Meine Groß­mut­ter müt­ter­lich­er­seits war Wan­derin. Noch mit 90 Jahren führte sie jün­gere Alte durch den Taunus. Sie starb mit 93 Jahren. Ihr Leben war vor­bei. Als wir ihre Woh­nung räumten, standen Fra­gen im Raum: Was kommt weg? Was behal­ten wir? Ohne groß zu über­legen, entsch­ied ich, den großen Esstisch und die Stüh­le zu mir zu nehmen.

Diese Möbel­stücke haben eine lange Geschichte. Meine Groß­mut­ter hat sie zu ihrer ersten Hochzeit geschenkt bekom­men. Im Krieg hat sie diesen Tisch und diese Stüh­le von Berlin über Kas­sel, bayrischen Wald, Mainz und Taunus schließlich wieder nach Mainz geschleppt. Das muss man sich mal vorstellen. Was für ein Akt. Im Krieg. Unter diesen schwieri­gen Umstän­den.  Zum Schluss standen der große Tisch und die sper­ri­gen Stüh­le in ihrem kleinen Wohn- und Schlafz­im­mer, obwohl sie eigentlich viel zu viel Platz weg­nah­men. Wie es auch kam, Tisch und Stüh­le mussten offen­bar mit.

15 Jahren nach dem Tod der Groß­mut­ter und einem Umzug mein­er­seits sind Tisch und Stüh­le immer noch bei mir. Ich sehe keinen Grund, warum das jemals anders sein sollte. Wir benutzen diese Möbel jeden Tag. Inzwis­chen dürften sie schon an die 100 Jahre alt sein. Manch­mal stelle ich mir die Wege vor, die sie schon hin­ter sich gebracht haben.

Was hat jet­zt der Tisch mein­er Oma mit dem Wan­dern zu tun?

Als Kind war ich immer wieder mehrere Tage auf Besuch bei mein­er Groß­mut­ter. Ich verbinde damit schöne Erin­nerun­gen. An diesem Tisch haben wir Spiele zusam­men gespielt, gemalt. Aber vor allem war es die Oma mit dem Tisch (nicht die andere väter­lich­er­seits), die es ver­standen hat, mir als Kind das Wan­dern schmack­haft zu machen; mit Malz­bier, Vol­lko­rn­brot mit Käse, Rast im weichen Moos und Zeit zum Spie­len am Bach.

Ich neige grund­sät­zlich dazu, Dinge, mit denen ich pos­i­tiv emo­tion­al irgend­wie ver­bun­den bin, zu bewahren. Das beobachte ich auch in anderen Zusam­men­hän­gen. Die Geschichte mit dem Mäuerchen fällt zum Beispiel in diese Kategorie.

Tisch und Stüh­le mein­er Oma sind ein Stück rot­er Faden in meinem Leben. Bewahren und Fort­führen sind meine Art, die Dinge über die Zeit hin­weg mit einan­der zu verbinden. Zu einem Ganzen. Möglicher­weise bin ich genau deshalb dann doch Wan­derin gewor­den. Was lange Zeit so nicht abse­hbar war.

Trockenmauer
Hier hat jemand Bewährtes fort­ge­führt. Die alte Trock­en­mauer mit neuen Steinen in Stand geset­zt. Vielle­icht wegen der schöne Zeit­en als Kind mit dem Opa im Weinberg.