„Mut bedeutet nicht, keine Angst mehr zu haben. Es ist die Entscheidung, dass etwas Anderes wichtiger ist als die Angst.“ Ambrose Red Moon
Die Ferienwohnung-Vermieterin guckte komisch als ich ihr das Tagesziel nannte. Zum Rubihorn (Allgäu) ging es. Als ich nach gefühlten tausend Serpentinen und ersten einfachen Klettersteigen oben an der Kante ankam, wusste ich warum: Wenn ich nicht zurück wollte, hieß es für mich Höhenangsthase über einen Grat weiterlaufen. Diese Herausforderung traf mich überraschend (gut, ich hätte es wissen können, wenn ich auf der Karte die Höhenlinien berücksichtigt hätte ;-)), aber nicht unvorbereitet!
Mit Höhenangst beschäftige ich mich schon eine Zeit, weil es echt nervt, schöne, spannende Wege nicht gehen zu können, nur weil einem die Angst im Nacken sitzt. Bei meinem Recherchen nach geeigneten Ratgebern zum Thema bin ich auf Petra Müssigs Buch „Berggenuss statt Höhenangst“ gestoßen.
Schon beim Reinlesen faszinierte mich sofort die bodenständige Herangehensweise und direkte Art der Autorin: „Ich bin kein Psychologin und beschäftige mich in diesem Buch bewusst nicht mit psychologischen Ursachen und bediene mich auch nicht psychologischer Herangehensweisen. Denn mein Ansatz ist zielorientiert und praxisbezogen und basiert in erster Linie auf biologischen Hintergründen und entsprechenden physiologischen Techniken und Methoden.“
Petra Müssig war Leistungssportlerin und Trainerin (Snowboarden) und arbeitet seit vielen Jahren u.a. mit von Höhen- und Sturzangst betroffenen Menschen. Die Sport Mental Coach klärt das Phänomen Höhenangst Schritt für Schritt verständlich und nachvollziehbar auf. Grundlegend ist zum Beispiel die Differenzierung zwischen Höhenschwindel und Sturzangst: „Menschen sind keine Eichhörnchen.“ Bei Unwohlsein, Unlust oder Angst bei Aktivitäten im Gelände handelt es sich eher um die ganz normale und absolut verständliche Angst vor dem (Ab-)Stürzen. Menschen. „Menschen empfinden schon eine geringe Höhe reflexartig erst einmal als bedrohlich.“
In vier Kapiteln arbeitet Petra Müssig den Unterschied zwischen Höhenschwindel und Sturzangst heraus, behandelt die physiologischen Auswirkungen von Angst, beschreibt die vier wichtigsten Schlüssel zur Kontrolle von Nervosität und Angst und steht mit Rat und Tat für Angst auslösende Situationen beim Bergwandern, Klettern, Klettersteigen, Mountainbiken und Schneesport und auch bei Unternehmungen in der Stadt (!) zur Seite. Dabei differenziert sie zusätzlich nach unterschiedlichen Geländeformen, z.B. Grate, einseitig ausgesetzte Wegstücke, Wiesenhänge, Schneefelder, Schotterwege- und hänge, Gipfel, Seilpassagen, ungesicherte Felspassagen, Sessellifte, Gondeln, Stege und Brücken. Schließlich vermittelt sie Impressionen aus der Praxis ihrer Höhenangstkurse in den Alpen.
Ich habe Sturzangst beim Gehen von Graten. Vor allem dann, wenn es keine bzw. kaum Möglichkeiten gibt, sich irgendwo festzuhalten.
Als ich nun da oben am einen Ende des Grats zum Rubihorn stand, rekapitulierte ich Petra Müssigs Tipps: 1.) Ruhig und tief atmen. So wird das Gehirn weiter gut durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Man bleibt wach, konzentriert und aufmerksam. Außerdem rät sie 2.) , den Blick beim Gehen sehr dezidiert auf den vor einem liegenden Weg zu richten. Das verhindert, dass Höhenschwindel das Unternehmen torpediert und für zusätzliche Unsicherheit sorgt.
Mit diesem Rüstzeug wagte ich mich auf den Pfad. Und – tatata — ich bin drüben angekommen! ;-) Natürlich stolz wie Oskar. Und mit einer riesen Portion neuem Selbstvertrauen. Sicher werden in Zukunft Grate kommen, wo ich sage: Bis hier hin und nicht weiter. Aber schon jetzt in diesem Urlaub war ich sehr viel entspannter unterwegs und bin einige Passagen mit Freuden gegangen, die ich früher mit schlotternden Knie und Herzklopfen bis zum Hals kaum genießen konnte. Selbst meinen Plan einen Höhenangstkurs zu absolvieren, sehe ich nicht mehr als sehr notwendig an. Ich fühle mich gewappnet und sicher. Na ja, die Plattformen von Aussichtstürmen werden wohl noch eine Weile ohne meinen Besuch auskommen müssen. ;-)
Wie Petra Müssig schreibt: „Es geht nicht darum, seine Angst zu bekämpfen oder weg zu bekommen, sondern darum, mit Nervosität und Angst künftig anders umzugehen…Deswegen plädiere ich dafür, dass man seine Ängste als Teil der eigenen Persönlichkeit akzeptiert.“
Diese Einstellung und meine positive Erfahrung überzeugen mich. Deshalb lege ich allen, die mit Höhenangst zu tun haben, das Buch von Petra Müssig ans Herz.
Müssig, Petra: Höhenangst statt Berggenuss. Paul Pietsch Verlag, 2011
Das Buch kann im Buchhandel oder online beim Verlag erworben werden:
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