Wenn man im Staub geht, im Staub schläft, im Staub ste­ht, sich im Staub entleert, sich im Staub wälzt, vom Staub bedeckt ist und Staub isst, und wenn es nie­man­den gibt, der einen an die Regeln der Gesellschaft erin­nert, und es nichts gibt, das die Verbindung mit dieser Gesellschaft aufrechter­hält, dann bere­it­et man sich bess­er auf ein paar ungeah­nte Verän­derun­gen vor.“

Robyn David­son hat mit 27 Jahren die aus­tralis­che Wüste durch­quert. Mit vier Kame­len und einem Hund. Neun Monate war sie unter­wegs. Davor hat sie ganze 2 Jahre am Aus­gangspunkt der Reise ver­bracht. Um die Tour vorzu­bere­it­en: zu ler­nen mit Kame­len umzuge­hen und schließlich Kamele zu erwerben.
Ganz schön mutig, denkt man da als mit­teleu­ropäis­che Leserin. David­son selb­st charak­ter­isiert sich selb­st jedoch als eben­so schwach­es Men­schenkind … wie alle anderen.“ Dass sie wirk­lich los­ge­hen würde, daran hat sie in diesen 2 Jahren der Vor­bere­itung selb­st lange nicht wirk­lich geglaubt.

Als ich dort im Flugzeug saß und aus dem Fen­ster star­rte [die Kamele waren abge­hauen / Anmerkung der Autorin], stieg ein Gedanke in mir auf, der seit der Entschei­dung zu diesem Trip vor mehr als zwei Jahren tief in mir geschlum­mert hat­te. Ich musste das Ganze nicht mehr tun. Die Kamele ver­lieren, waren eine per­fek­te Entschuldigung. Ich kon­nte meine Sachen pack­en und sagen: Tut mir leid, ich habe alles ver­sucht‘, und nach Hause fahren… Natür­lich hat­te ich den Plan niemals richtig ernst genom­men. Mit dem Glauben an den Trip hat­te ich mir selb­st etwas vorgemacht.“

Büch­er, die ich hier im Blog vorstelle, lehren einem was. Das ist mein Anspruch. In Spuren“ kann man etwas über Verän­derung und die Kon­se­quen­zen, die sich daraus ergeben, lernen.

Was hat sie schließlich doch dazu gebracht, trotz aller Vor­be­halte und Schwierigkeit­en ihren Traum in die Wirk­lichkeit umzuset­zen? Was braucht es, um den ersten Schritt in Rich­tung Verän­derung zu machen? Was führt einem in die Verän­derung? Was ist das schwierig­ste bei einem solchen Unternehmen? Wie ver­läuft Verän­derung. Wie verän­dert sich ein Men­sch, wenn er etwas Neues wagt. Wie verän­dert sich die Sicht auf das Wag­nis, wenn man sich nach zwei oder dreißig Jahren daran erin­nert. Und wie verän­dert sich das Aben­teuer selb­st im Laufe der Zeit. Verän­dert sich alles? Was bleibt?

Robyn David­son schreibt scho­nungs­los offen, ehrlich, scharf­sin­nig, direkt und empfind­sam. Ange­fan­gen bei ihrem Wun­sch nach Frei­heit und nach Befreiung von Las­ten, ihren Zweifeln vor der Reise, ihre Äng­ste als sie dann tat­säch­lich unter­wegs ist und dem allmäh­lich Loslassen von realem und men­talem Bal­last. Von der Reduk­tion auf das Wesentliche, die sich zwangsläu­fig ein­stellt, weil die Äng­ste den Anforderun­gen des All­t­ags weichen. Weil sie die Wirk­lichkeit ein­holt. Weil sie dran­bleibt und dem Leben eine Chance gibt!

Beispiel: Braucht sie am Anfang noch 2,5 Stun­den zum Beladen der Tiere, erledigt sie diese tägliche Proze­dur am Ende der Reise in ein­er knap­pen hal­ben Stunde.

Anderes Beispiel: Am Anfang hat sie große Angst vor wilden Kame­len, denen sie unter­wegs begeg­nen würde. Nach­dem ich dieses Buch gele­sen habe, weiß ich, Kamele sind keine ein­fachen Tiere und kön­nen, wenn sie außer Rand und Band ger­at­en, ziem­lich gefährlich wer­den. David­son hat deshalb ein Gewehr dabei. Die ersten wilden Tiere erschießt sie – alle, ohne Skru­pel. Als ihr einige Monate später wieder eine Horde wilder Kamel­heng­ste ent­ge­genkommt, ist das Gewehr kaputt. Sie muss sich etwas anderes über­legen. Und siehe da, tat­säch­lich gelingt es ihr, die poten­ziellen Angreifer zu vertreiben. Nach­den­klich stellt sie fest, dass sie beim ersten Mal die Angreifer“ ver­mut­lich hätte gar nicht töten brauchen.

