BäumeAls Schat­ten­spender sind sie in diesen heißen August­ta­gen unschlag­bar: Bäume. Bei meinen Im-eige­nen-Tem­po-Wan­derun­gen im Som­mer spenden sie wohltuende Küh­le und Frische – da kommt kein Son­nen­hut, kein Son­nen­schirm mit. Birken sind meine Lieblings­bäume. Ich mag ihre weißen, schlanken Stämme und ihre hell­grü­nen licht­en Blät­ter. Kas­tanien mag ich auch. Viele Jahre habe ich in einem Haus — im Grü­nen und doch mit­ten in der Stadt — gewohnt, vor dem vier mächtige alte Kas­tanien­bäume vor unseren Fen­stern standen. Ich kenne sie in jed­er Jahreszeit gut: Im Früh­jahr die dick­en, kle­bri­gen Knospen, dann fal­ten sich die Blät­ter her­aus, die Blüten­stämme entwick­eln sich, am meis­ten mag ich, wenn die Bäume in weißer und rot­er Blüte ste­hen. Dann ist schon Som­mer. Und jet­zt im August wer­den sie hier im Vier­tel zum Teil schon braun, weil einige an ein­er Krankheit lei­den. Wun­der­schön im Ton finde ich die run­den, braun glänzen­den Kas­tanien­frucht im Herb­st. Im Win­ter lassen die knub­bli­gen Äste mich schon an die Knospen im Früh­ling denken.

Her­mann Hesse liebte Kas­tanien auch. Gle­ich in mehreren Geschicht­en und Erzäh­lun­gen in der kleinen Samm­lung Bäume“ erzählt, berichtet, dichtet er über sie. Diese Stelle gefällt mir besonders:

Eine richtige Kas­tanien­stadt habe ich schon lange nicht mehr gese­hen; das fällt mir ein , so oft ich in der Nach­barschaft ein­mal hier oder dort eine einzelne schöne Rosskas­tanie ste­hen sehe, oder mit Bedauern, in manchen Dör­fern die schäbi­gen kleinen Garten­wirtschaft­skas­tanien wahrnehme. Wenn die wüssten, wie Kas­tanien ausse­hen kön­nen! Wie mächtig sie daste­hen, wie üppig sie blühen, wie tief sie rauschen, wie sat­te volle Schat­ten sie wer­fen, wie sie im Som­mer­von unge­heur­er Fülle schwellen und wie im Herb­st ihr gold­braunes Laub so dick und weich­mas­sig liegt!“

Das im Insel-Ver­lag erschienene Taschen­buch Bäume“ enthält eine charak­ter­is­tis­che Auswahl der schön­sten Betra­ch­tun­gen und Gedichte Hess­es über Bäume; sie sind mit wun­der­baren Baum-Fotografien von Imme Techentin versehen.

Bäume sind für den Dichter Sinnbilder, Sym­bole, Spiegel der Jahreszeit­en, der Land­schaften und Umweltbe­din­gun­gen ihres Stan­dortes, Heiligtümer, Predi­ger: In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie ver­lieren sich nicht darin, son­dern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnen­des Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selb­st darzustellen.“

Bäume“ ist ein schmales Bänd­chen mit 141 Seit­en, mit dem es sich gut am Abend zur Ruhe kom­men lässt. Hesse erzählt von jun­gen und alten, vom Sturm geknick­ten Bäu­men, über Kas­tanien, Birken, Pfir­sich­bäume, Lin­den, Eichen – vielle­icht ist ja auch Ihr Lieblings­baum dabei. Wie dem auch sei: Wer Bäume liebt, find­et hier viele starke, anschauliche Hesse-Texte und darauf abges­timmte Bilder, in denen man neue Sichtweisen ken­nen­lernt, in denen sich aber auch  eigene Empfind­un­gen, Erfahrun­gen und Gedanken immer wieder spiegeln.

Bäume“ von Her­mann Hesse. Betra­ch­tun­gen und Gedichte. Mit Fotografien von Imme Techentin. Insel Ver­lag, Erste Auflage 1984.