Sehe ich eine Trockenmauer, gerate ich in Verzückung. So lange ich denken kann, ist das so. Lustig, nicht wahr? Hier die Geschichte dazu…
Anfang der 60er Jahre kauften meine Eltern Grund und Boden für unser Haus. Ein alter Wingert unterhalb des Lembergs an der Nahe. Hanglage, 2000 Quadratmeter Fläche, reiner Schieferboden. Kultivieren war angesagt.
Das abschüssige Grundstück bebaubar, bepflanzbar, begehbar machen. Terrassen, Beete schaffen, den rutschenden Schiefernhang sichern. Eine Mauer dort, ein Mäuerchen hier hochziehen aus Schiefer und Sandstein von Abrissen im Dorf. Schichten, einpassen, unterfüttern, zurechthauen, rücken, stabilisieren, Nachschub ankarren, mit Lot und Wasserwaage prüfen, mit Erde auffüllen, feststampfen, Platz für neue Fundamente aus dem Hang heben.
Meine Erinnerungen an die Wochenenden im Lüßerttal sind geprägt von diesem Bild: Der Vater bei der Arbeit an einer Mauer. Wer mich kennt, wundert sich nicht, dass die Tochter selbst irgendwann mit Hammer, Bickel und Schaufel in den Hang stieg.
In einem abgelegenen Teil des Grundstücks hatte ich Reste eines übriggebliebenen Weinbergmäuerchens entdeckt. An einem Ende ausgefranst, abgerutscht. Die Mauer drohte sich von der einen Ecke her aufzulösen. Brombeeren kappen. Marode Stelle freilegen. Boden für das neue Fundament säubern. Mit Schiefer um mich herum baute ich den Abschluss wieder auf.
Diese kleine Anekdote ist mir bis heute im Kopf geblieben. Keine Ahnung warum. Vielleicht hatte ich intuitiv begriffen, welches Meisterwerk ich da vor mir hatte: eine sich aus eigener Kraft tragende Mauer, die zudem ausreichend Stärke entwickelt, um unser Dasein und Tun zu sichern; sich erfolgreich gegen die rutschenden Steinplatten stemmend. Gebaut mit Sinn für Zusammenhänge und dem, was der Boden vor Ort hergibt. Trockenmauern sind für mich ein Symbol für Sinn.
Vor ein paar Tagen fand ich diese treffenden Sätze: „Sie sind so etwas wie Kunstwerke im Kleinen: Trockenmauern. Seit Jahrhunderten prägen sie die Kulturlandschaft im Mittelrheintal. Geschickte Baumeister haben den steilen Flanken von Taunus und Hunsrück mithilfe der der kunstvoll aufgesetzen Mauern kleine Terrassen abgerungen, auf denen die Bewohner des Tales Wein- und Obstbau betrieben. Besonders gut sind die Zeugen der Siedlungsgeschichte während des Winters zusehen, wenn sie sich nicht hinter dem Laub der Bäume verstecken.“ (Pepper Nr. 27, Seite 14)
Ein eindrucksvolle Beispiele für die Kraft und Stärke von Naturmauern sehen wir auf der Wanderung „Auf Augenhöhe mit der Zauberin“. Wir gehen auf dem Rheinhöhenweg von St. Goar nach Oberwesel; wo übrigens mein Vater als Jugendlicher mit seiner Familie gelebt hat. Von dort oben haben wir wunderbare Ausblicke auf den Rhein und die mit Trockenmauern terrassierten, gegenüberliegenden Hänge.
Ach ja: Aus dem heruntergekommenen Stück Land im Lüßerttal ist über die Jahre ein Paradies geworden. Jedoch: Nach fast 50 Jahren beginnt die wilde Natur hier und da wieder ihre Fühler auszustrecken. Neulich wollte ich nach meinem Mäuerchen schauen; ich habe es leider nicht gefunden. Vielleicht haben es die Brombeeren letztlich doch überwuchert. Aber weil ich es nicht sehe kann, muss ja nicht bedeuten, dass es nicht mehr da ist.
Schreibe einen Kommentar