Vor 4 Jahren kannte ich mich im Binger Wald null komma null aus. Ein oder zweimal sind mein Mann und ich zusammen mit Freunden dort gewandert. Also unsere Freunden sind gewandert, wir sind hinterher gelaufen. Vom Hinterherlaufen lernt man nicht den Weg. Und mit echter Freiheit, wie ich sie mir vorstelle, hat das eigentlich auch wenig zu tun.
Wie Freiheit entsteht, ist mir heute mal wieder klar geworden.
Es ist ja so, dass ich inzwischen den Binger Wald wie meine Westentasche kenne. Ich habe mich auf gemacht und ihn auf eigene Faust kreuz und quer, aus allen Himmelsrichtungen wandernd durchkämmt. Ich habe Lieblingsrouten, kenne Schleichwege, Abkürzungen, spannende Wege und Passagen, die ich nicht so gerne gehe, weil sie mir zu überlaufen sind. Anders ausgedrückt: ich habe mir in den letzten Jahren eine innere Karte vom Binger Wald in meinem Kopf erwandert.
Deshalb hatte ich heute Morgen ziemlich schnell einen Plan. Aber nicht im 1. Schritt. Vielmehr war es nämlich so: zu Hause wollte mir nicht so recht einfallen, wo ich heute wandern wollte. Eine kleine Runde sollte es werden. Abwechslungsreich. Im Wald. Vorher wollte ich noch am Schreibtisch arbeiten. Übungskundentermine vorbereiten für meine Ausbildung zum Sport-Mentalchoach, die ich im Oktober begonnen habe.
Die ein oder andere Route spukte mir im Kopf herum; aber ich konnte mich nicht entscheiden. Nachdem die Arbeit erledigt war, habe ich kurzentschlossen den Rucksack gepackt, bin ins Auto gestiegen und Richtung Binger Wald gefahren. Die Wanderklamotten hatte ich wohlweislich schon morgens angezogen; um zu verhindern, dass ich doch am Computer hängenbleibe.
Ohne ein genaues Ziel bin ich los. Kaum auf der Autobahn entstand in meinem Kopf plötzlich wie von selbst ein Bild meiner heutigen Rundwanderung. Simsalabim: Genau so wie ich sie mir gewünscht hatte! :-)
Wie bin ich darauf gekommen? Einfach so? Auf meiner Wanderung habe ich darüber nachgedacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es mit meiner inneren Karte zusammenhängt. Mein Gehirn konnte darauf zurückgreifen und die passende Route für mich zusammenstellen; ohne dass ich groß darüber nachgedacht habe. Oder anders herum: Weil ich nicht groß drüber nachgedacht habe, hatte mein Gehirn die Freiheit auf der sicheren Grundlage meiner inneren Karte, eine für mich passende Entscheidung zu treffen. Kreativität nennt man das wohl.
Einer meiner Lieblingszitate stammt von Wilhelm von Humboldt (Gelehrter, * 22.06.1767, † 08.04.1835)
„Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit.“
Mit Kreuz- und Querwandern ist in meinen Kopf eine innere Karte entstanden — ein Erfahrungsschatz, den ich jederzeit anzapfen kann, der mir gleichzeitig Sicherheit gibt und Freiräume eröffnet. Sich dem Unbekannten zu nähern, es genauer zu betrachten, zu erkunden, zu entdecken, kennen zu lernen, also sicherer im Umgang damit zu werden, macht frei. Frei kreativ zu sein, los zu lassen, zu wachsen: “seine Kräfte auszubilden und die Frucht derselben zu genießen”. Macht mich richtig zufrieden, diesen Zusammenhang entdeckt zu haben. :-) Deshalb musste ich ihn gleich mal hier bloggen. Denn es ist einfach nicht wahr, dass Sicherheitsdenken per se unfrei macht. Im Gegenteil. Sicherer Boden ermöglicht den nächsten Schritt!
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