Vermutlich dächte ich noch heute, das Binger Loch würde Binger Loch heißen, weil dort der Rhein so tief ist. Dabei ist es ein nicht unbedeutendes Verkehrsprojekt, dem wir zudem eine schöne Wanderroute verdanken.
Den Kaufmannsweg erwähnte ich ja schon neulich im Zusammenhang der Wanderung am Bächergrund. Am Wegesrand las ich auf einer Informationstafel etwas über seine Geschichte. Der Weg entstand, weil der Rhein einen Felsen stehen ließ, als er vor rund 15 Millionen Jahren begann das Mittelrheintal in das Rheinische Schiefergebirge zu fräsen. Ein Riff aus stahlhartem Quarzit. Quer über den Fluss. Zwischen Bingen und Rüdesheim. Für schwere Frachtschiffe des Mittelalters war dieses natürliche Hindernis unüberwindbar. Die Schiffer luden die Fracht in Lorch bzw. Rüdesheim aus und transportierten sie auf besagtem Kaufmannsweg zur nächsten schiffbaren Anlegestelle. Was eine Plackerei.
Kein Wunder, dass schon die Römer versuchten eine Durchfahrt zu schaffen. Im 18. Jahrhundert begannen findige Techniker auf Betreiben Frankfurter Kaufleute den Fels zu sprengen. Später versuchten sich die Preußen. Erst in den 70er Jahren gelang schließlich das Binger Loch in heutiger Breite von 120 Metern. Reste des Riffs sieht man heute noch an den Ufern Höhe Bingen/Rüdesheim. In Bingerbrück erinnert ein Denkmal aus herausgesprengtem Stein an die Entstehung des Binger Lochs.
Auch stromaufwärts hatte das Loch Folgen. Der Rhein nahm mit wachsender Größe des Lochs Tempo auf. Das Gefälle Richtung Lorch ist fast dreimal so groß wie in Richtung Mainz. Dadurch sank allmählich das Grundwasser. Die Eichenpfähle auf denen der Mainzer Dom St.Martin stand, fielen trocken und faulten. Der Einsturz der Kathedrale konnte nur durch massive Arbeiten am Fundament verhindert werden.
Diese Geschichte ist ein schönes Beispiel für die Wechselwirkungen zwischen Natur und Mensch. An einer Stelle wird etwas verändert. Ein Handelsweg wird zum Wanderweg. Häfen verlieren ihre Wichtigkeit. Ein Dom auf Holzpfählen erhält ein festes Fundament. Und so weiter. Alles hat seinen Grund. Das Binger Loch — für mich bis vor Kurzem ein “schwarzes Loch” — hat jetzt Inhalt. Wandern bildet.
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