzer erklärte sie auf über 300 Seiten in diesem Buch ausführlich, aus unterschiedlichsten Perspektiven und Zusammenhängen, mit wissenschaftlichen Belegen und in verständlicher Sprache. Hinter Spitzers Thesen steht kein theoretisches Gedöns, sondern harte Fakten. Genauso wie der Apfel vom Baum auf den Boden fällt, verlernt unser Gehirn das Denken, wenn wir den digitale Medien das Denken überlassen. D.h. sie unreflektiert benutzen, uns gedankenlos auf sie verlassen bzw. ihnen blind folgen. Das liegt weniger an den digitalen Medien als an der Funktionsweise unseres Gehirns!
Deshalb sollten wir unseren Grips, so lang er noch funktioniert, dafür verwenden, uns selbst zu steuern und dafür zu sorgen, dass unser Gehirn lebendig und funktionstüchtig bleibt!
Schlussendlich komme ich an dieser Stelle darauf, was dieser Buchtipp mit Wandern zu tun hat. Denn ausgerechnet beim Wandern bietet sich ein spannende Möglichkeit sein Gehirn fit zu halten. Schon die Bewegung wirkt sich günstig auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns aus (Martin Korte: Jung im Kopf, DVA Verlag). Ein weiterer Trainingseffekt tritt ein, wenn wir statt mit GPS mit Karte und Kompass unsere Wege gehen. Wer hätte das gedacht!
Der räumlichen Orientierung widmet Spitzer ein eigenes Kapitel. In „Wo bin ich?“ berichtet er von seinen eigenen Erfahrungen mit Navigationsgeräten. Nachdem ihm seines aus dem Auto geklaut worden war, und er ohne technische Hilfe den Weg finden musste, stellte er fest, dass seine Fähigkeit zur örtlichen Orientierung unter Nutzung eines Navis gelitten hatte.
Übrigens: Die örtliche Orientierung, gehört neben der zeitlichen und personalen Orientierung zu den geistigen Grundfähigkeiten. „Bei Patienten mit Demenz nimmt sie in genau dieser Reihenfolge ab – Zeit, Ort, Person.“
Orientierung ist eine Fähigkeit, die gelernt wird. Auch dazu findet man bei Spitzer interessante Beispiele und Belege. „Geistiges Training – Lernen – vollzieht sich wie beim Muskel automatisch bei geistiger und körperlicher Anstrengung. Geistig strengen wir uns an, wenn wir uns aktiv mit der Welt auseinander setzten…Wie leistungsfähig wir geistig sind, hängt davon ab, wie viel wir geistig leisten.“
Vielleicht habe ich deshalb intuitiv Karte und Kompass für mich entdeckt, die die Auseinandersetzung mit der Natur und Mitdenken erfordern. Gerade weil ich viel mit digitalen Medien zu tun habe, scheinen die traditionellen Instrumente der Orientierung eine starke Anziehungskraft auf mich zu haben. Unbewusst greift mein Kopf zur artgerechten Alternative, wie nach einem Strohhalm. So gesehen ist die Orientierung mit Karte, Kompass und Sonnenstand eine natürliche Reaktion auf meine internetaffine Lebensweise.
Wenn Sie Ihre Orientierungsfähigkeit auf Trab bringen wollen, dann empfehle ich Ihnen meine gehirngerechten Orientierungskurse, die ich mehrmals im Jahr anbiete. Dort üben wir das Wandern mit Karte, Kompass und natürlichen Anhaltspunkten.
Spitzer, Manfred: Digitale Demenz — Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Taschenbuch, Droemer, 12,99 Euro
Sie erhalten dieses Taschenbuch bei Ihrer Buchhandlung vor Ort und im Online-Handel.
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