Wussten Sie, dass die Kas­tanie in unseren Bre­it­en eine einge­wan­derte Südeu­ropäerin ist? Sie hat sich gut bei uns ein­gelebt. Aber seit eini­gen Jahren wird sie Opfer eines gefräßi­gen Ein­drin­glings: der Minier­mot­to. Aus unzugänglichen Schluchtwäldern des Balka­ns gelangte sie über den Straßen­bau als blind­er Pas­sagi­er in andere Land­schaften und nagt sich seit­dem vom Süden in den Nor­den vor. Deshalb wer­den bei uns bere­its im Juli viele Kas­tanien­blät­ter braun.

Wussten Sie, dass Kiefern und Birken als ein­heimis­che Bäume gel­ten, weil sie sich nach dem Tab­u­la rasa der let­zten Eiszeit als Pio­niere aus eigen­er Kraft vom Süden aus wieder nach Mit­teleu­ropa kämpften? Von den Winden, im Fell von Säugetieren oder im Magen der Vögel gelangten sie in Gebi­ete nördlich der Alpen. Die, die dann den Mäulern von großen Pflanzen­fressern ent­gin­gen, überlebten.

Oder ken­nen Sie die Gemeine Wal­drebe? Die fil­igra­nen, zarten Blüten der Win­terblüher fotografierte ich oft auf meinen Touren im Jan­u­ar und Feb­ru­ar. Sie stammt aus Europa. Aber vor zir­ka 75 Jahren wurde sie nach Neusee­land ver­schleppt. Während sie bei uns Bäume und Sträuch­er über­wächst, ohne das Prob­leme entste­hen, erstickt sie auf der Insel im südlichen Paz­i­fik 20 Meter hohe ein­heimis­che Bäume zu Tode.

Bis­lang habe ich mir wenig Gedanken gemacht über alte und neue Pflanzen in unseren Gärten, über mögliche neg­a­tive Fol­gen der Ver­schlep­pung von Tieren in fremde Län­der für die Umwelt. Im Land­karten­haus in Wies­baden fiel mir das Buch Die Ameise als Tramp – Von biol­o­gis­chen Inva­sio­nen“ von Bern­hard Kegel in die Hand.
Der Biologe beschäftigt sich mit der Wech­sel­wirkung der Lebe­we­sen untere­inan­der und mit ihrer Umwelt. Ich las von tierischen Migranten“, Ameisen in Groß­com­put­ern“ und Pira­nhas in franzö­sis­chen Flüssen“, von der Natur, die mit War­en­trans­porten von einem Kon­ti­nent zum anderen reist“. Richtig neugierig macht­en mich Sätze wie: Und die Natur reist mit, in Säck­en, Ritzen und Kisten, ver­bor­gen im ton­nen­schw­eren Bal­last aus Steinen, Erde und Wass­er, ver­steckt hin­ter Rohren, Verklei­dun­gen und Ver­stre­bun­gen. Eine ganze Arma­da von Organ­is­men lässt sich als blinde Pas­sagiere ver­schif­f­en und lan­det so irgend­wann an neuen Ufern…Im Schlepp­tau der Men­schen ergießt sich eine Welle von ökol­o­gis­chen Siegertypen selb­st über die abgele­gen­sten Gegen­den der Erde. Eine Welt der unter­schei­d­baren Flo­ren und Faunen wird so kurz oder lang zum großen >Durcheinan­der<.“ Und ich kaufte das Taschenbuch.

Mit bild­hafter Sprache und umgangssprach­lichen Ton schildert der Autor Geschichte und Zusam­men­hänge der biol­o­gis­chen Inva­sion, die weltweite Ver­schlep­pung von Pflanzen- und Tier­arten und das daraus erwach­sende Schadenspoten­zial. Natur­wis­senschaftliche und his­torische Hin­ter­gründe für Laien ver­ständlich, unter­halt­sam und span­nend auf­bere­it­et. Die Ameise als Tramp“ ist ein wahrer Biolo­gie-Kri­mi. Er fußt allerd­ings nicht auf Fik­tion, son­dern auf alarmieren­den Tat­sachen: In Deutsch­land sum­mieren sich die von nur 20 aus­gewählten frem­den Pflanzen- und Tier­arten verur­sacht­en Kosten laut Bun­desumweltamt Jahr für Jahr auf max­i­mal 263 Mil­lio­nen Euro.“

Ein Sach­buch für alle, die sich dafür inter­essieren, was in der Natur abseits von öffentlichem Inter­esse im Ver­bor­ge­nen vor sich geht und wie sich die Welt auf leisen Sohlen, klammheim­lich“ Schritt für Schritt verändert.

Bern­hard Kegel, Die Ameise als Tramp – von biol­o­gis­chen Inva­sio­nen, DuMont Buchver­lag, Köln, aktu­al­isierte und erweit­erte Neuau­flage, 2013
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