Querfeldein heute. In Richtung Wo-die-Sonne-abends-am-Horizont-verschwindet unterwegs. Über die Dörfer von Bingen über Weiler, Waldalgesheim, Warmsroth nach Stromberg. Diese Tour hatte ich schon länger im Blick. Der weite Blick über die Felder in den Hunsrück lockte mich. Jedesmal, wenn ich von Weiler an der Grube Amalienhöhe über die schmale Landstraße in den Binger Wald fuhr. Heute war es so weit. Ein wunderbarer Spätsommertag, wie geschaffen um über die Äcker zu ziehen, wie in alten Zeiten.
Grob die Route auf der Karte planend, fixierte ich für die Navigation mit dem Kompass ab Grube Amalienhöhe die Koordinaten rüber bis Warmsroth: 260 Grad — ziemlich genau nach Westen. Immer der Sonne nach. Der Rest (von Bingen bis Amalienhöhe und von Warmsroth nach Stromberg) ist gut ausgeschildert.
Der Einstieg in Bingen verläuft über die ersten Meter des Soonwaldsteigs bzw. des Rheinburgenwegs. Über die Treppen gegenüber des Binger Hauptbahnhofs (ab Koblenzer Straße ausgeschildert) geht es hinauf zur Elisenhöhen. Kurz hinter den letzten Häusern verlasse ich den Fernwanderweg und laufe über einen bequemen Grasweg zum Naturschwimmbad. Grandioser Blick auf den frühmorgendlichen Rhein. Im Gegenlicht liegen die Rheininseln wie schwarze Drachen im Fluss. Das Wasser umströmt sie glitzernd — wie silberne Lamettafäden.
An Weinberger vorbei laufe ich nach und dann durch Weiler. Am Ortsausgang auf der Straße zur alten Grube biege ich Höhe Tennisplatz links auf einen schmalen Feldweg ein. Rechts und links an Pferdekoppeln vorbei peile ich Waldalgesheim an. Rechter Hand immer wieder den alten Förderturm des ehemaligen Mangan- und Dolomitbergwerks in Sicht. Am äußersten Ortsrand erreiche ich das Dorf und gehe über einen schmalen Pfad rechts hoch zur historischen Anlage. Ab hier wandere ich nach Kompass quer über die Stoppelfelder Richtung Warmsroth. Das ich nicht sehen! Was auf der Karte so aussieht als könne man es auf Sicht laufen, entpuppt sich vor Ort als sanft hügelige Landschaft. Sicht herrscht nur bis zum nächsten Auf. Die Höhenlinien übersehen ich gerne ;-) Aber es ist alles im Lot. Die Sonne steht mittags um 12 Uhr über der linken Schulter — also im Süden. Ich bin auf Kurs!
Querfeldein Gehen bedeutet, dass man ab und zu kleine Umwege nehmen muss, weil Zäune oder Hecken den Weg versperren. Ich lande schließlich auf einem schönen, weichen Feldweg, der am Rand des Binger Waldes entlang zu meinem Ziel führt. Oben auf der Höhe taucht Warmsroth linker Hand auf. Schnell ziehende Lastwagen im Tal markieren den Verlauf der Autobahn. Im Ort entdecke ich das Schild nach Stromberg. Gemütlich laufe ich unter der A61 durch. Über mir tobt der Verkehr. Dort oben hätte ich keine Chance zu queren. Der ohrenbetäubende Lärm verstummt zum Glück schon nach der nächsten Kurve.
Dann geht es auf einem mit Laubbäumen gesäumten Radweg an Wiesen und Weiden vorbei runter nach Stromberg. Gut versteckt in einer Kalkmulde am Rande des Hunsrücks. Romantisch empfängt mich eine alte Trockenmauer und ein Sandsteinhaus am Ortseingang. Sehr nettes Städtchen, mit historischen Fachwerkhäusern, Biergärten, Gaststätten und engen Gässchen. Leider arg gebeutelt vom Verkehr. Auch der ein oder andere Brummi muss hier wohl durch.
Am Gerbereiplatz ist der Busbahnhof. Hier ist mords was los. Das Verkehrsdrehkreuz Hunsrück, Naheland, Rheintal. Kaum Minuten vergehen und der nächste Bus fährt vor. Jeder kennt jeden. Fahrer die Fahrgäste und Fahrgäste die Fahrer. Geschichten werden erzählt. “War do drübe in der alte Scheune net emol a Kino drin?” “Jo, los mich mo überlesche — des muss in de 60er gewese soi. Do is immer enner kumme, der wo die Filme vorgefiert hott.” Von diesem Knotenpunkt fährt in der Woche alle Stunde die RNN-Linie 230 nach Bingen. Mit Karacho saust der Bus die Serpentinen von Weiler nach Bingen hinunter. Innerhalb von 25 Minuten bin ich zurück am Ausgangspunkt dieser Überland-Tour (15 Kilometer).
Karte: Naturpark Soonwald-Nahe — Blatt 3: Binger Wald/ Stromberg/ Rheinböllen, Topographische Karte 1:25.000, ISBN 978–3896373748
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