Vera ist 46 Jahre alt hat einen 18jährigen Sohn, der irgend­was mit Seefahrt studiert und einen um zig Jahre älteren Ehe­mann. Ein­mal an Sil­vester – ihr Geburt­stag —  geht sie nach­mit­tags zum Schwim­men, lässt Handy und Hauss­chlüs­sel in der Ablage im Flur liegen – absichtlich – und ver­schwindet. Ein­fach so.

Im Schwimm­bad entwen­det sie ein­er 10 Jahre jün­geren Blon­dine mit lusti­gen Som­mer­sprossen und grü­nen Flipflops die Bade­tasche aus dem Spind indem sie dem jun­gen Bade­meis­ter was von Schlüs­sel ver­loren und so“ vor­flunk­ert. Mit dem Ausweis der Beklaut­en fährt sie zum Flughafen, kauft sich ein Tick­et und fliegt nach Lon­don. Dort war sie schon mal als junges Mäd­chen mit ihrer Fre­undin Meret; seit­dem wün­scht sie sich: Nach Lon­don, wo sie sich mehr Leben erhofft, als ihr bish­eriges Leben bieten kon­nte.“, heißt es auf dem Umschlagtext.

Eine Anlauf­stelle hat sie in Lon­don nicht. Sie mietet sich in ein­er Absteige ein bis ihr Geld aufge­braucht ist. Was tun? Sie will in Lon­don Fuß fassen. Und sie hat eine Strate­gie. Sie fol­gt ein­fach irgendwelchen Leuten auf der Straße und schaut, was sich daraus ergibt. Ein­er reich ausse­hen­den Dame entwen­det sie ohne mit der Wim­per zu zuck­en die Hand­tasche mit über 300 Pfund. Dem Pas­tor läuft sie bis in sein Büro hin­ter­her und beschwatzt ihn so lange, bis er ihr eine Job im Kranken­haus ver­schafft. Dann ist da noch der Mann ihrer Träume von damals, der coole Typ mit der weißen Jacke. Als sie einem solchen zufäl­lig sieht, läuft sie ihm ein­fach in die Arme und tut so als wür­den sie sich ken­nen. Kennedy heißt er, ist Sol­dat und muss am übernäch­sten Tag wieder runter – will heißen nach Kab­ul – tja, seine Woh­nung kann Vera gerne so lange nutzen. Es läuft also gar nicht so schlecht mit der Erfül­lung von Veras Traum. Aber…also das Aber ver­rate ich natür­lich nicht und ich sag auch nicht, wie die Geschichte ausgeht.

Aber… zu Hause bei Vera bleibt die Zeit natür­lich auch nicht ste­hen. Judith Kuckart wid­met auch den Lieben zu Hause jew­eils ein Kapi­tel: der schrä­gen Meret, Veras Jugend­fre­undin (siehe oben), deren Brud­er Friedrich Wün­sche (!), der sich mit dem Umbau des elter­lichen Waren­haus­es in ein Retro-Kaufhaus seinen Traum erfüllt, dann ist da noch Jo, Veras Sohn, der sich, zurück nach Monat­en auf See, plöt­zlich für Bäume inter­essiert, Hannes, der an besagtem Sil­vester­abend schein­bar aus dem Nichts auf­taucht und natür­lich Karatsch, Veras Mann. Und dann ste­ht da noch die Blon­dine, mit den Som­mer­sprossen und den grü­nen Flipflops eines Tages beim ver­lasse­nen Gat­ten in der Tür. Mit ihrem wieder aufge­taucht­en Ausweis und einem Geschenk als Find­er­lohn in der Hand.

Es heißt ja, wenn sich ein­er bewegt, bleibt in einem Sys­tem nichts, wie es war. Davon han­delt das Buch. Am Anfang springt die Autorin beim Erzählen wild von ein­er Szene zur näch­sten. Obwohl die Szenen selb­st gar nicht wild sind.  Ein Aben­teuer. Zur Mitte kommt die Erzäh­lung in ruhigeres Fahrwass­er; dann als Kuckart mit einem Spot die Roman­fig­uren einzeln beleuchtet. Schräg, men­schlich, wahrhaftig, ehrlich und immer wieder sehr bek­lem­mend ob der geschilderten Real­ität – so würde ich dieses Buch beschreiben. Faz­it: Alles bleibt, wie es war, aber nichts ist mehr so wie vorher.

Ich empfehle diese 301 Seit­en Men­schen, die von einem ganz anderen Leben träu­men. Ein neues Leben – welche Wün­sche hät­ten Sie?“, fragt der Dumont Ver­lag dann auch ver­führerisch im Klappentext. ;-) 

Kuckart, Judith: Wün­sche. Dumont, 2013, 19,99 Euro 

Das Buch ist in jed­er Buch­hand­lung vor Ort oder online auf der Ver­lags­seite zu erwer­ben.