Ruhig ein Buch lesen? Leichter gesagt als getan. 5 Minuten still­sitzen? Kaum auszuhal­ten. Eine schöne Aus­sicht genießen? Schon schießen neue Gedanken durchs Hirn, was unbe­d­ingt zu tun ist, was alles noch auf mich wartet.

 Sie müssen abschal­ten, ruhen Sie sich mal aus, kom­men Sie auf andere Gedanken.”  Ok, denke ich, aus­ruhen. Aber irgen­det­was kann da nicht stim­men. Schlagska­putt im Kopf. Hin­le­gen funk­tion­iert nicht. Der Arbeitsspe­ich­er ist rand­voll. Run­ter­fahren will nicht klap­pen. Rien ne va plus. Nichts geht mehr.  Ich KANN nicht abschal­ten!” Der eine oder die andere ken­nt diesen Zus­tand vielle­icht auch.?

Der Kör­p­er ist zum Kopfträger degradiert. Macht Dienst nach Vorschrift. Ich habe in solchen Sit­u­a­tio­nen immer das Gefühl unvoll­ständig zu sein. Das Bedürf­nis macht sich bre­it, meinen Kör­p­er zu aktivieren. Vom Kopf in den Kör­p­er zu brin­gen. Wieder eins zu werden.

Neulich stieß ich in einem Artikel über Bewe­gung und geistige Fit­ness auf ein Zitat von Hugo Kükel­haus. Die Worte  des 1984 ver­stor­bene Philosoph und Päd­a­goge elek­trisierten mich.

 Da sind ver­schlun­gene Pfade. Es geht über Stock und Stein, Wurzeln, Moos, dicht­es Gebüsch, Rinnsale. Am Ende des Weges sind wir erfrischt, fast wie neuge­boren. Im Wald war ich mit Kör­p­er, Seele und allen Sin­nen voll beansprucht. Über­all kleine mit Hin­dernissen ver­bun­dene Wag­nisse.“ Wahnsinn. Genau das ist es, was mich am Wan­dern fasziniert. Die Bewe­gung, die kleinen Her­aus­forderun­gen, das Stillen des Erfahrung­shungers”, wie Kükel­haus es nennt. 

Kükel­haus Leben­s­the­ma war die Tren­nung in Geistiges und Kör­per­lich­es. Das nicht-kör­per­liche Erfahren der Wirk­lichkeit. Das Ver­schwinden des Zusam­men­hangs zwis­chen Fühlen, Tun und Denken. Übrige bleibe eine Art Kreuz­worträt­sel-Intel­li­genz.”

Er plädiert für den Umweg. Denn ger­ade der kürzeste Weg, das Zuviel an Krafterspar­nis sei es, was den Men­schen erschlafft. Nicht Bewe­gung, Anstren­gung ermüde, son­dern das sich zu wenig bewe­gen, das nicht in Anspruch nehmen von Armen, Beinen, des Atems. Der Augen. Die Kon­stanz des kün­stlichen Lichts, der wir, ger­ade im Win­ter, aus­ge­set­zt sind, mache uns fer­tig. Denn wir brauchen, um Licht als Licht wahrnehmen zu kön­nen, den Schat­ten, den Kon­trast. Die Schwingun­gen des Tages­lichts regen das Sehen an. Das ist es, was ich als Far­benen­ergie meine. 

Das ist es, was uns kaputt macht: die Unter­schla­gung unser­er Fähigkeit­en. Leben bedarf der Hin­dernisse. Wo kein Wag­nis, da kein Leben.“

Meine Erfahrung bestätigt seine Worte: Nach ein­er mehrstündi­gen Wan­derung, ja schon nach einem halb­stündi­gen Gang über das Kopf­steinpflaster ver­winkel­ter Gäss­chen in der Alt­stadt  (zum Beispiel), füh­le ich mich wieder ein Stück weit als ganz­er Men­sch. Je nach­dem, wie anstren­gend die Unternehmung war, kann ich dann auch endlich abschal­ten. Ein Schläfchen hal­ten, ruhig in der Sonne sitzen, lesen oder ein­fach mal nichts tun. Statt Abschal­ten erst ein­mal Umschal­ten in den Mul­ti­sen­sor-Modus.

Wie sind Ihre/Eure Erfahrun­gen? Ken­nt Ihr die oben beschriebe­nen Phänomene auch? Was macht ihr, wenn ihr nicht abschal­ten kön­nt? Freue mich über Kom­mentare zu diesem Beitrag.

Übri­gens: Wer Inter­esse an den Schriften von Hugo Kükel­haus hat, der wird bei thalia.de fündig. Im nor­malen Buch­han­del gibt es die Bänd­chen nicht mehr. Ich kann diesen Online-Shop sehr empfehlen. Man kann auf Rech­nung bestellen und wird zuver­läs­sig über den Bestell­prozess per E‑Mail informiert.

Ich habe bis jet­zt gele­sen: Organ und Bewusst­sein” und Organ­is­mus und Tech­nik”. In dem zuerst genan­nten Büch­lein ist hin­ten ein inter­es­san­ter Auf­satz von Elmar Schenkel zu lesen. Darin fasst er die Aus­sagen von Kükel­haus zusam­men und stellt die These vom vom Ende der Infor­ma­tion” auf. Verkürzt: Nicht die Infor­ma­tions­flut macht uns fer­tig, son­dern die Infor­ma­tion­sar­mut. Span­nend. Möglicher­weise ein The­ma für diesen Blog.

Her­zliche Grüße

Heike Tharun