Neulich sichtete ich in meiner Buchhandlung die Wanderliteratur. Kämpfte mich mit schiefem Kopf durch die Buchrücken im Regal. Überflog die aufwendig aufgemachten Bildbände auf dem Tisch. Hängen blieb mein Blick an einem kleinen unscheinbaren Taschenbuch: „Vom Wandern – Neue Wege zu einer alten Kunst“ von Ulrich Grober.
Auf dem Titel läuft ein Mann im Sonnenschein eine Bergstraße hinab, den Rucksack locker auf den Schultern. „Einfach verschwinden. Losgehen. Vier bis fünf Kilometer in der Stunde zu Fuß zurücklegen…Ziele, Routen, Pausen selber wählen. Richtungen ändern, Vom Weg abweichen…“, so beginnt Ulrich Grober sein philosophisches Brevier über seine Art zu wandern. Die ersten Sätze gefallen mir auf Anhieb.
Grober erzählt von seinen eigenen Wanderungen. Alleine. Mit Kindern. Mit Freunden. Touren an der ehemaligen Grenze der DDR oder den Rhein entlang. Über die Alpen. Durch Wald, über Wiesen, querfeld ein oder auf schmalen Wegen. Er beschreibt konkrete, nachgehbare Touren.
Die Essenz des Buches sind jedoch seine Erfahrungen, seine Betrachtungen über das Wandern als Lebenskunst und Selbsterfahrung: Wie gewinnen wir unsere Zeitsouveränität zurück? Werden Fähigkeiten, wie Navigieren, Kräfte einteilen, unsere sieben Sinne in brenzligen Situationen aktivieren, zu Schlüsselkompetenzen des neuen Jahrtausends? Was brauche ich an Ausrüstung und Proviant?
Ich als notorische Zu-viel-in-den-Rucksack-Packerin bin am Kapitel: „Ausrüstung“ hängengeblieben. Grober stellt zwei Schlüsselfragen: Was brauche ich wirklich? Und: Wo liegt für mich persönlich die Grenze der Tragfähigkeit? Wichtig ist für ihn, die Freude des Gehens nicht von der Qual des Tragens zerstören zu lassen: „Alles was uns von Natur und Kosmos und unserer Gefühlswelt abschottet, ist Ballast.“
„Vom Wandern“ spricht mich an wegen der klaren, ehrlichen Sprache. Den philosophischen Betrachtungen des Wanderns als Überlebensstrategie in unserer kopflastigen Zeit. Wandern als Aktivierung sämtlicher Sinne: Schauen, wie ich die Füße setze, wie ich am geschicktesten über den querliegenden Baum komme, nasse Blätter im Gesicht spüren. Herzklopfen beim Gang über den Grat. Kräfte bündeln, wenn die Dämmerung einfällt und das Ziel noch nicht in Sicht. Den Körper auslasten statt zu belasten. Durch und durch müde sein. Im Wesen ganz werden. „Wandern – der Fuß, der Schritt, das humane Tempo ist das Maß. In Bewegung bleiben. Sich selbst orientieren. Bei Wind und Wetter.“
„Vom Wandern – Neue Wege zu einer alten Kunst“, Ulrich Grober, ro ro ro, 9,99 Euro.
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