Verän­derung ist nicht nur das The­ma dieses Trips, son­dern auch im Ver­hält­nis der Autorin zu ihrem eige­nen Unternehmen. Schon beim Schreiben des Buch­es, zwei Jahre nach­dem sie ihr Ziel am Indis­chen Ozean erre­icht hat, als sie ver­sucht Tat­sachen und Fik­tion zu tren­nen“, betra­chtet sie ihr Tun mit wohltuen­der Distanz.
Nüchtern stellt sie fest: Die Ver­gan­gen­heit versinkt hin­ter uns. Sie ver­schwindet und hin­ter­lässt nur ein paar Spuren, mit dem wir ver­suchen, sie wieder zu erschaffen.“

Ich habe zwei Dinge dabei gel­ernt: … Und selb­st damals wusste ich, dass ich es immer und immer wieder vergessen würde. Ich wusste, mir blieb nichts anderes übrig als diese Worte, die ihre Bedeu­tung ver­loren, immer von neuem zu wieder­holen und zu ver­suchen, mich an ihre Bedeu­tung zu erinnern.“.

Das Nach­wort in der aktuellen Taschen­buchaus­gabe ent­stand mehr als dreißig Jahre nach dem Trip! Geschrieben 2012 anlässlich des Films zum Buch, der ger­ade in den Kinos läuft. Heute, wie damals in ihrer Schreib­stube Ende der 70er Jahre, eine kleine schäbige Woh­nung in Lon­don, kommt sie zu dem Schluss.

Reisen mit dem Kamel haben kein Anfang und kein Ende, nur die äußeren Umstände ändern sich.“

Das ist die Botschaft des Buch­es: Umstände, Dinge verän­dern sich. Men­schen vergessen. Das geschieht unweiger­lich. Was bleibt sind Spuren und Erin­nerun­gen, die mit der Zeit ver­wis­chen. Und wenn man sich selb­st nicht auf den Leim gehen und in nut­zlos­er Nos­tal­gie versinken“ will, dann muss man sich immer wieder mit den Umstän­den und sich selb­st auseinan­der­set­zen; immer wieder Kameltrips“ unternehmen.

Meine Wan­derun­gen sind Kameltrips”. Die vorgegebe­nen Gren­zen über­schre­i­t­end. Auf Abwe­gen, auf unger­aden Pfaden, damit meine ich, abseits gemachter, unver­lauf­bar­er Wan­der­wege, auch auf Land­straßen oder quer­feldein unter­wegs sein. Zu Fuß durch die Land­schaft, so wie sie ist, mit Hin­dernissen und Unbe­quem­lichkeit­en, zum Ziel. Ein Kameltrip“ vor der Haustür, um auf das Wesentliche zu kom­men, Bal­last abzuw­er­fen, den Kopf klar zu kriegen, sich selb­st und den Umstän­den auf die Spur zu kom­men. Abstand vom Gewohn­ten gewin­nen. Wieder auf den Boden der Tat­sachen kom­men. Nur ohne Kamele, weil, die braucht man bei ein­er Tageswan­derung durch die Nordp­falz ein­fach nicht. ;-)

Wer dieses Buch liest, lernt vor allem zwei Dinge:
1. Es gibt eine falsche, block­ierende und eine direk­te und nüt­zliche Angst. Den Unter­schied lernt man, wenn man Verän­derung wagt und sich dann mit der Real­ität auseinandersetzt!
2. Der Wun­sch nach Frei­heit und das Bedürf­nis nach Sicher­heit sind keine Gegen­sätze, die sich auss­chließen, son­dern zwei Seit­en ein­er Medaille:

Der Unter­schied zwis­chen einem Aben­teur­er und einem Selb­st­mörder ist, dass der Aben­teur­er sich immer einen Ausweg offen­hält. Je klein­er der Ausweg, desto größer das Abenteuer.“

Außer­dem erfährt man eine Menge über Aus­tralien und seine Ure­in­wohn­er; das poli­tis­che The­ma des Buch­es, das ich in dieser Besprechung aus­geklam­mert habe. Und man lernt etwas über Ori­en­tierung im Gelände mit Karte, Kom­pass; für lei­den­schaftliche Ori­en­tierungswan­der­er wie mich natür­lich ein extra Leckerbissen! ;-)

Ein Buch für Men­schen, die unruhig geblieben sind.”, resümiert Die ZEIT.

David­son, Robyn: Spuren. Rowohlt Taschen­buch Ver­lag, 302 Seit­en, 2. Auflage 2014, 9,99 Euro

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